Vom schönen Stottern der Bilder

Zur Wiederentdeckung von Carl Froelichs Film „Richard Wagner“ (1913)

Von Reiner NiehoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Reiner Niehoff

Unüberhörbar zieht sich die Ton-Spur Richard Wagners durch die weiten Prärien der Filmgeschichte. Allein das Vorspiel zum dritten „Walküren“-Akt: Wie oft durfte der blecherne Galopp der Wotan-Töchter schon von der Leinwand herunterschallen und in wie unterschiedlichen Filmen: Bereits in D. W. Griffith‘ großem Gründungsepos der amerikanischen Film-Nation „The Birth of a Nation“ von 1915 wird zu Wagners vorwärtsdrängenden Klängen geritten, dass die Hufen Funken sprühen, in James Deans „Rebel Without a Cause“ treibt Wagners wilder Rausch den Blutdruck des jungen Rebellen in die Höhe, in Billy Wilders „One, Two, Three“ kommt das mächtige Motiv, wie sonst, satirisch-teutonisch einher, und auch in „Excalibur“, in den „Blues Brothers“, in „8½“ und, ach ja, natürlich, in „Apocalypse Now“ erdröhnt das mächtige Hojotoho. Nicht anders Isoldes Liebestod in Buñuels „L‘ Âge d’Or“ oder in Viscontis „La caduta degli dei“, nicht anders Lohengrins Hochzeits-oder Siegfrieds Trauermarsch, nicht anders Tannhäuser-oder Holländer-Ouvertüre. Wo immer es filmmusikalisch ernst wird, ist Wagner nicht weit. Das leuchtet durchaus ein. Denn zu sehr erscheint schon dem sehr frühen Stummfilm musikalisch geradezu ideal, was Richard Wagner als ästhetisches Programm und als kompositorisches Verfahren kanonisiert hatte: Die engstmöglichste Verzahnung von Musik und Drama, die Organisation des musikdramatischen Zusammenhangs durch die Technik des Leitmotivs, die Option auf die Verschränkung der Künste zum Gesamtkunstwerk und die vom späten Friedrich Nietzsche so gegeißelte Verschwebung der Musik durch die unendliche Melodie. Wagners Versprachlichung der Motivbildung, seine „Ton-Semiotik“, wie Nietzsche sie nannte, Wagners plastische Anpassung der Musik an Geste, Bewegung, Bild, Wagners Aushängung der inneren Temporalität der Musik durch die Indifferenz der Tristan-Chromatik, Wagners Inszenierung des ästhetischen Produkts ohne den Schweiß der Produktion, die schon Adorno konstatierte, und Wagners programmatische Überwältigungsästhetik – all das passte und passt bis heute zum Film buchstäblich wie die Faust aufs Auge.

Kein Wunder also, dass schon 1910 die Filmmusiksparte der bedeutenden amerikanischen Filmzeitschrift „The moving Picture World“ in die Zukunft der Filmgeschichte voraus äugte, um dort deutlich zu erkennen: „So, wie Wagner Musik und Emotion verknüpfte und in seinen Opern in Worten ausdrückte, wird es im Laufe der Zeit zweiffellos auch im Kinofilm kommen.“ Und W. Stephen Bush, Wagnereuphoriker und literarischer Hauptlieferant für die „Moving Picture World“, befindet ein Jahr später apodiktisch: „Jeder, der heute mit Filmmusik zu tun hat, ist, bewusst oder unbewusst, ein Schüler oder Nachfolger Richard Wagners.“

Bedenkt man neben diesen innermusikalischen Attraktionen des Wagner’schen Werkes für den Stummfilm endlich noch die Anziehungskraft des von Umbrüchen und Abbrüchen, von Tabubrüchen und Ausbrüchen recht reichen Wagner‘schen Lebens, bedenkt man die starke Verstrickung des Meisters in die politische, ökonomische und kulturelle Geschichte des 19. Jahrhunderts zwischen Michail Bakunin und Ludwig II. und bedenkt man endlich Wagners Selbstkrönung zum musik-ästhetischen Monarchen am Gipfel-Ende der Wiener Klassik, dann, ja dann konnte ein Film über Wagner und über Wagners Werk und über Wagners Werk-Welt eigentlich nur eine Frage der Zeit sein.

Und die Zeit für den Film kam, sie kam bald, am 13. Mai 1913 nämlich, als im Union Theater Friedrichstraße im Berliner Bavariahaus Carl Froelichs Film „Richard Wagner“ mit Orchester uraufgeführt wird. In Deutschland trägt der Film den Untertitel „Eine Filmbiographie zum 100. Geburtstag des großen Meisters“ und wird im November 1913 unter dem Titel „The life and works of Richard Wagner“ im New Amsterdam Theatre in New York zu sehen sein – hier, in Amerika, von einem professionellen Filmerklärer flankiert und von einer mächtigen Kino-Orgel bebraust.

