Feiern, bis die Liebe kommt

Baz Luhrmanns „Der große Gatsby“ ist ein bombastisch-berauschendes Popmärchen

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Schräg, schnell, schrill: In „Der große Gatsby“ präsentiert Regisseur Baz Luhrmann eine Inszenierung, wie er sie am besten kann. Eine der größten Liebesgeschichten der Weltliteratur wird bei ihm zur exzessiven Party – mit sehr viel Prunk und noch mehr Coolness.

Doch das Wichtigste zuerst: Den großen Gatsby spielt ein großer, ja grandioser Leonardo DiCaprio. Selbst wer dem Film nicht wohlgesinnt ist, sei es aufgrund des Pomp-Overkills oder der unsubtilen Champagner-, Schmuck- und Modeschleichwerbung, wird diese Tatsache nicht bestreiten können. Bei DiCaprio, der den mysteriösen Dandy Jay Gatsby spielt, stimmt jede Pose, jede Mimik. Allein ihm zuzuschauen ist einen Kinobesuch wert. Wie ein einsamer und verwunschener Prinz tritt er auf: Hat sich ein Märchenschloss im Disney-Stil gekauft. Schmeißt in Amerikas Roaring Twenties Partys, Partys, Partys, auf denen gefeiert, getrunken und getanzt wird, als ob es kein morgen gäbe. Sein Monogramm ist in den Boden seines Hauses und seines Pools eingraviert, eine monströse Orgel erglänzt in Gold. Dieser Gatsby ist die personifizierte Dekadenz, besitzt so vieles und ist doch verflucht, weil er seine große Liebe Daisy (einen Tick zu mädchenhaft: Carey Mulligan) nicht haben kann, obwohl er sich ein ganzes Leben mit ihr erträumt hat. Einst waren er und Daisy ein Liebespaar. Doch vom Krieg und Klassenunterschied getrennt, heiratet sie einen der reichsten Junggesellen Amerikas, Tom Buchanan (passend schmierig: Joel Edgerton) und führt seither eine exemplarische High-Society-Existenz. Obwohl ihr Mann sie betrügt, funktioniert diese Ehe auf ihre Weise, sie ist besiegelt durch einen Vertrag des alten Geldes und der noblen Herkunft. In romantischer Radikalität trotzt Gatsby dieser Tatsache, ist fest dazu entschlossen, die Vergangenheit nachträglich umzuschreiben und seine Zukunftsvisionen wahr werden zu lassen. Daisy, so will er sich und ihr glauben machen, habe Tom niemals geliebt, stets nur ihn, ihn allein. Die Sehnsucht und Sturheit, seinen Traum in die Realität umzusetzen, ist der tragische Grundpfeiler der Geschichte. Alles was Gatsby macht, macht er für diese unerfüllte Liebe. Seine Partys, seine Show, die ganze Fassade ist einzig und allein dazu errichtet, um Daisy wiederzusehen und ihr diese Wahrheitsvariante „klar zu machen“, wie er sagt.

Von seinem Haus aus kann er ihr Prachtanwesen auf der anderen Seite der Bucht sehen. Wenn er danach Ausschau hält, erkennt er ein grünes, magisch anmutendes Licht, das einer romantischen Blauen Blume gleich zum zentralen Sehnsuchtssymbol wird. Wenn es aufleuchtet, kann er danach greifen, als sei es der Sternenhimmel. Schon in Luhrmanns „Moulin Rouge“ stand die Grüne Fee für überschwängliche Absinth-Träume ein. Grün ist die Farbe der Hoffnung und die unerschütterliche Hoffnung Gatsbys ist es, die dieses Licht schließlich versinnbildlicht. Es ist signifikant, dass es in dem Moment, da Daisy tatsächlich in seiner Gegenwart weilt, erlischt. Kennt man die weltbekannte Geschichte F. Scott Fitzgeralds nicht, die amerikanische Schüler so durchpauken wie die deutschen den „Faust“, so ahnt man spätestens hier: Dieses Märchen nimmt kein Happy End.

Fitzgeralds Roman, eine Great American Novel par excellence, an deren Wirkungskraft und Größe sich zeitgenössische Autoren immer noch herankämpfen, kratzt an der Glitzerfassade einer Ära, in welcher der Amerikanische Traum bereits alptraumhafte Züge angenommen hat. Einem moralisch begrüßenswerten Freiheitsstreben ist zur Zeit der wirtschaftlichen Konjunktur eine maßlose Gier nach Geld gewichen. Zwei alte Weisheiten lassen sich sowohl im Roman als auch im Film deutlich ablesen: Geld regiert die Welt. Und doch sind weder Liebe noch Glück käuflich.

