From Darkness to Light

Evelin Förster hat eine ebenso informative wie unterhaltsame Kulturgeschichte zu Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vorgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um die Jahrhundertwende wurden die dropouts jener Zeit von mehreren europäischen Großstädten geradezu magisch angezogen. Die nördlichste von ihnen lag mitten in Preußen. Die Rede ist natürlich von Berlin. Ihre Attraktion für politische Fantasten verschiedenster Couleur, diverse verkrachte Existenzen sowie „Rinnsteinkünstler“ und solche, die es werden wollten, verdanke die Stadt ebenso wie München, Wien oder Paris ihrer virulenten Bohème, die sich mit jedem Neuankömmling weiter steigerte. Die subkulturelle Gesellschaft all dieser Städte wurde seither in zahlreichen Publikationen geschmäht, gewürdigt, beleuchtet, analysiert und literarisiert.

Eine der jüngsten einschlägigen Publikationen hat nun Evelin Förster vorgelegt. Sie fokussiert auf einen ganz bestimmten Aspekt, der trotz aller bisherigen Veröffentlichungen zum Thema Bohème noch immer unterbeleuchtet war. Es ist die im Titel ihres Buches angesprochene „Frau im Dunkeln“, die sie ins Licht stellt. Genauer gesagt sind es die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts „im Genre Chanson und Unterhaltungskunst, einschließlich Filmmusik“ aktiven Autorinnen und Komponistinnen. So spielt der Titel denn auch auf eine Operette an, für die eine dieser Frauen, Eddi Beuth, die Verse schrieb.

Förster beansprucht nicht etwa, eine Geschichte des Deutschen Kabaretts oder ein „vollständiges Nachschlagewerk“ vorgelegt zu haben, sondern mit „neuen Ergebnissen und Erkenntnissen“ aufzuwarten, was ja auch nicht eben wenig ist. Und hiervon hat sie tatsächlich so einige zu bieten.

Der reich bebilderte Band setzt mit einer Einführung in die Berliner Kabarettkultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein, dem 19 Porträts teils sehr bekannter (Emmy Hennings, Else Lasker-Schüler, Erika Mann), teils semibekannter (Alice Berend, Margarete Beutler, Mascha Kalénko) und teils so gut wie unbekannter einschlägiger Künstlerinnen  des Berliner Kabaretts (Ruth Feiner, Hedy Knorr, Käthe Kongsbak, Henry Love) folgen. Sie bilden den Kern des Buches. Förster hat die knapp zwanzig Frauen, von denen nicht wenige auch im Genre des Chansons, der Operette und im frühen Tonfilm tätig waren, aus weit mehr als 100 von ihr aufgefundenen einschlägigen Künstlerinnen mit dem Ziel ausgewählt, anhand ihrer Zusammenstellung „die verschiedenen inhaltlichen Auseinandersetzungen innerhalb des Genres Unterhaltung zu verdeutlichen“.

Interessanter noch als die Porträts der namhaften sind erwartungsgemäß diejenigen der vergessenen Künstlerinnen. Denn aus ihnen erfährt man nicht nur manches bislang unbekannte Detail zum Leben und Werk der Frauen, sondern überhaupt erst einmal von ihrer schöpferischen Existenz. Unterhaltend aber sind alle Porträts. Zumal einige der lyrischen Texte und Reproduktionen zahlreicher Bilder – Fotos und Plakate – aufgenommen wurden. Förster hat dafür eine immense, sich über etliche Jahre erstreckende Recherchearbeit auf sich genommen, deren Früchte sie den Lesenden nun gut aufbereitet offeriert. Auch wer nur geringes Interesse für das Kabarett oder kunstschaffende Frauen aufbringt, wird das Buch mit großem Gewinn lesen. Dass Franziska zu Reventlow zum „Kreis der Berliner Bohème“ gehörte, trifft allerdings nicht zu.

Ein ebenso umfangreicher wie informativer Anhang beschließt den Band. Neben Werkverzeichnissen der Künstlerinnen bietet er etwa Wort- und Sacherläuterungen von der „Asphaltliteratur“ bis zur Ufa, lexikalisch aufbereitete Informationen zu Zeitschriften und Zeitungen sowie zu Kabaretts, Spielstätten und Künstlertreffs darunter das Kabarett „Bonbonnière“ in München, das „Roland“ und den KüntlerInnentreff „Zum hungrigen Pegasus“ in Berlin oder das „Weinrestaurant Dalbelli“. Dass nicht alle einschlägigen Stätten aufgenommen werden konnten und man daher die eine oder andere wie etwa die Berliner Bohèmekneipe „Zum schwarzen Ferkel“ vergeblich suchen wird, versteht sich.

Eine Vielzahl unbekannter Namen bieten die „Kurzbiographien weiterer Künstlerpersönlichkeiten“. Doch muss man auch prominente Persönlichkeiten wie Hugo Ball und Johannes R. Becher, Hedwig Dohm und Sergej Eisenstein nicht missen. Nachdem die nationalsozialistische Tyrannei „die ungeheure künstlerische Vielfalt der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts“ aus dem kulturellen Gedächtnis getilgt hat, liege es an uns, „all jene wieder ans Licht zu holen, die durch ihren künstlerischen Facettenreichtum Berlin zu dem gemacht haben, was es einmal war: eine Weltstadt der Kunst und Kultur.“

Dazu hat Förster mit dem vorliegenden Band bereits nicht eben wenig beigetragen. Gerade viele der Künstlerinnen sind „zu Unrecht vergessen“, wie sie betont. „Einige von ihnen“ wurden mit dem vorliegenden Band „aus dem Dunkel ans Licht geholt. Aber es sind noch viele, die ungenannt blieben – vorerst.“ Diese Worte, mit denen der Band schließt, klingen wie ein Versprechen. Sie wecken die sicherlich berechtigte Hoffnung, mehr von diesen in der Finsternis des Nationalsozialismus vermissten Künstlerinnen zu hören – und mehr von der Autorin.

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Evelin Förster: Die Frau im Dunkeln. Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901-1935.
Edition Braus Berlin Gmbh, Berlin 2013.
416 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783862280575

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