Mit über 2.000 Metern oder gut 80 Minuten Länge zählt der Film jetzt, 1913, zu den absoluten Giganten der noch vergleichsweise jungen Filmkunst. Sicher, „Richard Wagner“ ist nicht „Intolerance“ oder „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Metropolis“ oder „City Lights“ – zwischen 1913 und 1931 liegen im Stummfilm mehrere Jahrhunderte –, aber er ist ein bedeutendes Dokument und ein beträchtliches Ereignis: „Richard Wagner“ gehört zu den ersten richtigen echten wahren Spielfilmen der Filmgeschichte überhaupt, er stellt die erste Wagner-Filmbiografie auf Celluloid dar und er darf den Titel für die erste, eigens komponierte Filmmusik einer deutschen Filmproduktion für sich in Anspruch nehmen. Respekt.

Sicher, Wagneriana gab es schon zuvor auf der Leinwand zu sehen. Edwin S. Porter, mit „The Great Train Robbery“ berühmt eigentlich als Erfinder des Western-Genres, hatte bereits 1904 einen Parsifal-Film gedreht, Franz Porten brachte 1907 den „Lohengrin“, Albert Capellani 1909 den „Tristan“ und Mario Caserini 1912 „Parsifal“ und „Sigfrido“ als sogenannte „Tonbilder“ auf die Leinwand. Überhaupt war der Musikfilm gerade überaus en vogue, denkt man etwa an Sarah Bernhardts Leinwandauftritte als Elektra 1910 und als Tosca 1912, an Mary Pickford als Butterfly und Geraldine Ferrar als Carmen, beide 1915. Allerdings handelt es sich bei den Wagner-Produktionen, die vor Froelichs Centinariums-Beitrag entstanden, mit ihrer Spieldauer zwischen drei und fünfundzwanzig Minuten nicht um Filme, die Leben und Werk Richard Wagners vor die Kamera bringen, sondern lediglich um verfilmte Aufführungen einzelner Opernauszüge. Hier versucht sich das neue Medium Film das alte Medium Theater und das alte Medium Oper einzukannibalisieren und daran zu wachsen.

Das ist bei Froelich anders. Er bedient mit „Richard Wagner“ ein ganz neues Genre, das Genre des biographic picture nämlich, heute allgemein zu Biopic abgekürzt. Nicht das künstlerische Werk, sondern der Künstler sollte im Mittelpunkt stehen, nicht die musikalische Partitur, sondern die historische Einbettung. Griffth’ zwei Jahre später formulierte Prophezeiung: Es sei eine Zeit in Aussicht, wo ein jeder, statt sich durch Geschichts-Bibliotheken hindurchzuarbeiten, einfach vor einen kleinen Kasten setze, der ihm zeige, wie es wirklich gewesen sei, wer als Akteur die Historie modelliert und wie er, der Akteur, ausgesehen habe, treibt bereits „Richard Wagner“ nachhaltig um; das Kinobild bewegt sich immer schon und holografisch, so muss man Griffith verstehen, in der Historie, die es inszeniert. Heißt: hier, bei Froelich, dürfen wir erstmals den Meister höchstselbst, in personam und eingebettet in die zweite Hälfte des 19. Jahrunderts bewundern, bevor er filmgeschichtlich später in immer neuen Varianten – von Dieterle über Visconti und Ken Russel bis Tony Palmer – zu seinen vielen Leben wiederauferstehen darf. Zumeist erkennen wir diese höchst unterschiedlichen, mal profitsüchtigen, mal diabolischen, mal zynisch bösen und wie von Max Stirner erfundenen Richard Wagners rasch, nämlich am Ziegenbärtchen, an den kräftigen Koteletten, am markanten Samt-Barrett oder in versteifter Profilgewährung, wie es uns die Kunst- und Fotografiegeschichte befiehlt.

Produziert wird nun „Richard Wagner“, der Film, von Oskar Messter, einem ingeniösen Filmpionier der „lebenden Photographien“ und dem unbestrittenen Lumière der deutschen Kino-und Filmindustrie überhaupt: ein Entwicklungstechnicus von Kameras zunächst, dann ein Innovator der Aufnahmetechniken, ein Visionär von Tonfilm und Farbfilm und gar 3D, ein Kinobetreiber und Praktiker von Wochenschau, Saalsicherheit und Vermarktungsstrategien mit Faible für klassische Musik. Der Kulturaufstieg des Mediums und die technische Herausforderung des Materials sind ihm eine Bewegung. Deshalb filmt Messter auch Orchesterleiter wie Nikisch oder Weingartner bei der Arbeit (von vorne und von rückwärts), um sie als „projizierte Dirigenten“, so der merkantil-experimentierfreudige Filmproduzent, in ferner Nachzeit noch qua Applikation auf durchsichtige Flächen zukünftige Orchester vor zukünftigem Publikum virtuell dirigieren lassen zu können. Höchst erstaunlich.

