Das totale Museum
Christian Welzbachers gehaltvoller Essay zum „Museumsrausch“ der Gegenwart
Von Jan Rhein
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseRund um die Welt wurden 2017 spektakuläre Museumsneubauten eröffnet – darunter mit dem „Zeitz MOCAA“ in Kapstadt das erste Museum für ausschließlich afrikanische Gegenwartskunst, oder der Louvre-Ableger in Abu Dhabi, der mit dem nicht unambitionierten Motto „See Humanity in a new Light“ wirbt. Die Ambition dieser Häuser und die Debatten, die ihre Eröffnung begleiteten – so etwa um das männliche, weiße Führungstrio des MOCAA – zeigen, dass sich die Rolle von Museen nicht auf das bloße „Ausstellen“ von Objekten beschränkt, und machen aus Christian Welzbachers Essay Das totale Museum ein Buch der Stunde. Denn sie belegen eine seiner Hauptthesen zum „Museumsrausch“ der letzten Jahrzehnte, zu finden auf den ersten Seiten (und auf dem Rücken) des Buchs: „Je schneller die äußeren Umwälzungen, desto wichtiger das Museum als Ort des Rückzugs, der Stabilität und der Sicherheit“. Bei Welzbacher löst dieser Hype ein Unbehagen aus, auf das er in seinem gleichzeitig locker gewobenen und dichten Text von verschiedenen Seiten zugeht. Ein Grundproblem liegt für ihn im heutigen „Museumsdenken“ – in der Organisation, Kanalisation und (Nicht-)Vermittlung von Wissen und somit in der Rolle von Kuratoren und der „Steuerung“ von Kulturbetrieben in Zeiten einer Privatisierungsbewegung. Diese Entwicklung zeichnet er zunächst in großen Schritten nach: Indem er der Rolle des Museums seit den Wunderkammern der Renaissance nachgeht, zeigt er, wie wenig zweckfrei dieses von Beginn an war und etwa im 18. Jahrhundert als kultureller „Resonanzraum des wirtschaftspolitischen Selbstverständnisses des Bürgertums“ diente. Wer als reicher Sammler seine Exponate dem Volk zur Verfügung stellte, durfte sich wie ein Fürst fühlen. Heute, so argumentiert Welzbacher, lasse sich mit Privatsammlungen nur noch geringeres soziales Prestige aufbauen, diese taugten nur noch als „Möglichkeit der Steuerkompensation“. In der Folge sinke – durch entgangene Privatstiftungen – das „moralische Gesamtkapital“ der öffentlichen Museen. Um dies zu kompensieren, seien „öffentliche Häuser zu pseudoprivaten, vorgeblich zeitgemäßen Institutionen umgebaut“ worden – und würden wie Unternehmen geführt.
Ein weiteres Krisensymptom sieht Welzbacher in einem Museumsmarketing, das sich an Besucherzahlen und nicht an Qualität ausrichten müsse. Für das Museum als Warenhaus, das „in der Ausstellung Bedürfnisse erzeugt, die es im Shop befriedigt“ findet er – in Anlehnung an Adornos „Entkunstung der Kunst“ – die schöne Formel von der „Entmusung des Museums“, die er an dem bekannten Beispiel des Guggenheim-/Bilbao-Effekts illustriert: Museen werden selbst zu Ikonen, die man wegen ihrer Form, weniger wegen der ausgestellten Werke besucht. Wobei das Verhältnis von Objekt und Besucher für Welzbacher ohnehin problematisch ist: Im musealen Raum würden Objekte einem „Veredelungsritual“ und einer „institutionalisierten Klitterung“ unterworfen, ihre inszenierte Aura verhindere, dass sie noch wirklich erfahrbar seien – eine Entmündigung der Besucher. Dies erscheint ihm umso problematischer, wenn Kuratoren selbst nicht autonom, sondern nur mit befristetem Werkvertrag angestellt seien und somit zu „Erfüllungsgehilfen“ eines Systems würden, das sich auch gegen sie selbst richte.
Das „totale Museum“ meint also nicht nur den Gedanken, die ganze Welt sei ein einziges Ausstellen und Exponieren – an Hermann Brochs Roman Schlafwandler zeigt Welzbacher, dass die „Durchkuratierung“ des Daseins kein neues Phänomen ist. Auch das bürgerliche Museum habe immer das Außermuseale gespiegelt, das Bürgertum umgekehrt sein Dasein ausgestellt. Vielmehr bezieht sich der Titel des Essays auf einen „totalitären Zug“ des Museums selbst, welcher durch die „privatwirtschaftliche Umstrukturierung des Kulturbetriebes“ nur noch deutlicher geworden sei.
Der Text ist kein Schnellschuss, sondern das Ergebnis eines langjährigen Interesses für das Thema, was man ihm an Dichte und Materialfülle anmerkt. Die Verschränkung von Kulturkritik, Zahlen und Fakten, Literarischem und Erlebtem bietet nicht immer letztgültige Erkenntnisse, sondern vor allem inspirierende Denkanstöße und -ansätze – und das in einem so schmalen Band, dass man ihn gut für die nächste „lange Nacht der Museen“ in die Jackentasche stecken kann.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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