Vom Versagen einer Elite

In „68 Lebensläufen“ analysiert der von Gerd R. Ueberschär herausgegebene Sammelband „Hitlers militärische Elite“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende, von dem Historiker Gerd R. Ueberschär herausgegebene Band mit 68 Lebensläufen von Militärs, die zu „Hitlers militärischer Elite“ gehörten, erschien erstmals 1998 in zwei Bänden. 2011 folgte eine Neuauflage in einem Band. Beide Ausgaben sind inzwischen vergriffen. Gerade aber in den letzten Jahren hat sich die Forschung über die Rolle und Funktion der Wehrmacht im nationalsozialistischen Machtapparat sich intensiviert und ebenso neue Erkenntnisse gewonnen wie weiterführende Fragestellungen aufgeworfen. Deshalb, darauf weist der Herausgeber in einer „Vorbemerkung“ hin, erschien es sinnvoll und hilfreich, die vorliegende Sammlung neu herauszugeben. Umso mehr, da die im vorliegenden Band versammelten Beiträge allesamt von ebenso knapper wie fundierter Qualität sind und auch deshalb weiterhin als Grundlage weiterführender Fragestellungen und Untersuchungen dienen können.

In zwei die Lebensläufe ergänzenden Beiträgen bewerten der Leiter der Gedenkstätte „Deutscher Widerstand in Berlin“ Peter Steinbach und der Historiker Wolfram Wette die in den letzten Jahren neu gewonnenen Erkenntnisse über „Hitlers militärische Elite“. Beide verweisen dabei in ihren Ausführungen auf die Bedeutung der „Wehrmachtsausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung, mit der seit Mitte der 1990er-Jahre die Sichtweise auf die Nazi-Militärs entscheidende Veränderungen erfuhr. Die Legende von der ehrenvoll kämpfenden Truppe, die mit den nationalsozialistischen Verbrechen nichts zu tun hatte, war endgültig widerlegt. Die Wehrmacht war tief verstrickt in die Verbrechen der Nazis. Peter Steinbach kommt in seinem Beitrag „Zwischen Gefolgschaft, Gehorsam und Widerstand“ zu einem eindeutigen Ergebnis: Die meisten Militärs haben versagt. Die Aussage erhält umso mehr Gewicht, wie sich zeigen lässt, dass die Möglichkeit eines „abweichenden Verhaltens“ durchaus gegeben waren, dieser „soldatische Widerstand“ gegen verbrecherische Befehle aber ausblieb. Demgegenüber versuchten die Militärs nach 1945 ein anderes Bild ins Zentrum ihrer Erzählung zu rücken. Wolfram Wette skizziert in seinem Beitrag „Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945“ zunächst, mit welcher Energie die Herren Militärs gleich nach dem Krieg ihre bereits vielfach in Gefangenschaft vorbereiteten Geschichten von der „sauberen Wehrmacht“ erzählten und zu Papier brachten. Erfolgreich zunächst, bedenkt man, dass kein einziger von ihnen von einem bundesdeutschen Gericht wegen Kriegs- oder NS-Verbrechen verurteilt wurde. Im Gegenteil: Bereitwillig gingen auch englische und amerikanische  Militärgeschichtsschreiber auf die militärischen Legendenbildungen ein. Generäle wie Manstein, dessen Lebensbild sich auch in diesem Band befindet, konnten so das Bild des hochprofessionellen Militärs pflegen, ohne dass ihre politisch-moralische Verantwortung hinterfragt wurde.

Die ausgewählten Lebensläufe wollen in ihrer Gesamtheit einen Beitrag zur Frage leisten, wie es kommen konnte, dass eine sich in preußisch-deutscher Militärtradition empfindende Elite vereinnahmen ließ von einem verbrecherischen Regime. Wer waren diese Menschen? Wie gelangten sie in ihre Positionen? Was führte dazu, dass Pflichtgefühl, Verantwortung und Fürsorge für tausende Untergebene am Ende zur hörigen Gefolgschaft der Nazis missriet?

Die Wehrmacht, darauf macht der Herausgeber in seinem Vorwort aufmerksam, zählte 3191 Generäle und Admiräle, nicht mitgerechnet die höheren Führer der Waffen-SS. Eine Auswahl von 68 Offizieren kann nur „einen besonderen Ausschnitt schärfer beleuchten, der durch deren jeweilige Dienststellung markiert und herausgehoben ist“. Das sind natürlich zunächst die „prominenten Heerführer“ aus Heer, Luftwaffe, Marine und Waffen-SS, darunter beispielsweise Albert Kesselring, Gerd von Rundstedt, Karl-Heinrich von Stülpnagel, Ernst Udet, Heinz Guderian oder eben Erich von Lewinski, gen. von Manstein. Ebenso gehören dazu bekannte Namen wie Alfred Jodl, Wilhelm Keitel, Karl Dönitz, Wilhelm Canaris, Joseph (Sepp) Dietrich oder auch Henning von Tresckow. Zudem sollten Personen aus den weniger bekannten „Führerkorps der Militärjuristen  und Militärärzte sowie aus dem Sanitätsdienst der Waffen-SS“ wie beispielsweise Rudolf Lehmann, Ernst Rodenwaldt, Karl Brandt, Siegfried Handloser oder Werner Lueben berücksichtigt werden. 

Die durchweg kompetent skizzierten Lebensläufe der Militärs wurden von Wissenschaftlern, Journalisten und Militärangehörigen aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, Kanada und den USA verfasst. Die Beiträge umfassen höchstens zehn Seiten. Jeder Text enthält einen Anmerkungsteil und „Bibliographische Hinweise“.

Titelbild

Gerd R. Ueberschär (Hg.): Hitlers militärische Elite. 68 Lebensläufe.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2015.
618 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783806230383

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