Kaum weniger verwunderlich aber, zumindest für damalige Verhältnisse, ist Messters Idee, eben auch den weiland Königlich-Sächsischen Kapellmeister Richard Wagner wieder zum Leben zu erwecken samt Frauen, Fluchten und Werken; die ostentative, visionäre Erweckung eines sich selbst erfüllenden, absoluten Kunstwerkes wird eingewebt in eine biografische Schicksallinie, die am Ende mit Parsifals Erlösung himmelwärts entfleucht. Dafür setzt der (heute) in fünf Akte unterteilte Film ein mit dem Tod von Wagners Stiefvater Ludwig Geyer am 30. September 1821 – gewissermaßen also mit der paternalen Berufung und Stabübergabe –, zeigt seine Lehrzeit in Leipzig, die politische Aufruhr in Dresden, die Zeit in Riga und die Hochzeit mit Minna Planer in Königsberg, das Exil in Zürich samt Wesendonck’scher Geld- und Frauen-Akquise, die Freundschaft mit Ludwig II. und die Liebe zu Cosima, die Bayreuthgründung mit Theater und Wahnfriedvilla und endet, wie könnte es anders sein, mit Wagners Tod in Venedig am 13. Februar 1883 und mit seiner Beisetzung in Bayreuth fünf Tage später. Im Film wird Wagners Sarg schließlich hübsch umringt und gegrüßt und glorifiziert und wotanesk verabschiedet durch ein Stelldichein von des Meisters eigenen Opernkindern, von seiner eigenen, musikdramatischen Kunst-Familie: Lohengrin, Telramund, Sachs, Siegfried, Holländer, Wolfram, Elsa, Brünhilde geben das letzte Geleit. Vom Sohn zum Vater zum Gott, der sich selbst zum Opfer bringt, so ungefähr lautet das Konzept.

Oskar Messter selbst hat die Entstehung und Durchführung dieses monumentalen Projektes 1936 in seiner Autobiografie  „Mein Weg mit dem Film“ anschaulich Revue passieren lassen. Messter berichtet: „Ein Jahr später wagte ich mich an einen „Richard-Wagner-Film“ heran. Carl Froelich war für die Kamera und die Regie verantwortlich. Die Kosten für diesen Film betrugen 60.000.-M. Als Hauptdarsteller entdeckte Froelich den bekannten Musiker Dr. Giuseppe Becce, der zu dem Film auch die Musik schrieb. Es war in Deutschland das erstemal, dass zu einem Film eine eigene Musik geschaffen wurde. / Bei den Aufnahmen, die teilweise in Bayreuth gemacht wurden, wollte Froelich selbstverständlich die historischen Stätten bringen. Er erzählte, er habe mit viel List und Beredsamkeit in Villa Wahnfried den Gärtner nach vielem Sträuben endlich dafür gewinnen können, dass in aller Frühe, bevor sich im Hause Wahnfried etwas regte, im Garten gefilmt werden durfte. Der brave alte Gärtner war aber wie gelähmt, als er seinen früheren Herrn und Meister, den alten Richard Wagner, „leibhaftig“ im Park promenieren sah. Die Maske Dr. Becces war ausgezeichnet. Da rührte sich etwas am Fenster. Dr. Becce musste schnell seinen Bart abreißen und flüchten, damit Frau Cosima Wagner nicht ihren verstorbenen Gatten im Park erblicken konnte. Das Wesentliche dieses Films war, den Besuchern gute Musik zu vermitteln. Dr. Becce hat als Schauspieler den Helden des Films mit guter Einfühlung dargestellt. / Besonderen Eindruck machten die von Froelich geschaffenen Illusionen z. B. des ,Fliegenden Holländers‘ auf hoher See. / Obwohl dieser Film in künstlerischer Hinsicht seinerzeit an erster Stelle stand, fand er bei unserem Publikum nicht den erwarteten Anklang. Die Hervorhebung des künstlerischen Wertes in den Ankündigungen eines Films schreckte damals das Publikum noch sichtlich ab. Obwohl der Film in Amerika besonders gut gefiel, bedeutete er für meine Firma einen erheblichen Verlust.“

