Hochzeitsdinner ohne Bräutigam

Gerhart Hauptmanns „Hochzeit auf Buchenhorst“ setzt die Erkneraer Reihe fort

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese Erzählung zählt gewiss nicht zu den Hauptwerken Gerhart Hauptmanns, aber sie ist sowohl durch ihr zeitsymptomatisches Künstlerthema als auch ihren autobiografischen Hintergrund von Interesse. Sie geht in die 1880er Jahre zurück, schlägt dann aber einen Bogen bis in die 1920er Jahre, in denen sie geschrieben worden ist. Das Thema abgesagte Hochzeit, Nicht-Hochzeit, Hochzeit als Debakel ist als Kulminations- und Wendepunkt im persönlichen Leben immer wieder gestaltet worden. Für Fontane war der Roman Schach von Wuthenow (1883) die Geschichte einer drohenden Katastrophe, die nur am Vorabend einer großen Niederlage – des Sieges Napoleons über Preußen – hatte stattfinden können. Hier wird die bevorstehende Hochzeit des selbstgefälligen preußischen Offiziers Schach zur Frage von Leben und Tod. Soll er die frühere Schönheit, jetzt blatternnarbige Victoire de Carayon, die er verführt hat, heiraten und so den Spott seiner Kameraden auf sich nehmen, den er fürchtet? Oder soll er seinem Gefühl folgen, sich den Verpflichtungen gegenüber Victoire entziehen und damit der Ehre seines Regiments entgegenhandeln? Fontane ging es hier nicht darum, einen Gesellschaftsskandal nachzuerzählen, sondern an ihm den moralischen Verfall der preußischen Offizierskaste bloßzulegen. Von äußerlichen Werten und Ehrvorstellungen abhängig, realitätsblind aus Überheblichkeit und letzten Endes verantwortungslos, bewirkt Schach seinen eigenen Untergang. Ganz anders Kafkas fragmentarische Erzählung „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“, 1907 und 1909 entstanden, die eigentlich ein Roman werden sollte. Unterwegs zu seiner Verlobten Betty „auf dem Lande“ verliert sich Raban, der Erzähler, dem die Rolle des Bräutigams ganz und gar nicht behagt, in Tagträumen. Er wünscht sich, in die Gestalt eines großen Käfers verwandelt zu sein, der Winterschlaf hält. Ein Thema, das Kafka dann in „Die Verwandlung“ weiter ausführen sollte. Offen bleibt, ob Raban überhaupt zu seiner Braut gelangen wird.

