Ehebruch als Tabubruch mit drastischen Folgen

Marie von Ebner-Eschenbachs emanzipatorischer Roman „Unsühnbar“ lädt in einer ansprechenden Neuausgabe zum Entdecken einer großen österreichischen Autorin ein

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 12. März dieses Jahres hatte die österreichische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach ihren 100. Todestag. Mehrere wichtige Neuerscheinungen würdigen die Grand Dame des österreichischen Realismus und laden dazu ein, das literarische Schaffen der Schriftstellerin neu oder wiederzuentdecken. Neben einer großangelegten vierbändigen Leseausgabe im Salzburger Residenz Verlag zählt auch der kleine Band „Unsühnbar“ dazu, der im gewohnt ansprechenden Design der Reihe Manesse Weltliteratur daherkommt.

Der Roman erschien erstmals im Jahr 1890, zu einer Zeit, als sich die Autorin bereits durch Werke wie „Aphorismen“ (1880) und den „Dorf- und Schlossgeschichten“ (1883) einen Namen gemacht hatte. In „Unsühnbar“ verliebt sich Maria von Wolfsberg, eine hochsensible junge Frau, die nach dem frühen Tod der depressiven Mutter alleine mit ihrem strengen und unnahbaren Vater und dessen Schwester aufwächst, in den charmanten und kunstliebenden Felix Tessin, einen jungen Lebemann und Liebling vieler Gesellschaften. Doch sie fügt sich dem Wunsch ihres Vaters, der Tessin für eine ungeeignete Partie hält, und heiratet den sehr ernsten, allen Konventionen der biederen Adelsgesellschaft entsprechenden Graf Dornach. Schweren Herzens schwört sie ihrer schwärmerischen Liebe zu Tessin ab und findet letztendlich an der Seite des ehrlichen und rechtschaffenen Dornach ein kleines privates Liebesglück, das durch die Geburt des Sohnes Hermann gekrönt wird. Eine perfekte Idylle, bis eines Tages ein lumpig gekleideter, schwerkranker Mann auftaucht, der, wie sich herausstellt, Marias Halbbruder Wolfi ist. Vom Vater, dem Grafen von Wolfsberg verleugnet und ignoriert, versucht er nun bei der Halbschwester durch mitleidheischendes Verhalten Unterschlupf und Unterstützung zu finden. Durch eine Intrige Wolfis gelingt es Felix Tessin, Maria allein zu begegnen; es kommt zu einem Seitensprung, der nicht folgenlos bleibt. Der zweite Sohn Erik soll Maria nun fortan an ihren Fehltritt erinnern und macht ihr die Bürde ihres moralischen Verbrechens zusehends schwerer. Jahrelang kämpft Maria innerlich mit ihrer Schuld und versucht diese durch übertriebene gesellschaftliche Unternehmungen und sozial-karitative Aktivitäten auszugleichen. Als aber eines Tages bei einem Ausflug Dornach und der erstgeborene Sohn bei einem Badeunfall sterben, bricht Maria ihr Schweigen. Bei der Testamentseröffnung gesteht sie den Ehebruch und lebt fortan ausgestoßen von der Gesellschaft auf einem unwirtlichen Schloss, bis sie nach längerer Zeit, von Krankheit, Trauer und Depression gezeichnet, stirbt.

Ebner-Eschenbachs Roman kann im Kontext seiner Zeit als emanzipatorischer Roman gelesen werden, in dem Bigotterie und Frauenfeindlichkeit der Adelsgesellschaft angeprangert werden. Psychologisch feinfühlig komponiert wird hier die Geschichte rund um eine hochsensible Frau erzählt, die Opfer der Männerwelt wird und die letztendlich an der Scheinmoral der Gesellschaft zerbricht. Bemerkenswert ist, dass die österreichische Autorin bereits rund fünf Jahre vor dem Erscheinen des großen Ehebruchromans „Effie Briest“ (1896) von Theodor Fontane diese Thematik auf eine ähnlich kritische Weise behandelt. Umso begrüßenswerter, dass dieser lange Zeit in Vergessenheit geratene und absolut lesenswerte Text in einer ansprechenden Erscheinungsform nun wieder neu aufgelegt wurde. Mit einem informativen, literaturwissenschaftlich fundierten Nachwort von Sigrid Löffler ist der Band ein idealer Einstieg in das literarische Schaffen einer der großen Autorinnen der Weltliteratur.

Titelbild

Marie von Ebner-Eschenbach: Unsühnbar. Roman.
Manesse Verlag, München 2016.
345 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783717524144

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