Das alles stimmt bis aufs Barthaar genau. Regie und Kamera übernimmt tatsächlich der junge Carl Froelich, der später sein filmisches Leben eng mit der Karriere von Henny Porten verknüpfen, eine eigene Filmgesellschaft gründen, 1933 in die NSDAP eintreten, 1938 zum Präsidenten der Reichsfilmkammer ernannt werden, nach dem II. Weltkrieg entnazifiziert und nach drei erfolglosen Nachkriegsfilmen sich (hoffentlich) in die Hölle des Jüngsten Kinogerichtes verabschieden sollte. Froelich dreht gleichwohl – zumindest für 1913 – beschwingt und dynamisch, beschränkt sich nicht nur auf Messters Berliner Studios, sondern arbeitet tatsächlich, wie Messter zu Recht betont, auch draußen an Originalschauplätzen: in Dresden, am Starnberger See, in Tribschen bei Luzern, in Bayreuth. Die Ausstattung ist teilweise überaus delikat und bisweilen haarsträubend ausgedacht, die Abfolge der Szenen, vor allem in den ersten beiden Akten, gleicht weitgehend noch eher einer Dia-Show von Lebensstation zu Lebensstation als einer geschmeidigen Bild-Erzählung, gewinnt aber zusehends an innerer Verkettung. Hochinteressant ist die Überblendung von Vision und Werk, von Komposition und Aufführung: Die inneren Opernepiphanien des Genius Richard, die sich qua Doppelbelichtung auf Augenblicke zu wirklichen Wesen und Gestalten materialisieren, geben ein bewegtes Bild von der statuarischen Gruppenbild-Ästhetik der Wagner-Aufführungspraxis um 1900 und zugleich von den Möglichkeiten der Tricktechnik des jungen Mediums Film. Dass Froelich an Wagners struppiger Biografie, die dem mittelständischen Kulturgenuss, aber natürlich auch Frau Cosima und Sohn Siegfried unappetitlich aufgestoßen wären, etwas zu auffällig historische Maniküre betreibt, möge dem ambitionierten Regisseur dabei gerne verziehen sein.

Die Rolle Wagners übernimmt der junge Giuseppe Becce, eigentlich ein Geografiestudent aus Padua. Froelich will ihn ob seiner Ähnlichkeit mit dem Meister in einem Berliner Café entdeckt und vom Fleck weg engagiert haben. Dieser Coup soll sich als Glücksgriff erweisen insofern, als Becce neben Geografie auch Musik – immerhin bei Arthur Nikisch und bei Ferruccio Busoni – studiert und bereits ein wenig komponiert hat. Als nämlich nun die Wagner-Familie von Oskar Messter unbezahlbar hohe Tantiemen für die Verwendungsrechte der Wagner’schen Kompositionen verlangt, darf Becce nicht nur Wagner sein Gesicht, sondern dem Film auch seine Musik geben, freilich mit der Auflage, keine originale Wagnermusik zu verwenden. So muss die nicht geringe Skurrilität festgehalten werden, dass in Froelichs Film über Leben und Werk des Komponisten Richard Wagner so viel echter Richard Wagner enthalten ist wie in den Möbeln eines bekannten schwedischen Möbelhauses echte schwedische Birke. Das erfordert beträchtliches Vermögen und Gefühl in den Spitzen der Finger, und so verwundert es nicht, dass der italienische Doktor späterhin eine durchaus bedeutende Karriere als, wie ein Kritiker respektvoll tituliert, „Musik-Generalissimus Becce“ einschlägt, wird er doch die musikalischen Begleitungen für stumme Meilensteine wie Robert Wienes „Caligari“, für Fritz Langs „Der müde Tod“, für Murnaus „Tartüff“ und „Der letzte Mann“, für „Die Frau, nach der man sich sehnt“ mit der Dietrich schreiben und später in der Zeit des Tonfilms Leni Riefenstahls „Das blaue Licht“ und „Tiefland“, Luis Trenkers „Der Berg ruft!“ und nachkriegerische Heimatfilm-Gipfelleistungen wie „Im Banne des Monte Miracolo“, „Der Edelweißkönig“ oder „Der Schäfer vom Trutzberg“ mit Musik versorgen.

Um aber das, was Becce hier, 1913, mit der Musik für „Richard Wagner“ treibt, angemessen verstehen zu können, braucht es einen kleinen Rückblick auf die Geschichte der Stummfilm-Musik. Ganz zu Beginn nämlich, also 1895 folgende, als der Film noch Teil und Träger öffentlicher Attraktionen ist, wird das Leinwandgeschehen vom Klavier oder auch vom Musikautomaten begleitet; das wohl zunächst, um die beträchtlichen Geräusche zu übertönen, die seis das Vorführgerät mit Dampfmotor, seis die nicht eben nebengeräuscharmen Projektionsräume auf dem Jahrmarkt, dem Rummel, dann dem Varieté mit sich brachten. Dass zudem die kinospezifische Kombination von Bild und Klang den synästhetischen Kunstkonzepten der Jahrhundertwende überaus entgegen kommen musste – selbst die Idee eines Geruchskinos sollte nicht lange auf sich warten lassen –, liegt neben allen technischen Zwangsnötigungen auf der Hand.

