Von Katastrophen und Gerüchten

Essays und Theatertexte von Kathrin Röggla

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 1995 hat Kathrin Röggla erstmals mit der Buchpublikation „Niemand lacht rückwärts“ die Aufmerksamkeit der Kritik gewonnen. In ihrem „Erstling“ zeigte sie (und natürlich in den einzelnen verstreuten Veröffentlichungen davor) bereits ihr virtuoses sprachspielerisches Können. Seit dieser lyrischen Prosa fühlt sie sich in verschiedenen literarischen Gattungen wohl. Dies bestätigt auch ein Blick auf ihre Auszeichnungen, die von der Anerkennung ihrer Prosa über Theatertexte bis zum literarisch-politischen Engagement zeugen. Sie verfasste einen Hypertext, eine Vielzahl von Radiobeiträgen und scheint laufend neue Projekte zu finden, in denen sie die Grenzen „herkömmlicher“ Literatur zu überschreiben versucht, wie es unter anderem die Veröffentlichung von „tokio, rückwärtstagebuch“ durch Texte, Fotos und Zeichnungen in Zusammenarbeit mit Oliver Grajewski beweist.

Deshalb ist Kathrin Röggla keine Autorin, die zu Hause in vier Wänden ihre Texte schreibt, sondern vielmehr eine ethnografische Forscherin, die im Feld beobachtet und daran teilnimmt sowie in verschiedensten Textsorten ihrem fragenden literarischen Blick Ausdruck verleiht. Damit stellt sie sich in die Tradition des von ihr oftmals zitierten Schriftstellers Hubert Fichte, der auch mit wissenschaftlichen Methoden gesellschaftlichen Phänomenen nachspürte. Wie auch Fichte in seinen Interviews für das Radio („Interviews aus dem Palais d’Amour“), ethnografischen Romanen (etwa „Explosion. Roman der Ethnologie“ im Zyklus „Die Geschichte der Empfindlichkeit“) oder literarischen Beschreibungen fremder Kulturen (zum Beispiel „Ein Forschungsbericht“) seziert Röggla die Gegenwart sowohl unter einem literarischen als auch wissenschaftlichen Mikroskop.

Ihre Kunstforschung lässt sich als ästhetische Wissenschaft begreifen, die zeigt, dass Kunst und Wissenschaft nicht getrennt voneinander gesehen werden dürfen, sondern Hand in Hand gehen. Dies zeigt auch ihr neues Buch, das verschiedene, zum Teil schon an anderer Stelle erschienene Texte zusammenfasst und für Lesende erstmals thematisch mit drei neuen Texten aufbereitet wurde.

Mit dem Buch gebenden Text „Besser wäre: keine“ thematisiert Röggla die Katastrophenindustrie. Dieses Thema ist auch der Haupthandlungsstrang in den einzelnen Texten des Buches. So beschreibt sie verschiedene Filme und deren Annäherungen und Verhandlungen mit einem wohl der bedeutendsten Phänomene unserer Zeit. Der Katastrophe beziehungsweise den vermeintlichen Nachwirkungen derselben und den die dafür eingesetzten Helfenden ist sie auf der Spur, ganz egal ob sie als Literatin zu einem Lesetermin nach Usbekistan oder als Interviewerin für neues Material nach New York unterwegs ist.

In ihrem Theatertext „die unvermeidlichen“ beginnt ein „chor“: „gibt uns jemand mal ein briefing, was da eben los war? sagt uns jemand mal, was wir verpasst haben? wir steigen doch erst jetzt ein, und das würde uns unheimlich helfen. d. h., so ungebrieft können wir nicht arbeiten, da wissen wir gar nicht, wo wir ansetzen sollen, wie wir das verstehen sollen, also all die anspielungen, die indirektheiten, die bezugnahmen.“

Wir sind angewiesen auf Informationen und lassen unseren Alltag von ihnen bestimmen. Die Strukturen, die sie in unseren Handlungen hinterlassen, treten in Rögglas Texten hervor und werden dadurch transparent. Wer bestimmt darüber, was wir wissen? Wer sind die Menschen, die uns Bescheid geben? Und wer bestimmt über die Themen, die unsere Kommunikation bestimmen? Mehrere Fragen schweben beim Durchlesen der Texte in der Luft. Die skizzierten Figuren warten auf den Befehl zur Revolution, dabei wissen sie aber nicht, ob sie laufend von vorne beginnen oder alles bis zum Schluss machen. Beginn und Ziel haben sich in der überschüssigen Informationswelt aufgehoben. Eigenständig zu denken scheinen die Personen Rögglas nur in Ausnahmefällen; in Katastrophenfällen?

