Im Zwischenreich

„Der Illusionist“ („The Illusionist“, 2006) – Neil Burgers fantastische Verfilmung von Steven Millhausers Erzählung „Eisenheim the Illusionist“

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

„[…] und manche sagten schon damals, Eisenheim sei gar kein Zauberer, sondern ein Hexenmeister, der seine Seele im Tausch gegen böse Kräfte dem Teufel verkauft habe.“ – Ende des 19. Jahrhunderts hat die Moderne das Leben in Europa fest im Griff. Und die Welt ist ins Wanken geraten. Alte soziale Verbindlichkeiten lösen sich auf, neue politische Unsicherheiten entstehen. Ein Ausdruck dieser Zeitenwende liegt in der sich steigernden Faszination für die Bühnenmagie, für die Illusion als publikumswirksame Schau. Als im kaiserlichen Wien der mysteriöse Eduard Abramovich, genannt Eisenheim (Edward Norton), auftaucht und seine Zauberkünste zum Besten gibt, liegt ihm alsbald die gesamte Stadt zu Füßen. Sogar Kronprinz Leopold (Rufus Sewell) besucht die Vorstellung. Beeindruckt schickt er seine Verlobte Sophie (Jessica Biel) auf die Bühne, um dem Meister zu assistieren. Doch nachdem ihr Spiegelbild während einer gespenstischen Perfomance ,getötet‘ wurde, ist nichts mehr wie zuvor.

Schon die Titelsequenz führt in eine beunruhigend fremde Welt, geboren aus Rauch. Wie handgekurbelt wirken die kurzen, flimmernden Filmausschnitte vom großstädtischen Leben zur Jahrhundertwende, wobei Vignettierung und Färbung nicht allein auf eine andere Epoche verweisen. Unter dem Eindruck von Philipp Glass’ elegischem Score scheinen sie Zeugnis eines vertrauten und gleichzeitig seltsam unbekannten Raumes zu geben. Dort, wo Geschichte und Abbild, Wirklichkeit, Wunsch und Wahn aufeinanderprallen, liegt das Reich der Magie.

„Doch wer vermag das Rätsel der Leidenschaft zu entwirren, die ein ganzes Leben infiziert […].“

Auf die Evokation dieser gewissermaßen zauberhaften Atmosphäre voller Unberechenbarkeit versteht sich der US-amerikanische Autor Steven Millhauser (geboren 1943), Repräsentant des magischen Realismus. Sein stilistisches Können, verbunden mit diffiziler Vorstellungskraft, machen vor allem aus seiner Kurzprosa einen geradezu artistischen Akt an literarischer Fantastik. Ein Traum, oft nahe am Alptraum; eine Realität, durchdrungen von Irrealität; eine Fiktion, geschaffen aus Fakten.

Regisseur Neil Burger, der für das Drehbuch Millhausers Erzählung „Eisenheim the Illusionist“ (1990) adaptierte, greift diese Stimmung auf und lässt sie zum Hintergrund für seinen raffiniert verrätselten Historienfilm werden. Während sich der nur 30 Seiten lange, irritierend sachlich geschilderte Originaltext auf die Figur des Eisenheim konzentriert, erweitert Burger die Story zu einem Liebes- sowie Kriminaldrama. Eduard, Sohn eines Tischlers, und die adlige Sophie verbindet seit Jugendtagen eine tiefe, alle Standesgrenzen überschreitende Zuneigung. Als sie sich nach 15 Jahren wiedersehen, wird aus Sympathie Liebe. Doch jetzt steht zwischen ihnen nicht allein der divergente gesellschaftliche Rang, sondern zudem der Kronprinz, ein jähzorniger Mann ohne Gewissen. Er repräsentiert die Macht im Staat, seine rechte Hand, Chefinspektor Uhl (Paul Giamatti) von der Wiener Polizei, setzt sie seinem Willen getreu um.

Vier Menschen, drei Interessen, zwei Wahrheiten, eine Intrige – die hitzige Gefühlsmelange führt zu einer Implosion der Leidenschaften und zu einem Mord, der freilich noch nicht das Ende bedeutet. Vielmehr markiert er den Beginn des Endes einer Ära, die sich selbst überlebt hat. Längst zeichnet sich ab, dass die Habsburger einstmals nurmehr Fata Morgana sein werden.

