Die Revolution ist anderswo
Mit „Nachts ist es leise in Teheran“ legt Shida Bazyar ein überzeugendes Debüt vor
Von Nils Demetry
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn der Ausgabe des Kulturmagazins „Titel, Thesen, Temperamente“ anlässlich der Leipziger Buchmesse vom 20.03.2016 wurden die beiden jungen AutorInnen Shida Bazyar und Senthuran Varatharajah zur Macht und Rolle der Sprache in der Flüchtlingsdebatte befragt. Beide wiesen nicht unbegründet darauf hin, dass bereits die Verwendung von Begriffen wie „Flüchtlingsstrom“ oder „-welle“ in den Köpfen des Publikums ein bestimmtes Narrativ mit einer gewissen Bildsprache etabliert: Fluchtbewegungen als Naturereignis, als Bedrohung – ein Erzählmuster, dass es scheinbar nicht mehr nötig macht, über komplizierte Gründe für Flucht, über die Geschichte der Flüchtlinge, bevor sie an Europas Stränden stranden, nachzudenken.
„Es ist die Sprache der Politik, der Medien, der Literatur“, kommentierte die Stimme aus dem Off, „die veröffentlichte Sprache, die massiv auf uns zurückwirkt: Sie macht uns fähig zu Empathie – oder zu Hass. Aber es geht auch darum, ob wir nur noch Teile der Realität wahrnehmen.“
Bisweilen jedoch, so scheint es wenigstens, nimmt auch die Kritik nur Teile der „Wahrheit“ bzw. des „Werks“ wahr. Shida Bazyar, 1988 in Rheinland-Pfalz geboren, erzählt in ihrem Debüt Nachts ist es leise in Teheran in vier umfangreichen Kapiteln über vier Jahrzehnte und Figuren hinweg die Geschichte einer iranischen Familie vor dem Hintergrund der iranischen Revolution 1979. Behsad und Nahid fliehen mitsamt ihren noch jungen Kindern Laleh und Mo aus Teheran in die Bundesrepublik der Achtzigerjahre. Das Ehepaar zählte zum Widerstand gegen den Schah und war aktiv an der Revolution beteiligt, bis Ajatollah Chomeini sich gegen weitere revolutionäre Gruppen durchsetzte und sein islamisches Regime im Iran installierte.
Nachts ist es leise in Teheran ist ein fesselndes, durchaus starkes Debüt: Bazyar zieht den Leser mit ihrer schon jetzt bewundernswert stilsicheren Sprache nach kurzer Zeit gleichsam in einen Bann. Wenn jedoch das Gros der Rezensenten in Nachts ist es leise in Teheran vor allem eine Schilderung des „Lebens zwischen zwei Welten […] voller Poesie und Intelligenz“ (Moritz Holler in WDR5) erkennen möchte, so ist das zwar nicht falsch – lässt aber außer Acht, dass auch viel darüber gesagt wird, wieso es überhaupt zu einem „Leben zwischen zwei Welten“ kommen kann; dass es immer und immer wieder um die verpasste Chance einer wirklichen Veränderung geht. Behsad, überzeugter Kommunist, berichtet etwa im ersten Kapitel, wie sein Jugendfreund Sohrab auf einer Demonstration angeschossen wird. Hier wird der stumme, namenlose Schrecken greifbar, mit dem die damals jungen Studenten mitansehen mussten, wie ihnen ihre Revolution verwehrt blieb:
Ich habe es prophezeit, schrie eine Stimme in meinem Kopf, ich habe es nach der ersten Seite Marx gesagt, habe es nach der ersten Seite Lenin gesagt und sage es, bis ich sterbe, bis sie mich in der Hölle schmoren lassen oder bis sie einsehen, dass es keinen anderen Weg gibt als den, den die Geschichte vorgibt, dass es sinnlos ist, sich gegen uns zu wehren, dass wir stärker sind, meine Faust schoss in die Höhe, Hoch, die Internationale Solidarität. Doch da war Sohrabs Faust plötzlich nicht mehr in der Höhe, dann erst hörte ich den Nachhall des Schusses, der ihn zu Boden fallen ließ, wie klein jemand ist, wenn er in der Menge zu Boden fällt.
Zwischen den alltäglichen Wirren und Schwierigkeiten der iranischen Familie in Deutschland kreisen die Gedanken der Figuren über den gesamten Roman immer wieder auch über die gescheiterte Revolution, die verlorenen Verwandten und Freunde sowie ein Heimatland, das sich mehr und mehr der Erinnerung entzieht. In Deutschland lernen Behsad und Nahid Walter und Ulla kennen, „zwei anstrengend freundliche Ökolinke“ (Stephan Lohr auf SPIEGEL ONLINE), die sich um die beiden Exil-Iraner und deren Kinder kümmern. Die Distanz, die trotz aller Freundschaftsbekundungen zwischen den beiden Ehepaaren bestehen bleibt, beschreibt Nahid an einer Stelle im zweiten Kapitel sehr anschaulich:
Ich hatte die Zeitschriften vor Augen, die Ulla mir gezeigt hatte, die bunten Bilder des Schahs, hatte vor Augen, wie Ulla lachte und erzählte, die habe sie aufgehoben, weil Walter und sie sich damals kennengelernt hatten, auf den Protesten, der Studenten gegen den Schah und die Nazis an den Unis. Ulla kichert immer, wenn sie von diesem Damals redet, als wären die Proteste nur ein Kennenlernen von zwei jungen Menschen gewesen und nicht das, was die Deutschen zumindest als den Versuch einer Revolution verbuchen könnten.
Auch ihr Sohn Mo, ein junger Student im Jahr 2009, empfindet das, was in Deutschland unter Protest und Streik verstanden wird („Auf dem Campus spielt eine Band. Latinomusik für blonde Mädchen in bunten indischen Stoffhosen.“) zusehends als belastend. Hier scheint nicht nur die Distanz zwischen den Figuren in Shida Bazyars überzeugendem Debüt verhandelt zu werden: Eine Kritik, welche die Revolution nur noch als austauschbaren Hintergrund, als zufälliges Bühnenbild für eine Geschichte des Spagats zwischen „persischer und deutscher Lebensart“ und „aufrüttelnde Familiengeschichten“ begreifen könnte, würde Nahid und Mo ebenso beunruhigen; eine Kritik, die bezüglich Bazyars Debüt fast nicht mehr ohne biographischen Hinweis auf die Herkunft der Autorin auskommt („Ihre Neugier auf das Thema Flucht ist […] biographisch bedingt“ – Diese Neugier kann also nur biographisch bedingt sein?), übersieht womöglich die sogenannten Teile der Wahrheit. Die Revolution war eben schon immer anderswo – und sollte nach Möglichkeit geflissentlich dort bleiben.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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