Außerordentlichkeitspoesie

Heinz Härtl untersucht die Genese und Frührezeption von Bettina von Arnims Beethovenbriefen

Von Miriam SeidlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Seidler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bettina von Arnim war eine ungewöhnliche Frau, die in ihrem Leben viele Wandlungen durchlebt hat. Von drei Leben spricht die Forschung daher gerne, weil die drei Lebensphasen der unkonventionellen Frau sehr unterschiedliche Schwerpunkte haben. Nach dem frühen Tod der Eltern ist die aus einer reichen Frankfurter Kaufmannsfamilie stammende jüngere Schwester von Clemens Brentano bei der Großmutter Sophie von La Roche aufgewachsen. Diese Lebensphase ist geprägt von den literarischen Einflüssen von Bruder und Großmutter. Ihre unkonventionellen Verhaltensweisen und ihre Selbstinszenierung beeindrucken zahlreiche Zeitgenossen und machen sie immer wieder zum Gesprächsstoff. Erst spät entscheidet sich Bettina Brentano, den verarmten Landadligen und Schriftsteller Achim von Arnim zu heiraten. Die Ehe, aus der insgesamt sieben Kinder hervorgehen, ist geprägt von Geldnot und den sehr unterschiedlichen Lebensgewohnheiten der Ehepartner. Fühlt sich Arnim, der von Bettina als Autor verehrt wird, auf seinem Gut in Wiepersdorf wohl, weil er dort ungestört von dem geselligen Treiben in der Stadt schreiben kann, so langweilt sich seine Ehefrau fern von Berlin so sehr, dass sie kränkelt und zu ihrem eigenen Wohl in die Stadt zurückkehrt. Die Kommunikation in der Berliner Gesellschaft bot der vielfältig interessierten Frau Anregungen und Möglichkeiten zum persönlichen Austausch. War der Kontakt erst einmal hergestellt, so bildete er oft den Ausgangspunkt für einen Briefwechsel, der den Dialog mit anderen Mitteln weiterführte.

Ihr literarisches Leben begann die gebürtige Frankfurterin erst nach dem Tod Ihres Mannes im Januar 1831. Als Autorin war Bettina nicht unumstritten, entwickelte sie doch mit ihren Briefbüchern eine eigene Strategie, um sich auf dem literarischen Markt zu behaupten. In Zeiten, in denen der Wahrheitsgehalt von Nachrichten und deren Rezeption intensiv diskutiert werden, haben Bettina von Arnims Briefbücher eine große Aktualität, verweisen sie doch darauf, dass es ausgehend von historischen Quellen verschiedene Formen künstlerischer Wahrheitsfindung geben kann. In ihren ab 1835 erscheinenden Briefbüchern verbindet sie Fakten und Fiktion, indem sie reale Briefwechsel zum Ausgangspunkt ihres Schreibens macht, diese aber auf vielfältige Art und Weise bearbeitet, umstellt und mit neuen Bedeutungsschichten ausstattet. Die der romantischen Universalpoesie verpflichtete Autorin verknüpft so auf eigenwillige Weise Dichtung und Wahrheit. Dabei wird sie missverstanden, wenn man ihr eine bewusste Fälschung der Originalbriefe unterstellt. Ziel ihrer künstlerischen Verfremdung der Briefe war es vielmehr, der Wahrheit des Faktischen eine Wahrheit des inneren Erlebens gegenüberzustellen. Sie war auf der Suche nach dem Wesen ihrer Briefpartner. Daher zeigen die Texte der Romantikerin ein Ringen um ihre Briefpartner und sich selbst. Bereits ihr erstes Briefbuch Goethes Briefwechsel mit einem Kinde wird aufgrund des prominenten Briefpartners zu einer literarischen Sensation. Bettina ist in aller Munde und nur wenige Zeitgenossen erkennen den künstlerischen Wert der teilweise stark überarbeiteten Originalbriefe. Neben Johann Wolfgang von Goethe standen weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie ihr Bruder Clemens Brentano, die früh aus dem Leben geschiedene Freundin Karoline von Günderrode oder auch Ludwig van Beethoven im Zentrum ihrer literarischen Projekte. Die Publikation des überarbeiteten epistolaren Austauschs mit prominenten Gesprächspartnern hat der Autorin den Vorwurf der Menschenvergötterung eingebracht. Dieser Vorwurf verkennt das Ziel der Publikationen Bettina von Arnims, dem Heinz Härtl in seiner Untersuchung „Drei Briefe von Beethoven“. Genese und Frührezeption einer Briefkomposition Bettina von Arnims nachspürt. Als Beweggrund für ihr Schreiben arbeitet er das Ringen der Autorin um eine transzendierte Wahrheit heraus. Ziel der profunden Analyse ist es, ausgehend von den drei in der Bettina-von-Arnim-Forschung kaum bekannten Briefen, ihre Arbeitsweise und Publikationsstrategien zu beleuchten. Die raffinierten Kleinkunstwerke geben in der Verflechtung von Authentischem und Fingiertem, von Dichtung und Wahrheit einen Blick frei auf die Verflechtungen, die auch Bettinas Brieferinnerungsbücher auszeichnen. Eingebettet ist die Analyse der Beethoven-Briefe in eine kenntnisreiche Schilderung der Beziehungen und Interessen der Autorin sowie die Bedingungen der Zeitschriftenpublikation im 19. Jahrhundert. Dabei wertet Heinz Härtl eine Vielzahl von bislang unbekannten Quellen aus. Besonderes Interesse weckt der Band auf eine in der ersten Fußnote angekündigte Publikation mit frühen Briefen Bettinas.

