Auf der Suche nach dem roten Faden

Christine Renz über Erzählstrukturen bei Fontane

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was haben Roland Barthes, Theodor Fontane und Christine Renz gemeinsam? Die Lust am Lesen. Worin unterscheiden sie sich? Dem Buch von Christine Renz über Fontane Schrägstrich Barthes wird man weniger Lesefreude abgewinnen. Dieser Einstieg ist unfreundlich, denn das Unlustgefühl nach einer 200 Seiten Kompilation von teilweise brillanten, zu einem größeren Teil allerdings nicht immer oder kaum mehr nachvollziehbaren Einzelbeobachtungen suchte sich zwanghaft ein Ventil. Renz gibt einen roten Faden vor: Sie beginnt mit Barthes und will an Fontanes Texten prüfen, ob sie intellektuelle Lustgefühle wecken und wenn ja, warum das so ist.

Im Verlauf der Analyse entpuppt sich Fontane immer mehr als postmoderner Autor. Was gut zu dem Versuch der postmodernen Literaturbetrachtung paßt, die Ursprünge der Postmoderne immer weiter zurückzudatieren. Der Text als Spiel, das Glückspotential, das sich beim Lesen entfaltet - diese Schlußfolgerung der Studie trifft doch wohl auf alle hochliterarischen Texte zu. Kein fiktionaler Text ist, wie wir spätestens seit Schiller wissen, an die Fesseln der Natur gebunden, und genau das gibt ihm seinen Spiel-Charakter. Das Glücksgefühl schließlich, das bei der Entzifferung von Texten freigesetzt wird, wird mancher auch bei Chronogramm-Gedichten des Barock empfinden können. Dieser rote Faden war also keiner, man findet keinen Weg aus dem Labyrinth des Buches.

Wie wäre es mit folgendem: Renz macht an einer Stelle der Einleitung deutlich, daß sie an eine Traditionslinie der Fontane-Forschung anknüpft (Demetz, Mittenzwei, Grawe). Es geht um die Analyse der "Causerien" (ein Fontane-Wort), der Gespräche, die in den Romanen bekanntlich breiten Raum einnehmen und in vielerlei Hinsicht die Modernität des Romankonzepts von Fontane bezeugen. Entscheidend für die Modernität des Konzepts ist für Renz, daß Rede und Gegenrede einen relativ offenen Diskurs begründen, dessen Inhalte und Strukturen sich erst beim analytischen Blick auf Motivketten offenbaren - ein Diskurs, der zahlreiche traditionelle Wertesysteme in Frage stellt, beispielsweise Religion und Obrigkeitshörigkeit. Das ist in der Tat ein roter Faden, allerdings ein dünner, der nicht selten reißt.

Statt sich mit postmodernem Feuerwerk in Szene zu setzen hätte Renz besser daran getan, die zahlreichen heterogenen und kaum integrierbaren Theorieansätze zugunsten einer konsequenten Dialoganalyse zurückzustellen. Die Barthessche "Lust am Text" weist in eine gänzlich andere, psychoanalytische oder Wertungskategorien konstituierende Richtung; die Nachzeichnung philosophischer Einflüsse (Hegel) hat damit so viel zu tun wie der Frosch mit dem Wetter - von Benjamin und Foucault gar nicht zu reden. Viel Rauch und wenig Feuer also? Hin und wieder blitzt der eine oder andere Funke auf: Wunderbar ist die Analyse von "Frau Jenny Treibel" im 2. Kapitel, da literarische Texte, auf die im Roman nur indirekt Bezug genommen wird, auszugsweise abgedruckt und die literarischen Bezüge plausibel diskutiert werden. Besonders originell ist der Vergleich des Romanschlusses mit dem Ende von Shakespeares "Twelfth Night".

Weitere Glanzlichter setzt die "Stechlin"-Analyse. Daß das vom Roman erwähnte Millais-Gemälde eine im Wasser schwimmende, tote Ophelia zeigt, paßt gut ins Bild. Auch ist es richtig, daß zahlreiche Symbol- und Motivketten zu der von der Forschung bisher verkannten Armgard als Braut Woldemars führen. "Das Poetische gewinnt eine eigene Wahrheit" ist ein treffender Satz, und der folgende klingt wie eine Weisheit fürs Leben: "Humor gewinnt einen Freiheitsraum, den Realität nicht bereitstellt: Realität heißt Wahl." Die Lust an der Dechiffrierung von Symbolen, Motiven und Strukturen kann aber auch glorreich ins Abseits führen. Das Gespräch zwischen Innstetten und Wüllersdorf aus "Effi Briest", das im Zentrum des 1. Kapitels steht, läßt sich wohl kaum als Beleg dafür verwenden, daß "die Konsequenz des Handelns" das "Ergebnis des Gesprächs" ist. Die Struktur der präsentierten Romanwelt läßt gar kein anderes Ergebnis zu, das Ende ist dadurch vorherbestimmt.

Titelbild

Christine Renz: Geglückte Rede.
Wilhelm Fink Verlag, München 1999.
300 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3770533836

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch