Das fünfundsiebzigste Jahr
15 AutorInnen schmähen und würdigen Ingeborg Bachmann
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm 25. Juni 2001 wäre Ingeborg Bachmann 75 Jahre alt geworden. Die runde Jahreszahl nahm der Piper Verlag, bei dem sie bis zu ihrem Wechsel zu Suhrkamp ihre Werke veröffentlicht hatte, zum Anlass, 15 Autoren und Autorinnen die Gelegenheit zu bieten, über die Klagenfurter Autorin zu schreiben. Herausgegeben wurde der Band von Thomas Tebbe und Reinhard Baumgart, der sich rühmt, als Lektor von Bachmanns Erzählungen "Das dreißigste Jahr" für die "Ausnüchterung aller Himmelfahrtstendenzen" ihrer Texte gesorgt zu haben. Im vorliegenden Band hat er die einleitenden Bemerkungen verfasst. Er und drei weitere der versammelten Autoren, Peter Dementz, Peter Hamm und Jochen Kaiser kannten Bachmann persönlich, was Baumgart als interpretatorisches Privileg ausspielt, da die Erinnerung an die Person ihre Texte "in eine ganz andere Nähe" rücke. Der nachgeschobene relativierende Halbsatz - "aber auch verstellen kann" - wirkt kaum als halbherziges Zugeständnis, zumal der privilegierte Zugang der Altherrenriege durch die Bemerkung unterstrichen wird, Ingeborg Bachmann sei "jüngeren Autoren" nur als "Wortgespenst" bekannt. Dass feministische Literaturwissenschaftlerinnen in den 70er und 80er Jahren begannen, das männliche Interpretationsmonopol gegenüber Bachmanns Werken mit erhellenden Texten und neuen Sichtweisen zu durchbrechen, hat Baumgart bis heute nicht verwunden und klagt, sie sei damals "Beute der Feministinnen" geworden. Angemessener wäre wohl, davon zu sprechen, dass sie Bachmann nach fünfundzwanzig Jahren endlich den Klauen der männlichen Literaturkritik und ihren oft misogynen Interpretationen entrissen haben. Mit seinem Ressentiment gegen "feministisch orientierte Literaturbetrachtung" (Peter Hamm) steht Baumgart im vorliegenden Band allerdings keineswegs allein da. Dass er dekonstruktivistische Näherungen an Bachmanns Texte ebenso wenig mag, wird deutlich, wenn er zu Kathrin Schmidts Beitrag bemerkt, sie habe das Gedicht "Liebe: Dunkler Erdteil" paraphrasiert und dekonstruiert, indem sie es "Vers um Vers und Bild um Bild geradezu zerfleischt" habe, um es dann wieder "zusammenzuzwingen".
Bachmann selbst, so Baumgart, sei inzwischen "zur Ikone erstarrt". Diesen Eindruck kann man allerdings nicht gewinnen, liest man die hier versammelten Texte. Thomas Kling etwa versteht nicht, dass ihre Gedichtbände "knallberühmt" sind, da "ihre Gedichte sich nie wirklich aus der Masse der deutschsprachigen Nachkriegsprosa herausgehoben" hätten, sondern dem "Mainstream-Kitsch der [...] verdrucksten Adenauer-Jahre" zuzurechnen seien. Sie zu lesen gleiche einem "angestrengten Waten in Vierfruchtmarmelade". Andere halten dagegen. "Diese Gedichte", so weiß Hilde Domin sicher, "haben es in sich" und Ulla Hahn fand einst bei Ingeborg Bachmann gar "die Zeile, die mir vielleicht die liebste der deutschen Dichtung ist". Peter Demetz gesteht ein, dass er an ihren Gedichten "hängt", bekennt aber zugleich seine "Abneigung" gegen den Roman "Malina" und "sein geschwätziges Wiener Arkadien". Den sieht Ulrike Draesner hingegen ganz anders und findet, dass Bachmanns Prosa auch "beim Wiederlesen fünfzehn Jahre später erstaunlich wenig gealtert und kraftvoll" klinge. Bachmann "wusste", so Draesner, "wohin sie wollte". Jan Koneffke wiederum zeigt sich von der Lektüre des Rom-Essays "enttäuscht" - bis er schließlich einen "biblischen Ton" in ihm zu entdecken glaubt, "fast ein Gebet". "Äußerstes Befremden" äußert er hingegen über ein Interview, das Ingeborg Bachmann 1973 gab. In ihm habe sie sich dem "politischen Slang" angepasst und den "seinerzeit üblichen Sprachgebrauch" "nachgeplappert". "Politkitsch" lautet Koneffkes knappes Verdikt. Überhaupt herrschen, so hat man den Eindruck, in dem Band die kritischen Stimmen vor, die distanzierten und reservierten Haltungen. Zu den nachgelassenen Fragmenten aus dem "Todesarten"-Projekt "Requiem für Fanny Goldmann" und "Das Buch Franza" äußert sich jedoch - merkwürdiger- oder bezeichnenderweise - keiner der Herren.