Wie allen Briefbüchern Bettina von Arnims liegt auch diesen drei kurzen Texten eine reale Bekanntschaft und ein epistolarer Austausch zugrunde. Die junge Frau hat Beethoven, der gut mit ihrer Schwägerin Antonie Brentano befreundet war, im Mai 1810 in Wien getroffen. Im Anschluss daran hat sich ein kurzer Briefwechsel zwischen den beiden unterschiedlichen Persönlichkeiten entwickelt. Darin spielt auch Goethe eine Rolle, dessen Werke den Komponisten inspirierten und die er musikalisch bearbeitete. Daher zeigte der Musiker besonderes Interesse mit dem Dichter in Kontakt zu treten, der bekanntermaßen der Vertonung seiner Werke sehr kritisch gegenüber stand. Goethe ist also auch das geheime Zentrum dieses Austausches. Einer der von Bettina mitgeteilten Briefe ist nachweislich von dem Komponisten verfasst worden. Die anderen beiden Briefe hat Bettina um diesen Originalbrief komponiert. Anhand dieser wenigen Seiten zeigt Härtl minutiös die Schreib- und Publikationsstrategien Bettina von Arnims auf und gibt somit Einblicke in die Schreibwerkstatt der ungewöhnlichen Frau.

Neben der Produktion nimmt er aber auch die Rezeption der Briefe durch die Beethoven-Forschung im 19. Jahrhundert in den Blick. Diese bezeichnet er selbst in Anlehnung an Karl Kraus im letzten Teil seiner Analyse als eine „Razzia auf Beethoven-Biographen und -Editoren“. Selbst hervorragende Kenner von Beethovens Werk und Persönlichkeit wie Ludwig Nohl (1831–1885), Adolf Bernhard Marx (1795–1866) und Alexander Wheelock Thayer (1817–1897) haben die Echtheit der Briefe nicht in Frage gestellt. Dabei ist es nicht allein die mangelnde philologische Sorgfalt, die die Arbeit der Forscher problematisch macht, sondern auch ein durch das Geschlecht der Verfasserin bedingtes Vorurteil. Die männlichen Beethovenforscher haben es der Autorin Bettina von Arnim nicht zugetraut, auf solch hohem sprachlichen Niveau Briefe zu verfassen. So konnte eine Miniatur von Bettina von Arnim zum Mythos der Beethovenforschung werden: Der unbeugsame Musiker, der im Gegensatz zum aristokratiehörigen Dichter seinen bürgerlich-künstlerischen Stolz im Badeort Teplitz zur Schau stellt, wenn er vor den Potentaten nicht zurückweicht und den Hut zieht.

Die Frage, welche Bedeutung Fakten zukommen, wird in der Gegenwart (wieder) heftig diskutiert. Für die Literatur spielt diese Frage eine untergeordnete Bedeutung, transzendiert sie die Realität doch ganz im Sinne der Romantik in eine höhere Wahrheit, die jeder Leser für sich selbst entdecken muss. Dabei ist die Frage, ob es sich bei einem autobiografischen Text bereits um Literatur handelt und wem man zutraut, literarische Texte zu produzieren, das entscheidende Kriterium für die Lektürehaltung. Härtl gelingt es aufzuzeigen, dass die falsche Rezeption der drei Beethoven-Briefe in erster Linie von den (männlichen) Gesprächspartnern Bettinas ausging. Im Gegensatz zu den Editoren von Beethovens Briefen blieb Bettina immer philologisch korrekt, wenn sie von „meinen Beethovenbriefen“ sprach.

Titelbild

Heinz Härtl: „Drei Briefe von Beethoven“. Genese und Frührezeption einer Briefkomposition Bettina von Arnims.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2016.
188 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783849811587

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