Never change a running system?
Die Autorin Naoise Dolan seziert in „Das glückliche Paar“ eine Beziehung
Von Miriam Seidler
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich.“ – Der erste Satz von Leo Tolstois 1877/78 erschienenem Roman Anna Karenina lässt die Leser:innen nicht nur ahnen, welchen Verlauf die folgende Erzählung nimmt, sondern er formuliert auch eine narratologische Binsenweisheit: Unglück ist für den Spannungsaufbau einer Erzählung unverzichtbar, wohingegen Glück wenig Spielraum für eine fesselnde Romanhandlung gibt. Der Titel des zweiten Romans der irischen Autorin Naoise Dolan Das glückliche Paar macht daher neugierig: Selten erzählen Autor:innen von glücklichen Figuren. Entweder es gelingt Dolan also etwas Unerhörtes oder der Titel ist ironisch gemeint und auch ihr Paar ist alles andere als glücklich.
Bereits der Erzähleingang stellt die Frage, wie das Glück eines Paares zu bewerten ist und was eine gelungene Beziehung ausmacht. Auf dem Heimweg von einer Party diskutieren Celine und Luke über ein befreundets Paar, das unübersehbar unglücklich ist, aber sich noch nicht zur Trennung durchgerungen hat. Das führt zur Frage von Celine, was für ihren Partner Luke der Punkt wäre, an dem er ihre Beziehung freundschaftlich beenden würde:
„Das klingt jetzt vielleicht altmodisch.“ Luke zögerte, als warte er darauf, dass sie ihm den Rest aus der Nase zog. „Aber wenn ich glauben würde, dass wir nie heiraten würden. Nicht unbedingt heiraten, eine Verbindlichkeit dieser Art, meine ich. Wenn ich wüsste, das käme nicht infrage, dann – ja. Theoretisch gesprochen.“
„Und wer hat das entschieden, dass es nicht infrage kommt?“ […]
„Ich habe gar nicht gesagt, dass es nicht …“ Luke sprach den Satz nicht zu Ende. „Aber ich meine, es wird ja nicht passieren. Wir werden nicht heiraten. Und das ist ja nicht unbedingt ein Problem. Es wäre albern, Schluss zu machen, wenn alles so gut läuft. Aber wir zwei sind nicht für die Ewigkeit gemacht.“ […]
Schließlich sagte Celine: „Wenn du das wirklich glaubst, dann wäre es am besten, wir trennen uns jetzt.“
Was auf diese Szene folgt, ist allerdings nicht die Trennung, sondern ein Heiratsantrag. Da diese Passage aus der internen Fokalisierung von Celine erzählt wird, bleiben die Beweggründe für Lukes Handlung im Dunkeln. In wenigen Sätzen zeigt Dolan die Mechanismen dieser Beziehung: Celine übt Druck aus, auf den Luke reagiert. Bereits nach wenigen Sätzen ist den Leser:innen klar: Dieses Paar glaubt nicht an die romantische Liebe. Trotz ihres realistischen Blicks auf ihre Zusammenleben hat dieses nicht das Potential für eine dauerhaft glückliche Ehe. Der Roman kreist daher im Folgenden um die Frage, ob es tatsächlich zur Hochzeit kommen wird. Auch wenn es bereits zu Beginn verschiedene Vorausdeutungen auf ein Scheitern der Beziehung gibt, gelingt es Naoise Dolan meisterhaft diese Spannung aufrechtzuerhalten. Sie seziert nicht nur das Verhältnis von Celine und Luke, sondern liefert zugleich ein Portrait der Generation Z, das die Verlorenheit der Mitzwanziger ohne konkrete Lebensziele, verbindliche Beziehungsmodelle und Ideale zeigt.