Das improvisiert zugespielte, klingende Repertoire, das zumeist aus Versatzstücken gängiger Musikwerke der Unterhaltung und der Klassik frei bezogen wird und mit schneller Reaktion den Wendungen und Wandlungen der Leinwandereignisse appliziert werden muss, schreit jedoch bald schon nach engerer Verzahnung von Szene und Ton; die Verwandlung von Vorführbude, Kinematograf oder Bioskop zu Schiller-Lichtspiel, Victoria-Theater, dann zum pompösen Gloria oder Admirals-Palast mit architektonischem Überbau-Glanz Marke Poelzig und Mendelsohn verstärkt den hochulturellen Druck auf das einstmals niedere, schaulustige Treiben der Bilder. Ab jetzt wird es nicht mehr die Aufgabe des Begleiters sein, das Geräusch in Klang zu sublimieren und der Augenschau das Terrain freizuhalten, nein, ab jetzt kommt dem musikalischen Accompagnement die edel-dienende Aufgabe zu, so der Filmkritiker Poldi Schmidl 1922, als „Dolmetscher des dichterischen Gedankens, Übersetzer der aus der Phantasie des Regisseurs geborenen Idee“ die Sprache des Films mit der Sprache der Musik zu verdoppeln, zu unterstreichen, akustisch zu erweitern und auditiv auszupolstern.

Und gerade Becce wird die Filmkritik der Zwanziger Jahre eben und besonders die Kraft der engen Verfugung von filmbildlichem und musikalischem Ereignis attestieren. Klar sei, dass Becce „eigentlich nicht Filmmusik schreibt und schreiben will, sondern daß er Filmstimmungen vertont, Filmleidenschaften ins Musikalische übersetzt, dem Milieu der Szene den musikalischen Inhalt gibt“.

So entstehen spezielle Sammel-Werke von arrangierten Musikstücken zumeist klassischer Provenienz, die Kompositionen nach Atmosphäre und Charakter systematisch vorsortieren. Und es ist nun eben und interessanter Weise Giuseppe Becce, der die bedeutendste und beste dieser sogenannten „Kinotheken“ ab 1919 in fünf Bänden in Deutschland publiziert. Zur kurzen Illustration, wie man sich derlei vorzustellen hat: Im ersten Band von Becces Kinothek, der unter der Oberkategorie „Tragisches Drama“ Musikwerke eigener oder fremder Couleur versammelt, finden sich musikalische Petitessen zu den Unterkategorien: „Vorspiel zum Drama“, „Tragisches Intermezzo“, „Entsagung“ (Zusatz von Becce: „Für Szenen des Schmerzes u. der Verlassenheit“), „Nachstimmung“ („Für geheimnisvolle, drohende Szenen“) und „Ernste Stimmung“ („Für geheimnisvolle Szenen, die zu leidenschaftlichen Vorgängen führen“). Im dritten Band mit dem Zuordnungs-Index „Großes Drama“ finden sich musikalisch zugeschneiderte Stimmungs-Stoffe zu den Themen: „Seelenkampf / Seltsame Ahnung / Im Zaubergarten / Bange Nacht / Erscheinen des Todes / Verzweiflung / Höchste Gefahr / Kampf, Tumult, Brand usw / Katastrophales Ereignis“. Unter „Verschiedenes“ (Band Vb) verbergen sich musikalische Lösungen zu den präsumptiven filmischen Vorlagen: „Beim Spazierengehen / Wagenrennen zu Antiochia / Weibergeschwätz / Der Schritt des Schicksals / Einzug der Gaukler“ oder „Freudiges Finale“. Auf diese Weise lässt sich mit einem Griff und angepasst an unterschiedlichste Instrumenten-Besetzungen jede Filmstimmung in Sekunden mit Begleitmusik kombinieren und verzieren.

Nichts anderes unternimmt Becce nun auch 1913 im „Richard Wagner“. Er wählt aus der zum bloßen Repertoire erstarrten Musikgeschichte aus, was ihm an eigener oder fremder Musik passend erscheint, um es dem Film als Potpourri zu injizieren. Leicht lassen sich Adaptionen aus Symphonien Haydns, Mozarts und Beethovens, aus dem „Don Giovanni“, aus der „Zauberflöte“, am Schluss natürlich auch aus der „Eroica“ heraushören, gewürzt mit Marsellaise und polnischer Tanzmusik. Wo es aber Werke braucht, die Wagners eigener Musikproduktion entstammen sollen: „Holländer“, „Rienzi“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Tristan“, „Ring“, „Parsifal“, da wird Becce selbst aktiv und imitiert munter und geschickt, was Bayreuth ihm vorenthält, auch wenn er immer wieder in die eigene Partitur enervierte Anmerkungen einträgt wie: „Angebrachter wäre es hier, die ersten 64 Takte der Ouvertüre zum Fliegenden Holländer zu spielen“ oder: „Wirksamer wäre es hier, die Stelle im letzten Akt der Oper ‚Rienzi‘ vorzuspielen“. So schließen in Becces Wagner-Musik Arrangement, Imitat und Komposition ein hybrides Bündnis; sie ergeben eine Art Louis-Quinze-Kopie der Musikgeschichte anno 1910. Es entsteht eine Musik, die sich stets selbst beim Namen ruft; sie weiß sich gekannt und spielt ihre Bekanntheit als kulturelle Marke aus. Ihr Effekt ist nicht das Erkennen, sondern das Wiedererkennen; die Lust der Identifizierung ersetzt die Lust an ästhetischer Erkenntnis. Adorno wird exakt diesen Vorgang späterhin als Übergang der Musik in die Kulturindustrie geißeln; der Sündenfall liegt wohl irgendwo zwischen Georg Hegel und Johann Strauß.