Joachim Kaiser erzählt stattdessen in seiner altväterlichen und mit Chauvinismen angereicherten Art lieber davon, wie Ingeborg Bachmann war, "damals, zu Beginn der fünfziger" - oder besser gesagt, wie er sie gesehen hat. Ihre "Königinnenallüre" sei es gewesen, die "ergriff und besiegte", also wohl nicht ihre Gedichte. Diese, ihre Allüre, habe sie stets als "Königswürde" umgeben, selbst dann noch, als sie "damenhaft vernünftig" gewesen war.
Franzobel zufolge war Bachmann seinerzeit nichts weiter als die "Muse dieser Herrenrunde", wie er die Gruppe 47 nennt. "Auf der Merchandising-Ebene" sei Bachmann ein "weibliche[r] Peter Handke" gewesen. Dennoch sei ihr ein "wirklicher Verkaufserfolg versagt" geblieben. "Wie aber ist es zu erklären", so fragt er sich, "daß das Ansehen der Bachmann nach ihrem frühen Tod ständig gestiegen ist"? An der Qualität ihres Werkes kann es jedenfalls nicht liegen. Vielleicht also "wegen ihres nicht wirklich zugänglichen Erbes"? Oder "aufgrund ihres noch immer nicht geklärten Todes"? Nein, wohl doch eher "weil der nach ihr benannte Preis ständig an Bedeutung zugenommen hat" - den Franzobel, wie er nicht vergisst anzumerken, 1995 selbst erhalten hat.
Anders als ihre männlichen Kollegen würdigen Dagmar Leupold und Judith Kuckart Bachmann mit zwei kurzen Erzählungen. Leupold sieht sich mit Ingeborg Bachmann beim "Nachmittagstee in der Via Bocca di Leone", bei dem sie von "I. B." um Feuer gebeten wird, die einen "langen Seufzer" ausstößt, als wolle die Kettenraucherin - in einer vorahnenden Todesvision? - "den Abstand zur letzten Zigarette damit messen." Kuckart ist mit dem "vierzigsten Jahr" nicht nur eine gelungene Hommage auf Ingeborg Bachmann geglückt, sondern eine ebensolche Erzählung, in der die Männer mit ihrer "toten, fremden Schweigsamkeit" als "andere Rasse" gelten.
Zwar nicht literarisch, doch behutsam, ohne sie für eine These, eine Behauptung, einen Standpunkt heranzuziehen und dabei durchaus nicht unkritisch, nähert sich Ulrike Draesner Ingeborg Bachmann, die "heute vor allem unter dem Aspekt der von ihr gespielten Autorinnenrolle interessant" sei. Denn "wer heute als Frau die dichterische Szene betritt", werde "über kurz oder lang" zu Bachmann in Beziehung gesetzt. Ihr "Lebens- und Textweg" habe "nachhaltig" die Frage aufgeworfen, "unter welchen Bedingungen man in Deutschland Dichterin sein darf, kann oder gar muß".
Man hätte sich mehr Judith Kuckarts gewünscht, mehr Ulrike Draesners und vielleicht den Beitrag einer - trotz des missglückten Malina-Films - so kongenialen Autorin wie Elfriede Jelinek. Dafür hätte man es gerne verschmerzt, auf den einen oder anderen Franzobel verzichten zu müssen.
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