„Geschichten wie auch Zauberkunststücke werden erfunden, weil die Wirklichkeit unseren Träumen nicht angemessen ist […].“

Neil Burgers feinsinnige Regie besticht durch Eleganz. Es scheint, als würde er die unerhörte Absichtslosigkeit in Millhausers Erzählung in einen still fließenden Rhythmus umsetzen. Die edel ausgeleuchteten, samtenen Bilder von Kameramann Dick Pope geben der Dramaturgie zudem etwas schwebendes, heben sie auch über die eine oder andere unlogische Hürde hinweg, um eine Art Antiklimax zu erklimmen. Das Geheimnis liegt in dem, was niemals sichtbar wird. Wie das kühne Mysterium der Magie.

Tatsächlich ist „Der Illusionist“ dann am besten, wenn er sich ganz dem hypnotisch-sinistren Fluidum der Bühnenzauberei ergibt. Elitäre Leichtigkeit liegt in Eisenheims Gebärden während seiner Aufführungen, aber auch ein subtiles Moment der Dämonie, kann er doch scheinbar über die Naturgesetze gebieten, gar über Leben und Tod. Der düstere Theaterraum avanciert zum symbolischen Ort für Transzendenz, zum unheimlichen Schattenreich, offen und hermetisch zugleich. Wie Millhausers Erzählung. Das Publikum sitzt im Zuschauerraum, gebannt von Eisenheims Virtuosität; der Leser sitzt vor dem Buch, eingefangen von des Autors Geschick. Atemlos.

„[…] daß der Meister aus der bröckelnden Ordnung der Geschichte sicher in das unzerstörbare Reich von Mysterium und Traum eingegangen war.“ – Wie eine schwarzromantische Vision kommt die Geschichte daher, verstörend und faszinierend zugleich auch dank der Darsteller. Explizit in der Konfrontation von Eisenheim und Uhl bietet der Film ein nonchalant unterspieltes, brillantes Schauspielduell. Kurz mag Edward Nortons ruhige, schmale Silhouette täuschen und ihn auf intellektuelles Understatement reduzieren. Aber sein stolzer, grüblerischer Eisenheim trägt ein pochendes Brennen in sich, das ihn wie eine enigmatische Aura umhüllt und gelegentlich den Blick gefährlich flackern lässt. Ein Magier mit manipulativem, proteischem Verhalten.

Ihm gegenüber tritt Paul Giamatti als Polizeiinspektor Uhl, anfangs wie ein devotes Wiesel im Dienste der Krone wirkend. Gleichwohl ist er kein Dilettant. Für Prinz Leopold soll er Eisenheim aus dem Weg räumen, entpuppt sich während seiner Ermittlungen überraschenderweise als unkorrumpierbarer Fuchs, der klug genug sein wird, sich seinen Respekt für den noch Klügeren aufzuheben. Uhl mag Eisenheim wie einem Phantom nachjagen, aber er ist niemand, der den Lauf der Geschichte zugunsten von Vertuschung und Verbrechen aufhält.

„Eisenheim überschritt bewußt Grenzen und störte daher das Wesen der Dinge.“

„Der Illusionist“ beeindruckt mit/als Kinomagie, gewebt aus (Para-)Psychologie. In der Figur des Eisenheim treffen Wissenschaft und Esoterik zusammen, ohne sich gegenseitig zu behindern oder auszudeuten. Anfänglich tritt er mit spektakulären, aber letztlich wohl erklärbaren Tricks auf, später wird seine Zauberkunst abgründiger, bis sie offenbar in Spiritismus übergeht. Unter Verweigerung sämtlicher mechanischer Hilfsmittel erzwingt Eisenheim die immaterielle Manifestation von Verstorbenen auf der Bühne.

Mit diesen beklemmend echten Geistererscheinungen überquert er nicht nur Grenzen zwischen Kunst und Leben bzw. Trugbild und Tatsache, die als ewig gültig galten, sondern wagt es, wie Millhauser betont: „[…] die Grundfesten des Universums zu erschüttern, die Wirklichkeit zu untergraben und folglich etwas viel Schlimmeres zu tun: das Reich zu zerrütten“. Welch Gedanke: Gaukelei, getarnt als spirituelles Streben, ist Subversion! Gleichwohl trifft er Eisenheims Intentionen. Nicht von ungefähr wird er als Illusionist bezeichnet. Seine Profession ist mehr als Taschenspielerei, sie ist waghalsiges Hexenwerk, mit dem er Schicksale verändern will. Für ihn meint Realität nur ein instabiles Konstrukt, eine Täuschung, die verwandelt werden kann.

Und vielleicht ist das auch die einzig angemessene Weise, Wirklichkeit zu betrachten. Glaube nicht alles, was du siehst, aber vertraue stets auf die Macht der Magie.

The Illusionist (USA, Tschechien 2006). Regie: Neil Burger. Darsteller: Edward Norton, Paul Giamatti, Jessica Biel, Rufus Sewell

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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