Das mag im Rahmen der Avantgarde um 1910 despektierlich klingen, ist es aber im Kontext der Filmmusik keineswegs: Über die filmübliche arrangierte Zufalls-Begleitung geht Becces Musik nämlich himmelweit hinaus insofern, als er fast alle arrangierten und selbstkomponierten Stücke mit dem Bildgeschehen nicht nur formal musikalisch, sondern auch inhaltlich synchronisiert: mit der Film-Biografie Richard Wagners nämlich. So lässt Becce den Meister in Riga etwa eine Probe von Rossinis „Barbiere“ leiten – mit originell auskomponiertem Abwinken, mit Korrekturen und Wiederholungen –, was zwar nicht Wagners persönlichem Geschmack, wohl aber Wagners Rigaer Realität durchaus entspricht; italienische Oper stand auf dem Pflichtprogramm des jungen Dirigenten. Die Biografie selbst aber lässt Becce an der Linie Haydn – Mozart – Beethoven – Wagner entlang führen als Erfüllungsspur der Wiener Moderne, und die Wagner’schen Werke selber versteht Becce als die Lehr-und Wanderjahre der inneren Geografien des Umtriebigen: die Flucht aus Riga kehrt musikalisch sublimiert im „Tannhäuser“ wieder, Mathilde Wesendonck erfährt ihre ideelle Auferstehung in Isolde, Cosima von Bülow in Brünnhilde und Wagner selbst in Parsifal.

Heißt: Die Musikspur des Films ist über weite Strecken keine Unterhaltung oder atmosphärische Untermalung, sondern zeichnet auf ihre eigene Weise Wagners Werdegang vom Klavierknaben zum musikalischen Walhalla-Vorsitzenden nach. Becce schafft eine innerlogische Verzahnung von Musik und verhandelter Sache, wie es sie bis dahin nicht gegeben hatte und wiederum erst zwei Jahre später von dem extrem opernkundigen David Wark Griffith in Zusammenarbeit mit seinem Komponisten Joseph Carl Breil für „Birth of a Nation“ unternommen werden sollte. So entsteht für „Richard Wagner“ ein akkurates musikalisches Potpourri aus arrangierten Werken der Musikgeschichte und überaus geschickten Wagner-Imitaten, die zwar keinen originalen Wagner enthalten, aber durch ihre rhythmische, melodische oder harmonische Disposition und durch ihre Instrumentation augenzwinkernd eingestehen, um welche Wagner-Oper es sich da gerade handelt und warum. „Richard Wagner“ ist auf dem Weg zu der integralen Kunstform „Film“, in der die Musik nicht dem Divertissement dient, sondern ihren funktionalen Beitrag zu Sache leistet: als Duplikat, Imitation, Allusion, als Biografem, als musikalisch-hermeneutischer Horizont der Bedeutung, als Baustein in der Teleologie der geschichtsphilosophischen Prämisse. Becces Musik ist sicher alles andere als Avantgarde, aber sie ist einfallsreich, ironisch, geschmeidig und dokumentarisch; sie ist Musik über Musik.

Und endlich stimmt auch, was Messter über die Rezeption des Films zu berichten wusste: Tatsächlich fällt der Film „Richard Wagner“ in Deutschland ebenso spektakulär durch, wie er in Amerika bewundert werden wird. Hilda Blaschitz in „Bild & Film“ ist 1913 nach der Uraufführung höchst erfreut, aber leider nicht über den Film, sondern darüber, „daß alle Blätter wie ein Mann aufstanden“ – (Blätter, die wie ein Mann aufstehen?) – „und den Richard-Wagner-Film so einstimmig verurteilten, wie Zeitungen es nur auf künstlerischem Gebiete tun können. Unkünstlerisch ist bei diesem Film das Beginnen. Das Wort ,unkünstlerisch‘ ist übrigens zu schwach; denn roheste Geschmacklosigkeit beherrscht diese Stümperei.“

Und Leopold Schwarzschild beginnt seine Besprechung in der „Frankfurter Zeitung“ mit den Worten: „Ein pomphaftes Vorspiel [das wir offensichtlich nicht mehr haben], Herolde oder solche Leute, leiten vielverheißend die Sache ein. Dann erscheint Bild I: Wagner das Kind, am Sterbebett des Stiefvaters. Ein kahlköpfiger Greis, der in seinem Sessel fürchterliche Windungen vollführt. Schluchzende Mutter, schluchzende Kinder. Klein-Richard, auf des Vaters Wunsch, ans Klavier. Die Erschütterung des Knaben machte sich in seinem Spiel so geltend, dass der Sterbende mit den Worten: ‚Sollte Richard Talent zur Musik haben?‘ zurücksank und entschlief. Das heißt, er entschläft eigentlich gar nicht, sondern wird offenbar von der in grausamster Weise auf ihm herumkletternden Familie erdrosselt.“ Nein, die deutsche Kritik ist nicht amüsiert und sieht, wie Hilda Blaschitz am Ende ihrer Rezension schreibt, „die still gekämpften Kämpfe […] unserer Teuersten“ wem – natürlich: „dem Pöbel“ zur Lachlust preisgegeben. Der hochkulturelle Versuch, das Kino dank Richard Wagner aus den niederen Regionen des Jahrmarkts-Spektakels in die Hochkultur der Musikoper hinaufzuedeln und hinaufzuadeln, ist – so sieht es die deutsche Kritik anno 1913 – beträchtlich gescheitert.

