Quo Amis?

Über Martin Amis’ Roman „Die schwangere Witwe. In der Geschichte“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um Aufbau und Anlage dieses Romans befriedigend einordnen zu können, scheint es mit Bedacht auf den etwas spezieller angelegten Sachverhalt angeraten, einen Blick auf die jüngste Vergangenheit zu werfen – jedenfalls soweit sie Martin Amis und dessen komplexe Beziehung zur Literaturkritik betrifft.

Amis nämlich vermerkt angesichts der mehr als berechtigten Verrisse seines 2003 erschienenen Romans „Yellow Dog“: „Ich glaube, die brutale Rezeption von ‚Yellow Dog‘ hat gezeigt, dass Satire tot ist. Sie ist so entschieden gegen den Geist der Zeit, und je mehr das Leben selbst zur Satire wird, desto aufgebrachter sind die Leute, wenn man ihnen das auch noch sagt. Satire handelt von Ungleichheit, von boshafter Ungerechtigkeit und von dem, was Ärger und Empörung erregt. Davon zu reden ist heute nicht sehr populär.“

Abseits der für Amis sicherlich undenkbaren Idee, sein Roman könne einfach missraten sein, stellt er weiter fest, die Zeit sei satirisch genug, weshalb die Kunst andere Formen finden müsse – wobei die Definition von Satire an dieser Stelle unklar und zumindest diskutabel ist: eher ist wohl von der Ironie die Rede, die in der Tat das Werk von Amis durchzieht. Zudem verwundert die Meinung Amis’ ein wenig, immerhin geht es ihm hoffentlich in seinem Schreiben nicht allein um Popularität.

Interessanter für uns ist aber die Folgerung, die Amis aus den Thesen zieht: Wenn die Phase der Satire vorbei ist, wird es daher also auch für Amis Zeit, eine neue Kunstauffassung zu entwickeln. Und folgerichtig entwirft der Engländer im nächsten Roman „House of Meetings“ (2006) eine neue Form der Ernsthaftigkeit, allein: Er geht den einfachen Weg, wendet sich nämlich dem Gulag zu und damit einem zeitgeschichtlichen Kapitel, welches die Ironie geradezu verneint oder wenigstens erschwert. Amis selbst erklärt dies mit der Problematik des Schreibens überhaupt: „Es ist schwierig, über einen historischen Zeitraum zu schreiben, während man ihn noch durchlebt. Man ist zwar erfüllt von unmittelbaren Eindrücken, aber die Phantasie, wie Norman Mailer richtig sagte, kann auf diese Eindrücke nicht schnell genug reagieren.“

Aber letztlich ist dies eine unbefriedigende Antwort, wie ja auch der Rückbezug auf ein derart aufgeladenes historisches Geschehen wie den Gulag eher einen Rückschritt markiert (abseits der Ahnung, dass es Amis hier vor allem um eine Auseinandersetzung mit dem berühmten Vater ankommt): Eine Zeit, die selbst satirisch oder ironisch geworden ist, eine solche Zeit mit Hilfe der Literatur zu fassen zu versuchen, muss nicht im Gulag enden, also literarisch. Dass sie aber im Falle des in letzter Zeit so glücklosen Amis eben doch hier vorläufig endigte, gibt Zeugnis ab von der Krise, in die er sich manövriert hatte.

Und nun also „Die schwangere Witwe“, die das Unmögliche versucht, nämlich die Ernsthaftigkeit des Gulag mit einem Thema zu vermählen, welches eigentlich nach ironischer, ja zynischer Distanzierung schreit: die sexuelle Revolution ist es nämlich, genauer der Sommer des Jahres 1970, die Amis nun ins Visier nimmt. Und wie immer konzentriert er sich auf ein überschaubares Ensemble, nämlich einige junge Engländer und noch weniger Italiener, die in gemeinsam in einer Villa in eben Italien Lust und Frust der sexuellen Befreiung exerzieren: wer mit wem warum und wie oft; und so weiter. Doch wer boshafte Beschreibungskunst erwartet, der wird schon in der Einleitung eines Besseren belehrt, denn: „Dies ist die Geschichte eines sexuellen Traumas“, hebt die Mär vom jungen Engländer nüchtern und gewichtig an, der zwischen zwei Frauen pendelnd die Emanzipation als sexuelle Auf- und Entladung zu begreifen versucht. Man liegt am Pool, zieht sich aus und wieder an, gähnt, reckt die jungen Leiber in der weißlich-gelben Sonne und lässt kaum erahnen, dass hinter den Kulissen ein Krieg stattfindet – oder zumindest eine blutige Revolution, was ja einem Krieg sehr nahe kommt.

Denn dies ist ja These des Romans, dass nämlich diese Idylle der 68er, in welcher alle Forderungen nach Gleichberechtigung und sexueller Erlösung immerhin für einen Sommer eingelöst werden, in Wahrheit eine Art Kulturrevolution bedeutet, in welcher jeder Beteiligte nicht nur völlig verschobenen und gar haltlos gewordenen Kontexten gegenübersteht, sondern auch die Definition des Selbst in Frage gestellt sieht, vor allem natürlich in geschlechtlicher Hinsicht.

In eben diesem Sinn reflektiert sich Keith Nearing, der junge Engländer zwischen zwei Frauen, aus der sexuellen Atmosphäre immer wieder hinaus in die Zusammenhänge gesellschaftlicher und künstlerischer Art: Nebenbei lesen nämlich so gut wie alle englische Klassiker der Literaturgeschichte und diskutieren diese unter den neuen Prämissen, vor allem natürlich mit Verweis auf die obsolet gewordenen Rollenklischees. Das ist natürlich bereits in der Anlage völlig überzogen, aber sicherlich erhellend und nicht ohne Charme, verlangsamt jedoch das Tempo des Romans enorm, bis der Leser irgendwann das Gefühl hat, mit der Handlung auf der Stelle zu treten – wobei auch dies sicherlich zum Konzept gehört, findet in der promiskuitiv gestalteten Freizeitgestaltung eben keine tatsächliche und wahrhaftige Entlastung statt: das Hosenlatzschließen ist eigentlich nur Vorspiel zum abermaligen Hosenlatzöffnen.

Es ist eine höchst experimentelle Anordnung, die Amis hier ausbreitet und die einiges an Geduld abverlangt: Die betonte Ernsthaftigkeit verträgt sich eben nicht ohne gewisse Anstrengungen mit den erotischen Folgen der 68er-Bewegung. Manchmal wünscht man sich doch etwas von dem in Amis früheren Romanen so virtuos gepflegten Zynismus zurück.

Titelbild

Martin Amis: Die schwangere Witwe. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
416 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446238480

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