Wie der Mensch wurde, was er ist

Der Universalhistoriker Yuval Noah Harari gibt seinen Lesern eine Geschichtsstunde in Sachen Menschwerdung

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Mensch bevölkert die Erde gerade einmal 0,004 Prozent ihrer Geschichte. Doch das sind immerhin mehr als 70.000 Jahre. Sein Einfluss auf den Planeten in dieser Zeit ist bemerkenswert. Und seine Entwicklungsgeschichte ist es ebenfalls. Sie ist so reich und vielschichtig, dass es unmöglich scheint, sie auf nur 500 Seiten zu erzählen. Der Universal-Historiker Yuval Noah Harari aber hat genau das geschafft. Der 38 Jahre junge Geschichtsdozent an der Hebräischen Universität Jerusalem legt mit seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ein gleichsam unterhaltsames wie lehrreiches Werk über die Entwicklung unserer Spezies von den Anfängen bis heute vor.

Dabei geht der Autor chronologisch vor und erzählt den mysteriösen und raschen Wandel des Menschen von einem unbedeutenden Tier in einem abgelegenen Winkel des afrikanischen Kontinents zum Herren des Planeten entlang einer Kette besonders einschneidender Entwicklungssprünge. Die grobe Gliederung seines Erzählstranges identifiziert zunächst die kognitive Revolution, in deren Vollzug der Mensch lernte, die Fähigkeiten seines Gehirns zu nutzen und sich so vom Tier zu unterscheiden. Es folgt die landwirtschaftliche Revolution: Statt zu jagen und zu sammeln, wurde der Mensch sesshaft und bestellte Felder. Gerade diese Schilderung des Übergangs vom Wildbeutertum zu agrarischen Gesellschaften wartet mit zahlreichen dem Laien unbekannten Fakten auf. Die wissenschaftliche Revolution, die Harari etwa im 15. Jahrhundert nach Christus ansiedelt, vollendet schließlich die Wandlung zum Homo sapiens.

Interessant ist der Ansatz des Autors, der die Vorrangstellung des Menschen auf der Erde zwar nicht grundsätzlich in Frage stellt, den Weg dorthin aber nicht als geradlinige und instinktgesteuerte Erfolgsstory, sondern vielmehr als eine Aneinanderreihung von Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten darstellt. Viel zitiert ist etwa der Hinweis, dass der Mensch nach der Ausentwicklung seines Gehirns zunächst unter akutem Energiemangel litt, da das Gehirn etwa 25 Prozent der Körperenergie verbrauchte. Die fehlende Power versuchte er zunächst durch die Aufnahme von mehr Nahrung auszugleichen. Ein Ansatz, der zum Scheitern verurteilt war. Weil der Mensch jedoch im selben Zeitraum das Feuer entdeckte und bändigte, konnte er in der Folge auch gekochtes Essen zu sich nehmen. Mit dem Vorteil, dass warme Nahrung in deutlich kürzerer Zeit verdaut werden kann, also den Energiehaushalt schont. Dass der Mensch zum Denker wurde, verdankt er also auch seiner Nahrungszubereitung. Der Existenz als sesshaftes Wesen mit Heimatsitz kann Harari übrigens nur wenig abgewinnen. Von seinen psychischen und organischen Voraussetzungen her sei der Mensch noch immer ein Jäger und Sammler. Unsere heutige Lebensform bezeichnet er als Selbstversklavung.

Aufhorchen lassen auch immer wieder die mit einem (mal mehr, mal weniger offensichtlichen) Augenzwinkern vorgetragenen Gedankenspiele des Autors. Ob der Mensch wirklich die Krone der Schöpfung ist, sei etwa eine Frage der Perspektive. Harari legt durchaus plausibel dar, dass diese Rolle auch Nutzpflanzen wie Reis, Mais und Weizen zukommen könnte. „In Wirklichkeit waren es diese Pflanzen, die den Homo Sapiens domestizierten, nicht umgekehrt. Weizen kann sich nicht vor anderen Organismen wie Kaninchen und Heuschrecken schützen, die ihn gern fressen, weshalb die Bauern ihn schützen mussten. Weizen ist durstig, also schleppten die armen Sapiens Wasser aus Quellen und Flüssen herbei, um ihn zu bewässern. Und der Weizen ist hungrig, weshalb die Menschen Tierkot sammelten, um den Boden zu düngen, auf dem er wuchs.“

Das Thema ist trotz seiner hohen Faktendichte unterhaltsam aufbereitet, was vor allem an der klaren Gliederung sowie der sprachlich brillanten Darstellung liegt. Es räumt mit Vorurteilen auf und eröffnet neue Perspektiven. Etwas zu kurz kommt das Neuzeit-Kapitel, in dem sich zudem einige Überinterpretationen von Fakten versammeln und in denen den Themenkomplexen Politik und Religion deutlich zu nachlässig und daher fehlerhaft begegnet wird. Dies soll aber den positiven Gesamteindruck keinesfalls schmälern. Das Buch hält also, was der Titel verspricht. Nicht umsonst war „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ in Israel für 100 Wochen auf Platz 1 der Sachbuchbestsellerliste. Auch bei uns wird Harari begeisterte Leser finden.

Titelbild

Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Neubauer.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013.
525 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783421045959

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