Haben Bücher ein Leben? Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Erschließung von Buchbiographien

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zentrum des Bandes Biographien des Buches stehen die von materiellen und kommunikativen Wechselfällen gekennzeichneten Karrieren des Buches. Die ‚Biographie‘ des Buches ist als gemeinsame Geschichte eines Buches und seiner Leser, Benutzer und Sammler zu verstehen. Überlegungen zu Objektbiographien (prominent von dem Anthropologen Igor Kopytoff) haben die Herausgeberinnen und Herausgeber zum Anlass genommen, um im Rahmen der internationalen Tagung „Biographien des Buches“ (April 2016 an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel) nach dem Potenzial dieses Ansatzes für eine Buchgeschichte aus der Perspek­tive der Materiellen Kulturforschung zu fragen. Der vorliegende Band dokumentiert die Tagungsergebnisse in den fünf Sektionen „Perspektiven“, „Dutzendware/Einzelstück“, „Medium/Akteur“, „Transfer/Transformation“ sowie „Makulierung/Wiederentdeckung“.

Institutionen, in denen das kulturelle Schrifterbe bewahrt, musealisiert und erforscht wird, entwickeln zunehmend Aufmerksamkeit für den Objektcharakter des einzelnen Buches. Jenseits der Lektüre des gedruckten oder handschriftlichen Textes erwachsen Interessen an Provenien­zen (Namenseinträge vormaliger Besitzer, individualisierte Einbände, Exlibris, Fatturen et cetera), persönlichen Vorlieben und Absichten (Eingriffe in die Materialität eines Buches) und kulturellen Prak­tiken oder den Auswirkungen gesellschaftlicher Ausnahmezustände wie Brandkatastrophen oder Kriege. Der biographische Ansatz schließt hier an, indem er die Geschichte eines Buches nach dem Ende seiner Produktionsphase weiterverfolgt. Die Biographie eines Buches beginnt mit dem Eintritt in ein Interaktionsverhält­nis mit Menschen und schreibt sich fort als das je spezifische Narrativ der Konjunkturen von Gebrauch bis Desinteresse. Die Biographie eines Buches zu erforschen bedeutet, aus der materiellen Verfasstheit des Buches Befunde für eine exemplarspezifische Mikrohistorie von Lektürepraktiken, Buchgebrauch und Überlieferung zu extrapolieren.

Das Interesse des Bandes gilt vor allem den Spuren der Interaktion und den Transformationen, Bedeutungsveränderungen, Umwidmungen, Umarbeitungen und Vernutzungen, die an den Büchern sichtbar werden, wobei dieses Erkennen und Sichtbarmachen von Spuren selbst eine Form der Interaktion mit den Büchern und somit Teil ihrer Biographie ist.

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Titelbild

Constanze Baum / Ulrike Gleixner / Jörn Münkner / Hole Rößler (Hg.): Biographien des Buches.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
477 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783835331457

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