Liebe und Politik in Zeiten des Krieges

Vojin Saša Vukadinović gibt den Roman „Rendezvous in Manhattan“ der von den Nazis ins Exil getriebenen Schriftstellerin Grete Hartwig-Manschinger neu heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mela Hartwig ist eine der zahllosen AutorInnen, die in den 1930er Jahren ins Exil flüchten mussten, um nicht von den Nazis ins KZ verschleppt und ermordet zu werden. Nachdem Deutschland 1945 endlich von den Alliierten besiegt worden war, waren sie und ihre Werke oft vergessen. Für viele Schriftstellerinnen änderte sich das erst mit der im Zuge der Neuen Frauenbewegung entstehenden feministischen Literaturwissenschaft, die schon bald manche von ihnen wiederentdeckte. Auf Mela Hartwig allerdings trifft das nicht zu. Zwar erschien dann und wann der eine oder andere kurze Text über sie, auch erhielt sie einen knappen Eintrag im 1986 erschienenen Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945, doch sollten ihre Werke – abgesehen von dem 1992 publizierten Erzählband Ekstasenerst mit dem Beginn des 21. Jahrhundert wieder aufgelegt werden. Ihr Roman Bin ich ein überflüssiger Mensch? erschien 2001 überhaupt zum ersten Mal. Im Jahr darauf wurde ihr vielleicht bedeutendstes Buch Das Weib ist ein Nichts nach mehr als 70 Jahren erneut aufgelegt. Beide Romane wurden von Bettina Fraisl herausgegeben und benachwortet. Ebenfalls 2002 brachte Faisl eine Hartwig gewidmete Monographie auf den Markt. 2004 folgte Hartwigs beeindruckender Erzählband Das Verbrechen. Seither ist das Interesse an ihr und ihrem literarischen Schaffen nie mehr ganz erloschen. So feierte Julyia Rabinowich ihre Kollegin 2017 in einem dieser gewidmeten Essay. Und 2018 wurde dann endlich auch ihr antifaschistischer Roman Inferno zum ersten Mal aus ihrem Nachlass herausgegeben. Zu danken ist dies Vojin Saša Vukadinović, der ihn zudem mit einem erhellenden Nachwort versehen hat.

Nun darf die Wiederauflage eines Romans von Mela Hartwigs Schwester Grete Hartwig-Manschinger vermeldet werden, die ebenfalls vor den Nazis ins Exil fliehen musste, und mitsamt ihrem Werk sogar noch weit tiefer in die Vergessenheit geraten ist als Mela Hartwig. So ist die Schriftstellerin, Schauspielerin und Diseuse dem oben genannten Lexikon ebenso unbekannt wie etwa dem Metzler Lexikon Gender und Musik, das allerdings nicht einmal das Lemma Diseuse führt. Auch Evelin Försters diesen Gesangskünstlerinnen gewidmeter Band Die Frau im Dunkeln kennt sie nicht. Nur im ersten Band des biographiA Lexikon österreichischer Frauen, im Lexikon österreichischer Exilliteratur und im Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945 finden sich eher kurze Einträge zu Grete Hartwig-Manschinger und ihrem vielfältigen Schaffen.

Den einzigen zu ihren Lebzeiten veröffentlichten Roman Rendezvous in Manhattan hat sie zwar im US-amerikanischen Exil verfasst, doch richtete er sich an das österreichische Publikum. Aus diesem Grund erschien er 1948 im Wiener Verlag Rudolf Cerny. Bereits lange zuvor war Hartwig-Manschinger mit Gedichten an die Öffentlichkeit getreten. Auch verfasste sie die oft antifaschistischen Texte für ihre Auftritte als Diseuse selbst. Das Manuskript eines weitern Romans muss als verschollen gelten.

Dass Rendezvous in Manhattan nun in dem verdienstvollen Verlag das vergessene buch neu herausgegeben wurde, ist wiederum Vukadinović zu verdanken, der den Roman nicht nur mit einem Glossar, sondern auch mit einem Nachwort versehen hat, in dem insbesondere der biographische Abriss Hartwig-Manschingers hervorsticht.

Wie der Titel des Romans erahnen lässt, handelt er in New York und der näheren Umgebung der Ostküstenmetropole. Die Handlungszeit beginnt einige Monate, vielleicht auch ein Jahr vor dem Angriff Japans auf Pearl Harbour und endet nach der Niederlage Deutschlands, aber noch vor der Kapitulation Japans. Protagonistin der Handlung ist Edna Scarlatti, eine zu Anfang des Geschehens 22-jährige Arbeiterin aus ärmlichsten Verhältnissen. Sie gehört dem „italienischen Proletariat niedrigsten Ranges“ an, lebt mit ihrer zehn Jahre jüngeren Schwester, dem trunksüchtigen Vater sowie der stets kränklichen Mutter in einem „verlotterten Haushalt“ und muss die Familie mit ihren Einkünften als Akkordarbeiterin in einer „kosmetischen Fabrik“ über Wasser halten. Daher kann sie sich von ihrem kargen Lohn selbst nicht einmal die kleinsten Freuden gönnen.

Durch einen glücklichen Umstand lernt Edna den besser gestellten Ingenieur Ray kennen. Ein „Prachtjunge“, aus guter Familie, der mit seinen 29 Jahren zwar „ein bißchen zu wohlgenährt“ ist, aber „vor Gesundheit [strotzt]“, schon einige sexuelle Erfahrungen – auch mit einer verheirateten Frau – sammeln konnte und nun „Anspruch auf höchste Vollendung in einer Frau“ hat. Überhaupt handelt es sich um einen sehr umtriebigen Menschen, der der Maxime folgt, „zur Beschaulichkeit hat man Zeit, wenn man tot ist“. Mit ihr hat Hartwig-Manschinger in gewisser Weise das Rainer Werner Fassbinder zugeschriebene Diktum „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“ vorweggenommen.

Auch wenn sie „in verschiedenen Welten [leben]“, verlieben sich Edna und Ray ineinander und es scheint, als habe sich die Autorin angesichts des Standesunterschieds schon früh in eine missliche Lage manövriert, die nur die Alternative zwischen einem kitschigen happy end und einer wahrscheinlicheren Tragödie lässt.

Doch es kommt ganz anders. Angesichts der Einberufung Rays zum Militär mit der düsteren Aussicht, alsbald an die Front zu müssen, heiratet das Liebespaar überstürzt und vor allem gegen den Willen von Ednas künftiger Schwiegermutter. Das zuvor schon nicht immer ungetrübte Eheglück wird durch den Krieg völlig zerstört. Ray wird eingezogen, kommt an die Front und nicht viel später erreicht Edna die offizielle Nachricht von seinem Tod, von der sich allerdings später herausstellen wird, dass sie falsch war.

So wächst sich die anfänglich recht konventionell anmutende Liebesgeschichte langsam zum politischen Roman aus, was aufmerksame Lesende allerdings schon durch die eine oder andere früh eingestreute sozialkritische Bemerkung ahnen können. Zunächst klingen Gesellschafts- und Kapitalismuskritik eher leise in Nebenbemerkungen an, etwa wenn einer Kollegin Ednas, welche die Arbeiterinnen gewerkschaftlich organisieren will, sofort gekündigt wird. Doch steigern sich die gelegentlich etwas schalkhaft vorgetragenen (sozial- und gesellschafts-)politischen Einflechtungen langsam bis sie schließlich im Zentrum des Romans stehen. Denn am Ende werden die unpolitischen Sichtweisen Ednas und diejenigen des durch den Krieg politisierten Ray kontrastiert. Dabei sind die ihm in den Mund gelegten politischen Befunde manches Mal von erschreckender Aktualität.

Wenn es allerdings einmal über die USA heißt „Dieses Land war unermeßlich reich für die Reichen, doch nicht für Edna und ihresgleichen“, ist das allzu plakativ und darum ärgerlich. Vor allem aber ist es überflüssig, wurde eben dies doch auf den vorhergehenden 78 Seiten ausführlich gezeigt.

Seine traumatischen Kriegserfahrungen bei der Landung in der Normandie und die spätere Kriegsgefangenschaft ruinieren nicht nur Rays Gesundheit, sondern politisieren den vor seiner Einberufung naiv-idealistischen jungen Mann, der in den Krieg zog, um „den anderen Völkern [zu] zeigen, was Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte sind“, grundlegend.

Edna kann im Laufe der Handlung hingegen keinerlei politisches Verständnis oder auch nur Interesse entwickeln, obgleich sie soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sehr wohl erkennt und sich schon zu Beginn darüber ärgert, dass es sinnlos ist, einen Vergewaltigungsversuch des Juniorchefs anzuzeigen, weil der höhergestellte Angreifer als solcher vorhersehbar davonkommt. Und wenn sie sich sagt, dass sie „rechtlos“ ist und „[a]ll die großen, patriotischen Worte, die sie in der Schule gelernt hatte“, „für sie nicht [gelten]“, bleibt diese Erkenntnis ebenfalls folgenlos. Zwar ist sie sich darüber im Klaren, dass ihr „ganzes Leben“ „schlecht“ ist. Doch kann sie sich – durchaus nicht unrealistischer Weise – „keine Aussicht auf Besserung, Änderung, Erlösung“ vorstellen.

Später erweist sich Edna – obwohl an sich guten Herzens – als leicht korrumpierbar. Keine zwei Jahre, nachdem Ray für tot erklärt wurde, heiratet sie einen überaus reichen Arzt, vor dem sie sich gründlich ekelt und der sie sexuell zu quälen und zu missbrauchen pflegt. Zwar schwimmt sie nun in einem größeren Reichtum, als sie sich je hätte vorstellen können, doch „[j]e mehr sie hatte, desto mehr wollte sie“.

