Spannend wie ein Blumenkohl

Verena Roßbacher strapaziert mit ihrem Roman „Schwätzen und Schlachten“ die Geduld ihrer Leser

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fünf Jahre nach dem hochgelobten Debütroman „Verlangen nach Drachen“ (2009) lässt die in Berlin lebende Österreicherin Verena Roßbacher den Roman „Schwätzen und Schlachten“ folgen. Gesteigert hat die junge Autorin, die wie viele andere angesagte Autoren am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierte, in erster Linie den Umfang ihres Werkes: 630 Seiten sind es geworden.

Drei Männer um die Dreißig leben in Berlin planlos in den Tag hinein. Frederik von Sydow, ein Literaturstudent ohne Geld und Chancen bei den Frauen, der Medienkünstler Simon Glaser sowie der Österreichflüchtling und aus dem Debütroman bekannte Cellist David Stanjic verbringen hunderte Romanseiten in Kneipen und Lokalen oder mit Hausmusik. Die Handlung, wenn es denn überhaupt eine gibt, besteht im Erörtern belangloser Klopapierweisheiten – es wird gemutmaßt, beobachtet, analysiert und vor allem abgeschweift. Eingebettet ist die Geschichte in einen Dialog der Erzählerin, die ihren autobiografischen Roman mit ihrem Lektor bespricht. Nicht ohne Grund kritisiert der antagonistische Lektor sie, versucht sie ständig zu maßregeln, um ihre Leser nicht zu vergraulen. Manch Einwand wird denn auch direkt umgesetzt, wobei die Protagonistin sich schnippisch ihre Freiräume behauptet. Diesem fiktiven Dialog verdankt der Leser Einblicke in die Entstehung eines literarischen Werkes, wenngleich zu hoffen ist, dass sie nicht authentisch sind.

Die Form, in der der Text präsentiert wird, wirkt sehr durchdacht und macht neugierig. Beide Buchdeckel ziert die gleiche handgezeichnete Europakarte, auf der alle wichtigen Orte, Straßen, Kneipen und Lokale des Geschehens verzeichnet sind. Eine Idee des Lektors, der glaubt, es gäbe Leser, die nach der Lektüre das Cafe Liebling, das Noch Schöner, das Küken und Kater oder die Lokale Schlechtes Versteck und Blutiger Daumen persönlich aufsuchen möchten. Aussagekräftige Kapitelüberschriften verlangt der Lektor von seiner Autorin, damit der Leser „zur Not mal was überblättern“ kann. Es werden derer 139. Vor jeder Kapitelüberschrift prangt in aperiodischer Reihenfolge eine geometrische Figur. Zehneck, Fünfeck, Sechseck, Rhombus und Fliege wecken Neugier (auf Seite 19 heißt es: „Wir werden erst auf Seite 278 wissen, was es genau damit auf sich hat.“) und Angst, hier könnte ein (zu) großes Rätsel zu lösen sein. Verweise auf Späteres gibt es häufig, sehr oft wird aber auch ein Satz abgebrochen, der sich Äußernde unterbrochen oder sein Gedanke von einem anderen zu Ende geführt.

Ein anderes wiederkehrendes Stilmittel ist es, Wörter zu benutzen, „die man nicht mehr sagt“. Kulturell wird jedes Niveau geboten. Der Musik eines Grieg, den Filmen eines Fritz Lang, den Bildern eines Bruegel, den Gerichten eines Wolfram Siebeck und der Philosophie des Feng-Shui steht ein Sammelsurium von Bauernregeln und Redewendungen, ein Floskelmekka voller Überraschungseier gegenüber. Und die Protagonisten schwätzen ohne Hemmungen und ernsten Hintergrund. Die frühe Ankündigung, dass jemand umgebracht wird, der Roman eine Detektivgeschichte oder gar ein Krimi sei, täuscht – totgeschlagen wird auf den ersten 500 Seiten nur die Zeit.

Aber ungewarnt läuft bei Roßbacher keiner ins Messer: „Er und auch alle anderen werden im Verlauf der Handlung noch viel Schwachsinn von sich geben, also gut, ich schreibe es nieder.“ Und Olaf, der Lektor findet das Buch „viel zu dick“, es sei „viel zu verquastes Zeug“ und „das vergrätzt uns den lieben Leser“. Er denkt: „Was redet die Lusche für einen Senf daher“. Er hält das Werk für „ungeheuer mühselig und anstrengend“ oder „unerquicklich“. Das zustimmende Nicken der Leser ist ihm dabei gewiss.

Kein Wunder, dass die Autorin in ihrem monströsen Roman auch das 639 Jahre dauernde Musikstück „As slow as possible“ erwähnt. Die Vorliebe der „Detektive“ für die Schönheit in einer unordentlichen Ordnung, die Vergötterung des Blumenkohls als Meisterwerk dieser Aperiodik und die atemlosen „Sprechdurchfälle“, die den Rand der Banalität streifen, können bisweilen faszinieren. Viele skurrile Exkurse – was passiert mit Zierfischen, wenn man Gelatine ins Aquarium gibt, wie kriegt man Kartoffelstärke aus der Badewanne raus – sind eine amüsante Abwechslung, ja prägen den Text. Aber ist es wirklich ironisch gemeint, wenn der Lektor seine Autorin auf Seite 552 zwingt, einen Vertrag zu unterschreiben, nach dem ihr nächstes Buch „Die Muskatellertraube“ heißen, 2015 erscheinen wird und maximal 100 Seiten lang sein darf? Die Autorin spielt, und das außerordentlich eindrucksvoll, mit der Geduld ihrer Leser. Roßbachers Lektor scheint dabei selbst einige Kapitel überblättert und sprachliche Mängel übersehen zu haben. Ob das Buch eine gelungene Provokation oder ein grenzenloser Schreibdurchfall ist, darf selbstverständlich jeder Leser bei der Lektüre selbst entscheiden.

Titelbild

Verena Rossbacher: Schwätzen und Schlachten. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014.
630 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783462046151

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