Das sah man in Amerika, auch darauf hatte Messter ja hingewiesen, dann doch ganz anders – und nicht etwa deshalb, weil in Amerika Wagner bis dato zu unbekannt gewesen wäre. Man vergesse nicht, dass der große Walter Dambrosch, der bei Hans von Bülow studiert hatte, Wagner mit dem Orchester der New York Symphony Society in Amerika weitesthin bekannt gemacht, dass Anton Seidl, von Wagner selbst geschätzt und unterstützt, Lohengrin und Tristan mit der göttlichen Lotte Lehmann in fast 300 Aufführungen durch ganz Amerika extrem erfolgreich versprüht, und dass Toscanini und Gustav Mahler sich an der MET gestritten hatten, wer denn Wagner in Amerika wirklich und richtig aufführen solle und könne. Nein, W. Stephen Bush wusste, was er sagte, als er 1913 in „The Moving Picture World“ betonte: „Das Thema, die Musik, der Vortrag und das Spiel der Hauptfiguren erwecken große Hoffnungen, daß dieser Film erfolgreich sein wird. Es gibt da Blitzlichter von überragender Schönheit.“ Nach diesem Film, so Bush weiter, könne man nur wünschen, dass bald vollständig Ton synchronisierte Wagneropern auf der Leinwand zu sehen sein mögen. Was aber in dem Film trotz allen gewaltigen Fortschritts nicht aufgehe, so das Resümee des amerikanischen Kritikers, sei nicht auf ein falsches Wagnerbild, sondern auf die technisch-kompositorische Rückständigkeit Deutscher Filmkunst zurückzuführen.

So gerät das deutsch-amerikanische Verhältnis in eine nachgerade klassisch gewordene Opposition: Die deutsche Kunstkritik fordert Respekt, Würdigung, Achtung, ja Apotheose des Meisters; die autoritätsfixierten Deutschen, so merkt schon Nietzsche süffisant an, konstruieren sich natürlich nur einen Wagner, den sie verehren können. Die amerikanische Kritik hingegen erbittet sich etwas mehr technisches Knowhow, ist aber von dem Unterhaltungs-und Informationswert, von der ästhetischen Konzeption, von den Bildeinstellungen und von der zukünftigen Kompatibilität zwischen Film und Musik nachgerade absolut überzeugt. Ein wenig mehr amerikanische Gelassenheit möchte man dem durchschnittlichen criticus teutonicus, mit Erlaub, dann doch wünschen. Denn der Film hat es verdient, auch wenn man es nicht unbedingt sofort sieht.

Denn Froelichs „Richard Wagner“ ist ein charmanter Film, nicht obwohl, sondern weil er sein eigentliches Ziel beträchtlich verfehlt. Denn was sind Filmbiografien wie „Richard Wagner“ und was wollen sie? Filmbiografien versuchen, gesellschaftliche Identitäten zu schaffen und zu stärken (das sind wir); sie versuchen, eine Gesellschaft am Beispiel eines ihrer repräsentativen Vertreter in der Zeit zu verorten (das waren wir); sie versuchen, ein Bewusstsein über das eigene Vermögen und die eigenen Fehlwege, die verpassten und ergriffenen Chancen zu bilden (das konnten wir und das wurden wir), und endlich einen Horizont aufzuziehen, in denen das eigene Handeln verstanden werden soll (das wollten wir).

Die Entwicklung dieses neuen Genres Filmbiografie geschieht im Film historisch nicht augenblicks und unmittelbar, sondern erst nach einer etwa zehnjährigen Gründungsphase. Zunächst nämlich erkundet das neue Medium sich selbst, es produziert die Lust an dem, was auf der Welt zu sehen ist, es erzeugt die Lust, sich auf der Leinwand selbst zu sehen, es erzeugt die Lust an der Erkundung eigener oder fremder öffentlicher Räume: deshalb zeigt der frühe Film der Brüder Lumière ab 1895 Arbeiter beim Verlassen der Fabrik, das Einlaufen oder Ausfahren von Zügen und Schiffen, die Auftritte oder die Reisen von politischen Potentaten.