Die Sprache, unser Handeln und der Alltag, in dem wir beides vollziehen, ist von Kümmerlichkeiten geprägt, die uns von einer Katastrophe in eine andere schlittern lassen. Am vielleicht Veranschaulichsten beschreibt das Röggla in ihrem Text „die unvermeidlichen“. In diesem Theatertext sind nämlich Dolmetscherinnen und Dolmetscher verschiedener Nationalsprachen vereint und durch Übersetzungskabinenwände getrennt. Dabei ist es nebensächlich, dass die Figuren „der engländer“, „die französin“ oder „die russin“ sind. Im Vordergrund stehen die Stimmen, die sich eigenständig machen und den Menschen entfliehen. Die Technik steht den Personen gegenüber, die Stimmen den Körpern. Hier erreicht die Katastrophe, durch sprachliche Kommunikation initiiert, ihren Höhepunkt, da die Übersetzungen nie das bezeichnen können, was in der Ursprungssprache benannt wurde. Mit Hilfe der diversen Nationalsprachen führt die Autorin vor, dass wir alltäglich von einer Sprachkatastrophe in die Nächste schlittern.

In ihrem letzten Textbeitrag schreibt die Autorin über das Lesen und die sinnliche Erfahrung desselben. Doch lässt sich in keiner Weise festhalten, dass die Lesenden durch den Text eine Wirklichkeit erleben können. Man müsse vielleicht eine Ästhetik des Missverständnisses für die Literatur verfassen. Eine Ästhetik, die dem unaufhörlichen kommunikativen Abgrund, dem Stottern und Stören, nachspüre. Einen Text über Realismus würde sie mit dem Begriff des Gerüchtes untermauern, da in seinem unsichereren Wesen Reales steckt. Märchen arbeiten zum Beispiel mit einer Strategie der Unsicherheit beziehungsweise des Möglichen. So heißt es am Anfang von Märchenerzählungen schon fast beschwörend „es war einmal“. Auch die Phrasen „man sagt“ oder „es wird erzählt“ tragen gerüchtweise zum Bild des Realen bei. Die „sprachlichen Kümmerformen“ sollten wir am stärksten hinterfragen, vielleicht wäre das der angebrachteste Weg.

Wenn Rögglas Texte eines durchzieht, dann ist es die Unsicherheit, die den Lesern und Leserinnen schlussendlich nach den Berg- und Talfahrten der medialen Katastrophen und gesellschaftlichen Urteilen sowie Vorurteilen bleibt. Eine Unsicherheit der Lesenden, die sie aktiv bereinigen müssen. Eine Anleitung, welcher der zitierte „chor“ erwartet, gibt es dabei nicht.

Kathrin Rögglas feinfühliger literarischer Blick wandert. Er wandert zwischen Ländern, Sprachen und literarischen Genres. Egal ob in Essays, Theaterstücken oder kurzen Erzählungen, sie spürt dem Zeitgeist nach und dekonstruiert ihn. Katastrophen werden nicht, falls überhaupt durch aktuelle Finanzkrisen erzeugt. Ebenso wenig sind Katastrophen weit entfernt und haben mit unserem Alltag nichts zu tun. Sie können durch unsere Sprache entstehen und sehr wohl unser alltägliches Handeln bestimmen.

Natürlich ist auch die Autorin ein Teil der Sprache, der Erzählung und somit ein Teil der sprachlichen Katastrophe. Die Position der schreibenden Autorinnen und Autoren muss in der Beziehung Realität und Fiktion laufend neu überdacht werden. Eine Leistung, die Röggla in ihren Texten kontinuierlich bewerkstelligt, weil sie sich nicht hinter den Worten versteckt, sondern auch sich selbst als Schreibende thematisiert.

Titelbild

Kathrin Röggla: besser wäre: keine. Essays und Theater.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013.
410 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783100660626

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