Sie sei „nur Hülle“ ohne jede „Persönlichkeit“, muss sich Edna einmal von einer renommierten Modedesignerin sagen lassen, die sich weigert, ein Kleid für sie zu entwerfen. Ob da nicht Titel und Thema des Anfang der 1930er Jahre erschienenen Romans von Hartwig-Manschingers Schwester Das Weib ist ein Nichts anklingen? Vielleicht. Doch kommt Edna allenfalls als weitläufige Verwandte von dessen Protagonistin Bibiana in Betracht. Jedenfalls muss sich Edna nach der unerwarteten Rückkehr des totgeglaubten Rays zwischen ihm und dem Leben an der Seite des zwar gehassten, aber reichen Arztes entscheiden.

Wird das Geschehen auch zumeist – und insbesondere zu Beginn – aus Ednas Sicht geschildert, so weitet sich die Erzählweise doch zur multiperspektivischen aus. Dabei versteht es die Autorin ausnehmend gut, die Innenperspektiven ihrer Figuren auszuleuchten. Neben Ednas sind dies insbesondere diejenigen Rays und seiner Mutter, deren je nach Lage der Dinge jäh wechselnden Gefühle gegenüber ihrer Schwiegertochter von Hartwig-Manschinger grandios in Szene gesetzt werden. Überhaupt werden die wichtigsten Figuren und ihre geheimen, manchmal sich selbst nicht eingestandenen Motive, ihre inneren Widersprüche, Wankelmütigkeiten und wetterwendischen Haltungen zueinander brillant dargestellt. Gelegentlich aber huscht die Autorin über den grundsätzlichen Gesinnungswandel einer Figur allzu schnell hinweg. Insgesamt ist ihr Blick auf und in ihre ProtagonistInnen jedoch sehr genau, so dass ihre ebenso vielschichtige wie tiefgründige Figurenzeichnung die Lesenden immer wieder in ihren Bann schlägt.

Alltagsvorgänge wiederum werden oft sehr akribisch und vollkommen emotionslos ausgebreitet. So etwa Schritt für Schritt die Abfolgen von Ednas Arbeitsvorgängen in der Fabrik. Ein Stilmittel, das die Lesenden die ermüdende Monotonie und Belanglosigkeit von Ednas Tätigkeit geradezu miterleiden lässt. Nicht weniger detailfreudig werden etliche dutzend Seiten später aber auch ein idyllischer Sonnenuntergang oder die Auslagen samt dem Treiben und Getriebensein der Kundinnen in einem großen Kaufhaus geschildert.

Nur selten einmal unterläuft der Autorin ein sprachlicher Missgriff. So etwa, wenn von „entartete[n] Nazihirne[n]“ die Rede ist. Zwar legt Hartwig-Manschinger die Wendung einer ihrer Figuren in den Mund, diese aber hält gerade eine Ansprache, die auch die ihre sein könnte.

Nicht zu Unrecht weist Vukadinović darauf hin, dass dem Roman aufgrund seinergeschlechterpolitischen Dimension“ eine „literaturhistorische Sonderrolle zu[kommt]“. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander, so wie es sich in den USA der 1940er Jahre aus – wie der Herausgeber sagt – „merklich europäischer Perspektive“ darstellte, wird nicht zuletzt in Ednas jeweiliger Beziehung zu ihren beiden Ehemännern literarisiert. Ray etwa genießt es schon vor der Hochzeit, dass sie in ihm einen „Halbgott“ sieht. Nach der Heirat schwelgt er in der „schöpferische[n] Befriedigung, einen Menschen zu formen“, und „erlebt[.] die heldenhafte Lust, ein schwaches Weib emporzuheben zu den sieghaften Pfaden eines starken Mannes“, ohne sie und ihre inneren Nöte dabei allerdings auch nur im Geringsten zu verstehen. Doch nicht nur in Ednas Beziehungen zu Ray und ihrem zweiten Gatten werden die in den USA herrschenden geschlechterpolitischen Zustände literarisch aufgegriffen, sondern etwa auch in der Darstellung von Rays Familie, deren „gediegener Wohlstand“ auf dem „guten, regelmäßigen Einkommen“ von Ray und seinem Vater sowie auf „dem Fleiß der beiden Frauen“ des Hauses beruht. „Natürlich halfen die Männer das Geschirr waschen, sie hielten auch die Garage in Ordnung, wuschen das Auto und machten die täglichen nötigen Reparaturen in Haus und Garten.“ Überhaupt „tat“ der 29-jährige Sohn stets „alles, was man ihm sagte, wenn er nicht zufällig rudern, Tennisspielen, schwimmen oder beim Pingpong war, tanzen ging oder mit dem Wagen den ganzen Tag wegfuhr“, wie es in einer der für den Roman nicht untypischen ironisierenden Formulierungen heißt.

Edna zufolge ist „[d]as Leben“ zwar „zu grausam für Worte“, Hartwig-Manschinger aber findet die rechten. Es ist dies nur einer der vielen guten Gründe, zu dem Buch zu greifen.

Titelbild

Grete Hartwig-Manschinger: Rendezvous in Manhattan. Amerikanischer Roman.
Das vergessene Buch – DVB Verlag, Wien 2021.
288 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783903244191

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