Zugleich, bei Georges Méliès nämlich, lernt die Kamera zu zeigen, was nicht gesehen, aber durch die Tricks der Kamera dem Auge eröffnet werden kann: Menschen, die aus hölzernen Bilderrahmen heraussteigen, Menschen, deren Arme und Beine und Köpfe sich selbstständig machen, Schiffe, die fliegen können: Träume also, Visionen und Ängste, die wir mitanschauen dürfen. Erst als der Film beides beherrscht, beginnt er zu erzählen und zu konstruieren. Erst erkundet er sich, danach erkundet und begründet er die Gesellschaft filmisch als politische, religiöse, kulturelle Einheit. So entstehen 1909 in Amerika Filme über George Washington und in Frankreich über Molière, ab 1911 entstehen in Deutschland Filme über Luther und ab 1914 über Bismarck, und deshalb porträtiert 1915 Griffith mit seinem so fragwürdigen Filmkomplott „The Birth of a Nation“ die amerikanische Gesellschaft als Geschichte ihrer politischen Einheit selbst; Biopic America.

An genau dieser Schnittstelle bewegt sich auch Carl Froelichs „Richard Wagner“. Der Film soll eine Art deutsches Reiterstandbild aus Celluloid werden, das Porträt des repräsentativen, visionären, ringenden Deutschen also, der sich vom Rienzi bis zum Ring, von Bakunin bis zu Ludwig durchkomponiert und mit dem Parsifal stirbt; ein Kompromissloser, der von der (Selbst-)Erfüllung und (Selbst-)Erlösung durch Musik nicht ablassen mag und dafür Flucht und Verfemung klaglos auf sich nimmt.

Zu diesem Ziele arbeitet Froelich filmisch allerdings weitgehend noch mit den vorzeitigen Mitteln des Films, mit den Mitteln der Lumières und mit den Mitteln von Méliès, und dieses Frühzeiterbe unterminiert das hehre Programm. Froelichs Film liebt nämlich oft noch die Pferde und die Schiffe und die Kutschen und die Massenszenen, die Ankünfte und Abfahrten und das ausgiebige Händeschütteln mehr als Richard Wagner selbst, das ist der Realitätseffekt und also der Lumière in ihm und die Messter’sche Wochenschau mit Marine- und Kaiserbild, mit Straßenverkehr und Militärparade; und zugleich liebt Froelich die Tricks von Méliès, an denen sich Messters Produktionen auch versuchen: die Träume, die Visionen, die Ängste, die der Film mit Überblendung und Montage zur Sichtbarkeit überreden kann.

Die komplexen Erzählformen allerdings, die Griffith zeitgleich entwickelt, die durchformulierte Bildsprache spricht Froelichs „Richard Wagner“ gleichsam erst stotternd und noch ohne Grammatik; Großaufnahmen, Totale und Halbtotale, Detaileinstellungen, Parallelmontage, Schuss und Gegenschuss, kurz: alles, was die visuelle Narration entfaltet und Griffith die äußere Darstellung innerer moralischer Dilemmata erlaubt, ist maximal rudimentär vorhanden. Es dominiert über weite Strecken das Tableau wie auf dem Theater. Doch genau darin ist Froelichs Film erfrischend unbedacht, er traut sich etwas zu, was noch nicht geht; er nähert sich an. Froelich will eigentlich einen Marmor-Giganten schaffen und erntet einen freundlichen, drahtigen, agilen und erstaunlich erotischen Mann, der sich so schattenhaft schön hinter Milchglas in einem Waschzuber reinigt wie später Prousts „Gefangene“ in der Verfilmug von Chantal Ackerman; der, eigentlich undenkbar und seiner Zeit in Bayern und Preußen umgehend zensiert (Österreich mit Sacher-Masoch zeigte sich libertiner), sich von Minna küssen lässt und der umgehend in einen postkoitalen Tiefschlaf verfällt, dieweil die Nochnicht-Ehefrau sich ohne Frieden die Bluse vom Leibe reißt. Auch die erotische Sprache changiert noch ungezwungen zwischen Alltag und Überschuss.

Heißt: Zu sehen ist ein Film des Sturm-und Drang, dessen Sehnsucht aber auf die Klassik geht; ein Film, der noch die Ereignisse der Welt mit dem Kamera-Auge bestaunt, aber ihre narrative Organisation doch schon – zugleich rucklig und geschmeidig – betreibt. Dass sich beides immer wieder in die Speichen kommt – das alte Kino der Attraktionen und das neue Kino der Narrationen – das macht den Reiz dieses Films aus; darin ist er innovativ und verspielt, freundlich ungeschickt, bisweilen komisch und plötzlich bezaubernd schön und fließend musikalisch. „Richard Wagner“, das ist in jeder Hinsicht und in jedem Fall ein Film auf der Schwelle und das heißt: Ein Film, der noch nichts weiß von 1914 und von der Apocalypse Now, die schon an der Somme und vor Verdun wartet. Ein Film vor dem Sündenfall und ohne Walkürenritt.