Vorsicht vor Klappentexten

Skandinavische Krimis hatten ihre Konjunktur – und es sind großartige Romane dabei gewesen. Johan Theorins „So bitter kalt“ ist keiner von ihnen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sind nur wenige Momente, die darüber entscheiden, ob ein Buch gekauft wird. Ein Umschlag, der gefällt, oder die ersten Seiten eines Buches, oder gar der Klappentext, das Thema, das interessiert. Was das angeht, sollte man auf dem ersten Eindruck folgen: Wenn man einen Krimi schon ein zweites Mal anfangen muss, weil man über die ersten zehn Seiten nicht hinausgekommen ist, dann ist das ein schlechtes Zeichen. Und jetzt nach knapp 150 Seiten von 470? Es ist nicht besser geworden.

Was aber war versprochen? „Ganz und gar nichts für Schwache“, Stephen King wird bemüht, die Begegnung eines jungen Erziehers mit einem mehrfachen Mörder wird angekündigt, der dann auch noch einen irrwitzigen Plan hat. Psychologische Hochspannung, ein Duell, eiskalt soll es einem den Rücken herunterlaufen (das kennt man von Fieberschüben), am liebsten würde man nur noch bei brennendem Licht schlafen gehen, soll ein schwedischer Rezensent geschrieben haben.

Dass man solchen Versprechungen vorsichtig sein soll, dafür gibt es aber bereits hier ein paar Hinweise. Das mit der „psychologischen Hochspannung“ ist ein solcher, weil das heißt, dass man viel Einblick in das Innenleben eines der Protagonisten bekommt, mit dem am besten irgendwas nicht in Ordnung ist. Das wird auch ausdrücklich erwähnt, soll „So bitter kalt“ doch ein „Krimi über die Dunkelheit in einem Menschen“ sein. Das lässt Schlimmes befürchten.

Das Schlimme daran ist, dass im Buch selber dann vor allem dutzende Seiten folgen, in denen nichts passiert, auch nichts entwickelt wird, sondern nur die sogenannten Abgründe eines der Protagonisten vorgeführt werden. Meistens haben wir es dann mit Missbrauchsopfern zu tun, Gewalt in der Kindheit, Traumata, die nie überwunden wurden und jetzt ihren Ausdruck in einem bedauerlichen Fehlverhalten finden, oder dergleichen mehr. Sind Rücken- und Klappentexte durchschaubar? In jedem Fall. Aber vertrauenswürdig sind sie nicht.

Denn was bekommen wir in diesem Fall im Buch selbst? Ein junger Erzieher bewirbt sich an eine Vorschule, die einer psychiatrischen Klinik angeschlossen ist. Soweit ist alles in Ordnung, aber der junge Mann lebt offensichtlich in der Gegenwart von Kindern auf, während er gegenüber Erwachsenen gehemmt und unkommunikativ ist. Das ist nicht gut. Naheliegend gibt es da ein Geheimnis, das er mit sich herumschleppt: Das eigene Trauma wiederholen, ist das Thema hier, ist aber nochmal gut gegangen. Und ist schon lange her. Kommt aber sicher wieder. Aber wenn dann erwähnt wird, dass die Nachtschicht, in der der Erzieher mit den Kindern allein ist, eine Belohnung ist? Nachtigall, trapsend.

Warum sich der junge Mann auf eine solche Stelle bewirbt? Ein dunkles Geheimnis? Er sucht eine Sängerin, die er als Jugendlicher bewundert hat und die in der Klinik vermutet. Eine Obsession? Sicherlich. Nur schade, dass sie so umständliche Wege geht. Die Wohnung, in die Jan Hauger, so der Name des jungen Manns, zieht, ist entsprechend vollgestellt mit fremden Möbeln (Achtung, Unbehaustheit). Er arbeitet außerdem an einem Comic, in dem er eine Vierbande umbringen muss. Kann sein, dass da was im Argen liegt? Wir werden sehen, wenn wir weiterlesen.

Die Klinik selbst wird auch noch völlig abgeschottet. Das Personal darf nicht darüber reden, was dort vorgeht. Die Vorschule selbst ist dazu gedacht, Kindern den Minimalkontakt zu ihren in der Klinik behandelten Elternteilen möglich zu machen. Was also heißt, dass sie wöchentlich für eine Stunde in die Klinik gebracht werden. Dazu müssen sie durch einen Tunnel und mit einem Aufzug hochfahren – eine abenteuerliche Konstruktion, die wohl vor allem eines soll, darauf hinweisen, dass das alles nicht mit rechten Dingen zugeht hier. Das ist eine Art spätes Kafka-Schloss.

Und dann spricht ihn auch noch einer der Sicherheitsleute in einer Kneipe an und gibt ihm zu verstehen, dass sie nun endgültig die ganzen Verbote leid sind. Aha. Und ob er nicht mit ihnen jammen wolle. Hauger spielt nämlich auch ein bisschen Schlagzeug. Und man wolle die Briefe an die Insassen, die die Security immer zurückbehält, in die Klinik schmuggeln. Das kann ja was werden.

Dramatik also pur, könnte man denken. Das alles erfährt man im ersten Viertel des Krimis, der sich auf diesen Seiten aber nur mühsam durch das Bewerbungsgespräch und die ersten Arbeitstage quält. Einmal soweit gekommen, hat man zwar eine Reihe von Hinweisen darauf gesammelt, was da noch ans Licht kommen soll, aber unterhaltsam, ja kurzweilig ist das Ganze nicht im geringsten. Da hilft dann auch nicht, dass irgendwann ja noch der mehrfache Mörder auftauchen soll, mit dem es dann zum Duell kommt. Duelle sind immer spannend. Und am Ende sind sie alle tot. Das kann man abkürzen, indem man gleich hinten anfängt.

Titelbild

Johan Theorin: So bitterkalt. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann.
Piper Verlag, München 2012.
470 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783492055512

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