Nun ist die im Herbst 1929 abgeschlossene und 1931 veröffentlichte Künstlernovelle Die Hochzeit auf Buchenhorst eigentlich eine Rückerinnerung des Erzählers namens Erwin, dessen Biografie in vielem der Hauptmanns ähnelt, an die Zeit seiner Freundschaft mit den Musikern Kühnelle und Hasper zu einem Zeitpunkt, in dem er sich selbst noch nicht entschieden hat, ob er nun Schriftsteller oder Bildhauer werden will. 1883/84 unternimmt Erwin eine Bildungsreise nach Italien, heiratet dann eine der zwei Schwestern – Gabriele – auf deren Familienbesitz ‚Buchenhorst‘, lebt dann mit ihr und zwei Kindern in Berlin, erkrankt an Bluthusten und wendet sich dann wieder dem Schreiben zu. Doch das bildet eigentlich nur die Folie, ganz im Blickfeld steht die Künstlerfreundschaft mit Kühnelle und Haspel, vor allem dann, als sich eine Beziehung zwischen Teresa, der jüngeren Schwester Gabrieles, und Kühnelle anbahnt. Die nach Goethe „unerhörte Begebenheit“ bildet die von Teresa groß geplante Hochzeitsfeier, die scheitert, weil sich der Bräutigam – welch tragikomische Schlusspointe – am Hochzeitstag überhaupt aus seinem bisherigen Leben davongestohlen und – wie sich dann herausstellt – als Kohlentrimmer auf einem Dampfer nach Amerika angeheuert hat. „Ich verschwinde auf Nimmerwiedersehen“. Teresa wird ihr weiteres Leben allein verbringen – und damit scheint ihr „die Idealform des Lebens, die Kühnelle für sich erstrebte, verwirklicht zu sein“. Kann dieses Ende den Leser zufriedenstellen? Soll das Komische im Tragikomischen, das im Hochzeitsdinner ohne Bräutigam zum Ausdruck kommt, die Quintessenz der Erzählung sein? Es gibt Parallelbeziehungen zu den beiden Künstlerfiguren, dem noch zwischen Bildhauern und Schreiben unentschiedenen Erwin und dem Musiker Kühnelle. Aber während Erwin als zunächst Suchender doch seinen bürgerlichen Weg in die Ehe und Familienbeziehung geht, wobei Hauptmann eigene Eheprobleme weitgehend verschweigt, mag man zwar der Künstlerexistenz Kühnelles Sympathie entgegenbringen, aber seine Flucht ins Ungewisse wirkt doch unmotiviert. Nicht die Welt wirkt auf Kühnelle, sondern er auf die Welt. Nicht die Welt bildet ihn, sondern er bildet sich die Welt nach seinen unsteten Vorstellungen. Selbstherrschaft und Rollenspiel sind deshalb die Folge. Kühnelles Introspektive setzt keine Veränderungen in Gang, frönt dem Selbstgenuss des Unverstandenen, dämonisch Beherrschten. Die Zweiteilung in ein erzählendes Ich – Erwin – und ein erlebtes Ich – Kühnelle – hätte eine Spannung schaffen können, wenn das erzählende Ich das andere kommentieren, deuten, ihm unter Umständen eine neue Richtung geben würde. So aber setzen die gesellschaftlichen Zwänge – mit der Heirat würde Kühnelle wieder in die von ihm brüskierte konventionell-bürgerliche Sphäre eintauchen – der Freiheit des Bohemiens ein Ende. Die Erzählung ist nicht nur in den letzten Jahren der Weimarer Republik entstanden, sie handelt auch von deren Krise und Ende. Sie stellt sich auf den „Boden der Tatsachen“ und strebt eine „sachliche“, von Nähe und Distanz geprägte Darstellung des wirklichen Geschehens der Zeit an. Nachdem er ihn im Großen Garten von Dresden hat Hofdienste an der Prinzessin Irene leisten sehen, schätzt Erwin Kühnelle so ein: Er sei eine Mischung von sorglosem Überschwang und eigensinniger Halsstarrigkeit in Ablehnung von jeder wahren Beziehung zu Welt und Menschen. Fluchtversuche, Täuschungs- und Selbsttäuschungsmanöver, Maskeraden, Trugbilder und Vorspiegelungen stehen bei Kühnelle der Wirklichkeit gegenüber. Der Lebenszusammenhang zerreißt, das Dasein bleibt provisorisch und wirkt zerstreut. Wäre nicht doch das Durchspielen einer Möglichkeit bis zur letzten Konsequenz und Episode überzeugender gewesen? Künstler oder Bürger, Form und Chaos, Angst vor Auflösung wie Erstarrung, Heimsuchung oder Verödung, Vereisung als drohende Extreme?

Es macht aber gerade den Reiz dieser Erzählung aus, den biografischen Bezügen nachzuspüren. Stefan Rohlfs hat sie in seinem Nachwort knapp und bündig auf den Punkt gebracht. Als Vorbild für Dietrich Kühnelle diente Hauptmann der Pianist Max Müller, Meo genannt, den er während seiner Jenenser Studienzeit 1882/83 kennen gelernt hatte. Hauptmann selbst hatte sich mit Marie Thienemann (1860-1914), der Tochter eines reichen Wollgroßhändlers, Bankkommissärs und Weinbergbesitzers aus Kötzschenbroda bei Dresden, verbunden und Buchenhorst ist dem Herrensitz Hohenhaus nachempfunden, in dem schon seine Brüder Georg und Carl die Thienemann-Schwestern Adele und Martha geheiratet hatten. Zu beider Hochzeit hatte Hauptmann ein Festspiel verfasst, das nun in der Buchenhorst-Novelle wiederkehrt. Marie war es auch, die dem jungen Hauptmann 1883/84 eine erste große Bildungsreise durch das Mittelmeer finanzierte, bevor beide dann 1885 in Dresden vor den Traualtar traten. Von den Ehekrisen Hauptmanns ist aber bei seiner Stellvertreter Figur Erwin nicht die Rede. Erst im Tagebuch-Roman Buch der Leidenschaft (1929) hat Hauptmann seine Konfliktsituationen in einer Fiktion beschrieben, als Tagebuchschreiber, der die Papiere eines verstorbenen Bekannten und Edelmannes herausgibt, doch dieser bleibt genauso blass wie die Erzählerfigur Erwin.

Die Erstausgabe der Hochzeit auf Buchenhorst von 1932 enthielt eine Titelvignette sowie farbige Illustrationen auf Vorsatz und Einband des virtuosen Grafikers Hans Meid. Hätte man sie nicht in irgendeiner Weise in die vorliegende Ausgabe einbeziehen können?

Titelbild

Gerhart Hauptmann: Die Hochzeit auf Buchenhorst.
Quintus-Verlag, Berlin 2025.
88 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783969820995

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