Naoise Dolan komponiert den Roman auf die Hochzeit hin. Er besteht aus insgesamt 6 Teilen. Im ersten Kapitel wird aus der Innensicht Celines erzählt. Das zweite und dritte Kapitel gehören den beiden Trauzeugen: Celines Schwester Phoebe und Lukes bestem Freund Archie. Nachdem im Anschluss aus Lukes Innensicht erzählt wird, kommt im fünften Kapitel seine ehemalige Mitbewohnerin Vivian zu Wort. Das finale Hochzeitskapitel führt dann die verschiedenen Stimmen zusammen und beleuchtet den Hochzeitstag so aus unterschiedlichen Perspektiven. Diese Komposition ermöglicht es Dolan einerseits das ‚glückliche Paar‘ aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Andererseits kann sie auch die unterschiedlichen Sichtweisen der beiden Verlobten gegenüberstellen, da sie zentrale Moment der Beziehung aus der jeweiligen Innenperspektive erzählt. Darüber hinaus nutzt sie die wechselnde interne Fokalisierung grandios für die Charakterisierung der Figuren. Während für Celine Musik sexualisiert ist – „Für ein ausgebildetes Gehör sind Akkorde erregend. Eine Septime ist eine Hand auf dem Oberschenkel.“ – , hat ihre vier Jahre jüngere Schwester Phoebe eine wesentlich abgeklärtere Haltung zum Leben wie zur Sexualität. Als sie Luke mit Celines Studienkollegin Tanja in einer Bar sieht, kommentiert sie schonungslos: „Sie sah auf den ersten Blick, wenn der Ritt kurz bevorstand. Und die zwei wieherten schon.“ Dolan setzt hier verschiedene Spielarten von Komik ein, die beim Lesen immer wieder schmunzeln lassen – auch wenn das Verhalten der Figuren oftmals moralisch kritisch bewertet wird.
Die sprachliche Gestaltung charakterisiert die einzelnen Figuren, wobei vor allem die beiden Verlobten unterschiedlicher nicht sein könnten. Celine ist Pianistin und lebt für und in der Musik, kann damit aber kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dennoch ist sie eine der wenigen Figuren im Roman, die ein Ziel vor Augen hat, dem sie allerdings alles andere unterordnet. Ihre vorige Beziehung zu Maria ist nicht nur an ihrer mangelnden Empathie, sondern vor allem an ihrer Fokussierung auf die Karriere zerbrochen. Mit Beziehungen tut sie sich schwer, ist sie doch auf der Suche nach jemandem, der nicht nur ihre Liebe zur Musik teilt, sondern der sie auch versteht und sich um Alltagsfragen kümmert – schließlich kann sie nicht einmal den Müll rausbringen, da sie sich dabei um ihre Finger sorgt, die sie den ganzen Tag über mit schwarzen Handschuhen vor Umwelteinflüssen schützt. Doch nicht nur das macht es zu einer Herausforderung, mit Celine zusammenzuleben. Sie analysiert jede Handlung – ganz gleich ob es ihre eigene oder die ihres Gegenübers ist:
Er hatte Celines Verhaltensmuster identifiziert: Sie sagte nie einfach Danke zu Komplimenten nach dem Sex.
Stattdessen sagte sie Dinge wie: Ich glaube, ich kann besser kommen, wenn ich stöhne, weil ich dann tiefer atme und die Muskeln bis ganz nach unten anspanne.
Oder: Ich bin jetzt viel besser darin, dir einen zu blasen, seit ich so eine Art offenen Schmollmund dabei mache, statt die Lippen nach hinten über die Zähne zu stülpen. [….]Wie sich herausstellte, war das weird.
Scheinbar hatten nicht alle, mit denen Luke bis dahin etwas gehabt hatte, auf den Satz, das sei richtig gut gewesen, so reagiert. Offensichtlich konnte man den Satz auch so verstehen: Ich hoffe, es hat dir ebenfalls Spaß gemacht, jetzt will ich schlafen.
Warum ist es erstrebenswert, diese Frau zu heiraten?