Als der vom sündigen Leben New Yorks noch nicht infizierte Nick Carraway (angenehm unschuldig: Tobey Maguire), ein Cousin Daisys, in das Haus neben Gatsby zieht, wittert der Millionär seine Chance und spannt ihn für seine Zwecke ein. Aus einer Einladung zum Tee wird ein penibel arrangiertes Wiedersehen, das zu einer der besten Szenen des Filmes gehört. Der sonst so coole Dandy wird nervös, als er auf seine nichtsahnende Geliebte wartet. Die Fähigkeit, emotionales Unbehagen auf die große Leinwand zu übertragen, zählt zu den unangefochtenen Stärken Luhrmanns – hier wird die Verlegenheit der beiden Hauptfiguren geradezu spürbar. Doch Gatsbys Plan scheint zunächst aufzugehen: Das Liebeskarussell von einst beginnt sich erneut zu drehen und fast neidvoll begleiten wir dieses Paar, das in Luxus schwelgen und das süße Leben genießen kann. Doch es fehlt das rechte Maß. Wenn Lana del Ray ihren Titelsong „Will you still love me when I’m no longer young and beautiful“ zum neu entfachten Balztanz haucht, hat sich bereits die Melancholie der Vergänglichkeit eingeschlichen. Exzess kann, auch in emotionaler Hinsicht, nicht von Dauer sein. Luhrmanns opulente Inszenierung reflektiert diese gewiss auch dem Zeitgeist geschuldete Unfähigkeit zum Innehalten und zur Demut. Gatsby, der alles will und seiner eher charakterschwachen und verwöhnten Daisy zu viel, nämlich ein vollkommenes und über alles erhabenes Liebesgeständnis abverlangt, gerät auf der permanenten Überholspur seines Lebens ins Schleudern. An einem viel zu heißen Sommertag eskaliert die Ménage-à-trois und der Film wird kurzzeitig zu einem brillanten Kammerspiel: In einer Suite des Plaza Hotels fechten Buchanan und Gatsby den Kampf um Daisy aus. Altes Geld prallt auf neues, grobe Überheblichkeit auf sensible Romantik. Wenn die Männer für Daisy das Wort ergreifen, die dem hysterischen Zusammenbruch nahe zur leeren Projektionsfigur für maskulines Begehren wird und selbst weitestgehend schweigt, so zeigt sich, wie viel autonomes Sprechen mit Macht zu tun hat. Es offenbart sich die naive Skrupellosigkeit dieser Daisy, die sich für ihre Tochter wünscht, ein dummes Hübschchen zu werden, weil dies für eine Frau das Beste auf der Welt sei. Die wenigen Sätze, die sie sagt, reichen aus, um Gatsby, der ihr sein Leben in Wirklichkeit und mehr noch im Geiste gewidmet hat, in die emotionale Hölle zu stürzen. Von da an wirkt nicht mehr der Rausch des Geldes, sondern der unausweichliche Sog des Todes.

Carraway, dessen Erinnerungen die Rahmenerzählung der Handlung bilden, spricht von der Gabe der Hoffnung, die Gatsby wie kein Zweiter besitzt. Die ganze Tragik dieser wirklichkeitsverleugnenden Hoffnung offenbart sich in der Schlussszene. Gatsby geht in seinem Pool schwimmen, der wie in so vielen Filmen, nicht zuletzt auch in Luhrmanns „Romeo + Julia“, ein erotischer, intimer Raum ist, der eine Schlüsselfunktion besitzt. Als die überspannte Liebe zwischen ihm und Daisy ganz offensichtlich schon gekippt ist und der Herbstwind verwelkte Blätter schickt, die das Ende dieses irrsinnigen, überhitzen Sommers besiegeln, klingelt zum letzten Mal das Telefon. Für Gatsby besteht kein Zweifel, dass dies der Ruf der Geliebten ist. Er wird die Wahrheit nie erfahren. Und so schließt der Film mit einer weiteren alten Weisheit: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Der große Gatsby. USA/Australien 2013. Regie: Baz Luhrmann. Buch: Baz Luhrmann, Craig Pearce. Mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan. 142 Minuten.

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