Manga mortale

Jan Egesborgs „Thanatos“ zeichnet infernale Mord- und Todesfantasien

Von Wolfgang HerbertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Herbert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich eingangs sei, um eventuellen Erwartungen Richtung zu geben, vorausgeschickt: Thanatos von Jan Egesborg ist ein Manga, kein Roman. Vom Verlag wird es als Graphic Novel beworben – entsprechend finster und schaurig ist das Buch. Schauplatz ist Japan und zwar die ehemalige Kaiserstadt Kyoto. Atmosphärisch passend befinden wir uns im Winter. Die Geschichte wickelt sich innerhalb einer Woche ab. Nach dem Prolog bilden die Tage von Montag bis Sonntag die Zäsuren zwischen den Bildteilen. Viel Schwarz hat der Zeichner aus seinem Tintenfass geholt. Die Bilder sind monochrom und stilistisch simpel. Die urwüchsige, expressive Stilisierung der Figuren erinnert an Entwurf-Skizzen für eine Mode-Kollektion, nur werden im vorliegenden Manga wesentlich unerquicklichere Dinge wie verstümmelte Leichen und Alpträume abgebildet. Graphic heißt hier krass realistisch bis zu schockierender Grässlichkeit. In den Naturdarstellungen und städtischen Szenen ist das Lokalkolorit hingegen sehr gut eingefangen. Die Akkuratesse der Zeichnungen lässt vermuten, dass der Skizzierer entweder in Japan gewesen ist oder entsprechendes Fotomaterial sehr eingehend studiert hat. Nur ein Bild, das seine Fahrt aus Kyoto „in die Natur“ illustriert und eine Autobahntrasse über Hochhäusern zeigt, gehört eindeutig nach Osaka und nicht nach Kyoto. Aber selbst die Büros, Bars, Restaurants und andere Interieurs sind bis ins Detail „japanisch“.

Protagonist der Bilderzählung ist ein freiberuflicher Journalist, den seine Liebe zum Haiku-Dichter und Maler Yosa Buson (1716–1784) nach Kyoto gebracht hat, wo Busan seine zweite Lebenshälfte verbracht hatte. Dessen Grab im Tempel Konpuku besucht er regelmäßig und die respektive Tuschzeichnung ist bis hin zu den kursiv geschriebenen Schriftzeichen detailgenau. In einer Bar lernt der Reporter einen Kriminalkommissar kennen; über diesen erfährt er über greuliche Serienmorde an jungen Frauen. Er wittert eine Story und von da an nimmt das Unheil seinen unerbittlichen Lauf. Die Entwicklung der Geschichte ist atemnehmend linear, es gibt bis zuletzt keine überraschenden Wendepunkte. Auch wechselt die Erzählperspektive nicht. Wir sehen alles aus den Augen des Journalisten, der schnurgerade ins Verderben rennt. Auf seinem Weg würde man ihm gerne eine Warnung zurufen oder ihn vom nächsten Schritt abhalten. Aber gerade die Unbeirrtheit, mit der er in die Falle geht, macht den einspurigen Plot so beklemmend.

Ein rasch als Hauptverdächtiger erkennbarer Physikprofessor ist am Ende auch der (indirekte) Täter. Von allen gruseligen Tötungen wurden Videoaufnahmen erstellt. Sie sind zugleich Nachstellungen von Folterszenen aus Gemälden des holländischen Renaissancemalers Hieronymus Bosch (1450–1516). Die vier an jungen Frauen verübten Bluttaten sind auf einer Doppelseite zeichnerisch festgehalten. Es handelt sich um archaisch-bestialische Marterqualen. Ihre Wiedergabe könnte tatsächlich der Feder oder vielmehr dem Pinsel Boschs entstammen, dem Meister des kalkulierten Grauens und der bizarr-symbolischen Verbildlichung des Bösen im Menschen. Das letzte Opfer war mutmaßlich eine Hackerin. Hier ist der Nexus zum Professor, der als Autorität auf dem Gebiet der Quantenphysik gilt – und Hieronymus Bosch-Bilder in seiner Wohnung hängen hat.

Sein Assistant hält uns dann eine Vorlesung über Quantenverschlüsselung, die als nicht knackbar gilt. Über die willkürliche Polarisation von Photonen wird nach dem der Quantenphysik eigenen Zufallsprinzip eine Nachrichtenverschlüsselung erstellt, die jeweils nur einmal Verwendung findet. Hacker sind hier machtlos. Nordkorea sei daran interessiert, und es wird insiniuert, dass seine Agenten letztlich in die Morde involviert sind. Die langatmige, aber auch dem Laien verständlich zubereitete Exposition der Quantenverschlüsselung ist zwar spannend und ein gutes Gehirntraining, für eine Kriminalgeschichte aber eher nebensächlich. Textlich nimmt sie einen beträchtlichen Teil ein. Das ganze Manga besteht ja lediglich aus 56 großzügig bebilderten DIN-A-4-Seiten und ist in weniger als einer halben Stunde lesbar. Inklusive Endnoten werden ganze 11 Seiten der Erläuterung der Nachrichtencodierung gewidmet. Hier feiert das deklarierte Hobby des Autors, die Mathematik, fröhliche Urständ. Man gewinnt den Eindruck, dass demgegenüber der Entwicklung der Geschichte nur nachrangiges Augenmerk gegolten hat. Das Buch ist ein dünnes Hardcover-Heftchen und künstlerisch ansprechend, hingegen erzählerisch zweitklassig. Comic-Freunde mögen an den schroffen Tuscheskizzen ihre Freude finden, als Kriminalgeschichte ist die Handlung etwas plump gestrickt. In Japan erzählt man sich an schwülen, heißen Sommerabenden Geistergeschichten, um durch Gänsehaut und wohliges Schaudern ein wenig Abkühlung zu erfahren. Da würde auch dieses Büchlein optisch und plotmäßig seinen Dienst leisten. Nicht allgemein empfehlenswert, aber sicher ein begehrenswertes Liebhaberstück für Fans von Graphic Novels und düsteren Nachtmahrvisionen.

Titelbild

Jan Egesborg: Thanatos.
Illustriert von Johannes Töws.
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2018.
80 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783865692948

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