Aber Kommunikationsprobleme prägen nicht nur Celines Verhalten, sondern sind auch charakteristisch für Luke. Der Werbefachmann war vor Celine mit seinem Studienfreund, dem Anwalt Archie zusammen. Weil Luke aber nicht bereit war, sich bewusst für oder gegen die Beziehung mit Archie zu entscheiden und dies auch nicht kommunizierte, trennte sich dieser von ihm. Fortan ist der jeweils andere das heimliche Zentrum des Begehrens. Sie landen während der Verlobungszeit zusammen im Bett – weshalb Archie nicht Lukes Trauzeuge sein kann –, aber an ein dauerhaftes Glück wagen beide nicht zu glauben.
Aber Luke hat nicht nur Probleme, über seine Gefühle zu sprechen. Er begegnet Celines Konzentration auf ihre Karriere damit, dass er sie betrügt. Das geht soweit, dass der scheue Mann die Verlobungsfeier gemeinsam mit Celines Exfreundin Maria verlässt. Zwar kommt es nicht zum Beischlaf – das verhindern Phoebe und Archie –, aber er belügt seine Verlobte, die an der Verlobung festhält, obwohl sie weiß, das Luke sie belügt. Bei der Lektüre entsteht immer mehr der Eindruck, dass es Luke eigentlich in erster Linie darum geht, Celine herauszufordern – die wiederrum verbissen an der Beziehung festhält.
Warum ist es erstrebenswert, diesen Mann zu heiraten?
Die Stärke von Luke besteht darin, Situationen zu reflektieren – ohne allerdings aus der Reflexion eine Handlung folgen zu lassen. Nach dem Gespräch mit Maria, die ihm unmissverständlich klarmacht, dass Celine ihn lediglich benötigt, weil sie selbst nicht in der Lage ist, ihren Alltag zu finanzieren, denkt er über die Ehe nach:
Traditionell beurteilen wir ein Ehepaar danach, wie stark es vorherigen Paaren ähnelt.
Nicht mal echten Ehepaaren. Sondern unseren Vorstellungen von Ehepaaren.
Wir haben Erwartungen verinnerlicht, die keiner von uns selbst formuliert hat.
Eine Ehe ist nicht gut oder schlecht, erfolgreich oder erfolglos. Sie funktioniert einfach, oder sie funktioniert nicht. Meistens eher nicht, aber schön für euch, wenn ihr die Ausnahme seid. High five.
Das glückliche Paar ist ein Liebesroman, der kein Liebesroman sein will. Naoise Dolan greift narrative Muster des Genres auf, um sie sogleich wieder zu unterlaufen. Das gekonnte Zusammenspiel von Reflexion und sprühender erzählerischer Phantasie machen die Lektüre dieses von Anke Caroline Burger souverän übersetzten Romans zu einem Vergnügen. Die reflexiven Passagen des Romans beziehen sich aber nicht nur auf die Ehe selbst, sondern auch auf das Erzählen. Mit ihrer fiktiven Beziehungsgeschichte gelingt es Dolan ebenso wie Jane Austen in ihrer Zeit, Leser:innen in ihren Bann zu ziehen:
Jane Austen war Jane Austen und schrieb Romane, die seit zwei Jahrhunderten für Tränen und Lachen sorgen. […] Wenn man Liebe in Stunden misst, die eine andere Person im eigenen Kopf verbringen darf, und man ist trotzdem überzeugt, selbst davon zu profitieren, dann ist Jane Austen möglicherweise die meistgeliebte Frau aller Zeiten. Und trotzdem konnte sie sich kein glücklicheres Ende vorstellen als einen Mann, der die Frau ein bisschen weniger fies behandelt und dann heiratet.
Ob es Naoise Dolan gelingt, ein glücklicheres Ende für ihren Roman Das glückliche Paar zu entwerfen, als sie es für Jane Austen diagnostiziert, sei an dieser Stelle nicht verraten. Dass sich die Autorin mit dieser Beziehungsgeschichte in die Herzen ihrer Leser:innen schreibt – daran besteht kein Zweifel.
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