Puppenball und Tanzdemokratie
Zur Wiederentdeckung des Jazz-Romans von Hans Janowitz
Von Thomas Betz
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Die Welt war nicht gerade Caligari, aber Jazz war sie geworden, gründlich Jazz geworden" - wenigstens, so räumt der Erzähler ein, in ihrer Freizeit. Ein Roman über die 20er Jahre: Eintänzer und Dancing Girls, Motorroller und Privatflugzeug, Lautsprecher und Kaugummi, Strumpfmannequins und Bibi Black, "die schwarze Tänzerin aus der Negerrevue vom Vorjahr". Ein Roman der Zeit, 1927 erschienen, der aus solch modisch-aktuellen Requisiten und Figurentypen seine Handlung komponiert: "Jazz" von Hans Janowitz. Die Wiederentdeckung war programmiert, denn der Erzähler selbst blickt am Anfang distanziert-ironisch aus dem Jahre 1999 zurück auf die Zeit des Bubikopfs, der Radiowellen und der Ost-West-Dissonanz.
Die zeitnahe kolportagehafte Handlung liefert Gelegenheiten zu physiognomischen Skizzen der Geselligkeit und Geschlechterrollen und dient dem erzählerischen Experiment: Denn die beiden Handlungslinien - einmal der Aufstieg von "Lord Punchs Jazz-Band-Boys« in Paris nebst Lord Henrys Geschichte mit der Tänzerin Baby, zum anderen das Abenteuer der lebenslustigen Engländerin, Madame May R., mit dem mysteriösen russischen Maler Astragalus - werden vom Erzähler durch Abbrüche, Andeutungen und Abschweifungen kapriziös verwirrt und verknüpft. Ist die "Lebensaufgabe" der Boys die "Übersetzung der Welt in Jazzmusik", so ist es die selbst gestellte Aufgabe des Erzählers, den "ersten Jazz-Roman" vorzuspielen, "der nach den Gesetzen der Jazzmusik entstanden ist". Er klingt jedenfalls jazziger als Felix Dörmanns gleichnamiger Wiener Roman "Jazz" von 1925 und schräger als René Schickeles "Symphonie für Jazz" (1929).
Und wenn auch in Feuilletons "Jazzband" und "Saxophon" und "Synkope" als repräsentative Bilder der Gegenwart bereits ins Spiel gebracht waren, ist der Roman doch auf seine Art einzigartig, auch als poetologische "Jazzpièce". Kein Juwel der deutschen Literatur, aber ein witzig gefasstes, funkelndes, originelles Stück Modeschmuck, das 1927 in der Reihe "Romane des XX. Jahrhunderts" erschienen ist, neben Franz Kafka und Marcel Proust. 1927 startete der Berliner Verlag "Die Schmiede" noch einmal eine Offensive, um den Bankrott abzuwenden. Er hatte Hans Reimanns humoristische Zeitschrift "Das Stachelschwein" übernommen und brachte eine Reihe "Berichte aus der Wirklichkeit" heraus, in der u. a. Egon Erwin Kisch, Joseph Roth und Hans Siemsen über "hochaktuelle und sensationelle Stoffe der Welt von heute" berichteten, über Homosexualität, Drogen, Kriminalität.
Der Autor Hans Janowitz, 1890 im böhmischen Bad Podêbrad geboren, wurde bekannt als Drehbuchautor (zusammen mit Carl Mayer) des expressionistischen Filmklassikers "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920). Seine literarische Laufbahn begann im Prager Kreis, wo er mit den Schulkameraden Willy Haas und Franz Werfel, mit Max Brod und Franz Kafka 1912 in den "Herder-Blättern" publizierte. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er in Berlin als Filmdichter und Kabarettautor für Trude Hesterbergs "Wilde Bühne", hatte die Metropole aber schon verlassen (und die Ölmühle seines Vaters übernommen), als er seinen Roman "Jazz" schrieb. Aus der Tschechoslowakei flüchtete er 1939/40 in die USA und lebte als erfolgloser Schriftsteller von den Einkünften einer Parfümfirma in New York, wo er 1954 starb.
Wie der Roman - gewitzt und zugleich bemüht - Kolportage und Jazz-Poetologie mischt, wie er Dissonanzen konstatiert und konstruiert, ist einer genaueren Lektüre wert, ebenso die Funktionen des Fatalismus am Schluss und des Rückblicks am Anfang: "es war die Zeit der wilden Kindereien, Schattenwürfe nur der tragischen Verwilderungen, die noch bevorstanden, es war die Zeit der wilden Freude an wilder Lausbüberei, an wildem Unfug im Ordnungsbereich, kurz: das wahre Programm der Zeit hieß: Jazz."
Bei Gelegenheit dieser dankenswerten Neuausgabe hätte das Nachwort von Rolf Rieß in manchem detaillierter ausfallen können. Besonders reizvoll hingegen ist die beigegebene CD mit 23 - von Viktor Rotthaler kundig ausgewählten und kommentierten - Jazz-Songs und Tanzschlagern: von Paul Whitemans "Charleston" (1925) über Friedrich Hollaender & seine Weintraub Syncopators bis zu Greta Keller & die Two Jazzers (1930).
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