Radikalität als Schicksal

Das Filmdrama „Tabu – Es ist die Seele… ein Fremdes auf Erden“ (2011) reduziert das kurze Leben des österreichischen Lyrikers Georg Trakl auf dessen quälende (inzestuöse) Verbindung zur Schwester

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Manche Kinoplakate sind bedeutungsschwer: Da blickt eine junge Frau traumverloren durch ein mit Gardinen verhangenes Fenster, darunter das Bild eines jungen Mannes in der Hocke, der betroffen moosbewachsene Felsen anstarrt. Man weiß sofort, hier droht Unheil. Es wird nicht nur an der Liebe, sondern gleich am ganzen Leben gelitten. Soviel freudlos-selbstvergessene Trance führt niemals zu einem guten Ende.

Anders könnte es auch kaum sein, weil „Tabu“ von Georg Trakl handelt, diesem von resignierender Verzweiflung heimgesuchten Mann, diesem drogenabhängigen Getriebenen, diesem literarischen Genie. Sein schmales Gesamtwerk hat ihm, einem der bedeutendsten Frühexpressionisten deutscher Sprache, zwar einen Platz im Olymp der Poesie verschafft, aber keinen im populären Wahrnehmungsbereich. Trakls symbolistisch-dunkle Gedichte sind in ihrer schwebenden Atmosphäre des Irrealen nämlich ausnehmend verrätselt und ungeheuer schwermütig. Passend dazu führte er eine von Ängsten und Depressionen dominierte Existenz, der 1914 nach nur 27 übermäßig kräftezehrenden Jahren ein tragisches Ende gesetzt wurde. Wohl durch Selbstmord.

Scheitern bringt Erlösung

Jene in ihrer exaltierten Misere geradezu spektakuläre Biografie nutzt Drehbuchautorin Ursula Mauder wie einen historisch verbürgten Rahmen, um eine weitgehend erfundene Geschichte über (Geschwister-)Liebe als Akt elementarer Selbstzerstörung zu entwerfen. Tatsächlich pflegte Trakl eine höchst innige Beziehung zu seiner Schwester Grete, wobei der Inzest zwar wahrscheinlich ist, jedoch unbeweisbar bleibt. „Tabu“ hingegen macht die Fiktion zum Fakt, probiert sich an der Darstellung von Maß- sowie Bedingungslosigkeit und bastelt gleichzeitig am Bild des gepeinigten Poète maudit.

Georg Trakl (Lars Eidinger), aufgewachsen in Salzburg, kann weder mit noch ohne Grete (Peri Baumeister) leben. Er flieht zur Pharmazieausbildung nach Wien, wohin sie ihm für ein Musikstudium alsbald folgt. Beider Liebe ist ebenso absurd absolut wie ohne jede Chance auf Zukunft, weshalb der manisch leidende Trakl die ungestüm-emphatische Grete zu einer Hochzeit mit ihrem Professor Albert Brückner (Rainer Bock) drängt. Sie fügt sich. Gleichwohl kommen die zwei nicht voneinander los. Ihr Dasein ist derart ineinander verhakt, dass nur der Tod sie trennen kann. Erst das Scheitern bringt Erlösung.

Leid, Schuld, Verfall und Tod sind in ihrer beherrschenden Schicksalhaftigkeit primäre Motive in Trakls lyrischem Universum, gegen die auch eine ohnehin fatale Liebe nichts mehr ausrichten kann. Eine ähnliche Radikalität strebt auch Regisseur Christoph Stark an, bleibt inszenatorisch allerdings narrativer wie visueller Konvention verpflichtet. Sinnlichkeit und Wahn, Leidenschaft und Zerrissenheit werden eher demonstriert als ausgedeutet, so wie Hauptdarsteller Lars Eidinger sich Trakls ruhelose Hypersensibilität mehr erspielt, denn erfühlt. Theatrale Wucht quillt ihm aus jeder Pore, Freude an schwierigen Rollen, Hingabe an die schauspielerische Herausforderung. Doch Ausstellung eines Charakters durch Mimik und Gestik ist nicht identisch mit der geistigen Hingabe an einen komplizierten, zutiefst melancholischen Menschen.

Ohnehin will „Tabu“ kein authentisches Künstlerporträt konzipieren, sondern sich mit intendierter Tiefgründigkeit an übergroßen Gefühlen, an Obsessionen jenseits gesellschaftlicher Normen abarbeiten, die die Betroffenen zu Außenseitern machen. Gleichzeitig befeuert der Film den Mythos vom besessenen Künstler, der Schmerz und Sehnsucht zur Reife benötigt. Solch allzu einfacher Kurzschluss zwischen Lebensweg und Werk mag griffig sein, auch durchaus medienwirksam vor hübsch klischeehafter Bohème-Kulisse, wird aber keineswegs der Komplexität eines Dichters wie Georg Trakl gerecht. Immerhin zeichnet sich dessen Œuvre durch kunstvolle Vieldeutigkeit bis hin zu hermetischer Metaphorik auszeichnet.

Suggestive Poesie

Den verirrt Suchenden und verloren Liebenden, also das archetypisch menschlich Abgründige, welches die Kreativen hinter „Tabu“ offensichtlich aufstöbern wollten, lässt sich nur schwer einfangen. Auch Bogumil Godfrejow gelingt es trotz seiner ambitioniert atmosphärischen Kameraarbeit nicht wirklich. Zwischen den grandios suggestiven Worten Trakls – teilweise werden Auszüge seiner Gedichte rezitiert – und den gewollt bedeutungsschweren Bildern besteht eine unüberwindliche Diskrepanz. Während Trakl in seiner Poesie ambivalente Sinnkorrespondenzen einer autonomen Welt voller magisch-mystischer Zusammenhänge heraufzubeschwören verstand, bleibt die Dramaturgie von „Tabu“ der bewussten Sichtbarkeit verpflichtet. Sie versteht Intensität, ob Liebe als Qual oder Leben als Hölle, nur als etwas physisch Greifbares und visuell Anschauliches. Da markieren Georg und Gretes geheime Ausflüge in wildromantische Schluchten den Gipfel des Verbotenen und sind die zerzaust in Trakls Stirn hängenden Haarsträhnen der Ausdruck heftigster innerer Konflikte.

Dies ist vielleicht keineswegs als Kritik zu verstehen. Nicht, weil Film ein visuelles Medium ist und an das Bild gebunden wäre, denn bekanntermaßen kann Kino mehr als ,zeigen‘. Sondern weil es für Trakls Sprache möglicherweise keine adäquate Optik gibt und die Konzentration auf einzelne biografische Splitter wiederum keinen zwingenden Rückbezug auf den Künstler zulässt. In Anbetracht von „Tabu“ möchte man einen unter Cineasten untypischen Ratschlag geben: Schauen reicht nicht aus, besser auch Trakls kühne Lyrik lesen.

„Tabu – Es ist die Seele… ein Fremdes auf Erden“ (Österreich, Luxemburg, Deutschland 2011). Regie: Christoph Stark. Darsteller: Lars Eidinger, Peri Baumeister, Rainer Bock, Petra Morzé

Laufzeit: 94 Min.

Verleih: Lighthouse Home Entertainment

Format: DVD / Blu-ray (Erscheinungstermin: 27.3.2013)

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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