Vom Beginn des illustrierten Zeitalters
Ein Sammelband über „Illustrierte Zeitschriften um 1900“ sondiert die Ursprünge der Massenpresse
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm Kern des von Natalia Igl und Julia Menzel herausgegebenen Sammelbandes über Illustrierten Zeitschriften um 1900 steht die Überlegung, dass eine Analyse und Auswertung der illustrierten Presse, auch und gerade in Hinsicht auf ihre Bedeutung für die Entwicklung der Massenpresse des 20. Jahrhunderts, nicht nur einzelne Texte oder Abbildungen in den Blick nehmen muss, sondern die jeweilige konzeptionelle Gestaltung der Zeitschriften insgesamt. Diese steht zudem in einem spezifischen Bedingungszusammenhang, ist also kontextuell eingebunden. Die beiden Herausgeberinnen legen im ersten Schritt besonderen Wert auf die Analyse der Text-Bild-Relationen in den illustrierten Zeitschriften. Hier seien zwei Besonderheiten erkennbar: die Modalisierung der Bedeutungsträger und ihre Metaisierung. Die Zeitschriften bieten mithin integrierte Bündel von Bedeutungen an, die jeweils vom Rezipienten in Anspruch genommen werden (Modalisierung). Hinzu komme eine besondere Form der Reflexivität des Mediums, die die Herausgeberinnen als Metaisierung bezeichnen. Sie werten damit die Zeitschriften gegenüber dem monografischen Buch einerseits auf, machen diese doch deutlich komplexere Kommunikationsangebote und stellen andere Anforderungen. Andererseits verwehren sie die simple Nutzung von Zeitschriften als Druckorte. Stattdessen unternehmen sie den Versuch, sie als eigenständige mediale Form in der Geschichte der Moderne sicherzustellen. Sie richten die Aufmerksamkeit auf das Zusammenspiel der jeweiligen Präsentationsformen bis hin zur Gestaltung ganzer Seiten, Ausgaben oder auch Plattformen, die in den geänderten gesellschaftlichen Zusammenhängen funktionieren mussten, sollten sie Bestand haben.
Mit der Einführung der illustrierten Presse moderner Prägung im Laufe des 19. Jahrhunderts und mit der Entwicklung der Massenpresse erhält dies eine besondere Dimension. Die Initialzündung geht dabei von der verstärkten Nutzung von Illustrationen im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts aus. Der Reportageholzschnitt garantierte in der Illustration höchste Aktualität. Mit den Pfennig-Magazinen seit den 1840er-Jahren entstand mithin eine Massenpresse, die mit neuen Strukturen und Angeboten neue Leserschichten ansprach. Mithilfe neuer Drucktechniken und dem Einsatz der Fotografie legte sie um 1900 nochmals an Auflage zu, um dann in der Medienlandschaft des 20. Jahrhunderts einen prominenten Platz einzunehmen. Mit gutem Grund: Das Bildungs- und Informationsbedürfnis immer größerer Bevölkerungsschichten war mit dem Bildungsniveau und den Qualifikationsanforderungen in der Wirtschaft massiv gestiegen.
Um 1900, am Ende der 1. Industrialisierung, wird nun – nicht zum ersten Mal – das Verhältnis zwischen Text und Bild neu ausbalanciert. Zudem verstärkt sich die Ausdifferenzierung des Mediums. Die Bilder – darunter mehr und mehr Fotos – haben sich von ihrer rein illustrativen Funktion emanzipiert. Mehr noch, ihnen ist ein Großteil des Massenerfolgs der Zeitungen und Zeitschriften zuzuschreiben. Neugierde, Aktualität und Sensation korrespondieren miteinander. Hinzu kommt ein Rezeptionsverhalten, das nicht mehr auf einzelne Beiträge oder Themen fokussiert ist, sondern zum einen deutlich in die Breite geht und zum anderen von Reizen geleitet wird, die die Medien selbst zu setzen versuchen. Der Zeitungsleser um 1900 liest anders als der um 1830, allerdings lebt er auch in einer anderen Welt, die höhere Ansprüche an seine Flexibilität und sein Weltwissen stellt. In diesem Zusammenhang übernehmen Abbildungen neue, andere und weiter gehende epistemische Aufgaben als zuvor. Sie erzählen Geschichten und vermitteln Inhalte, und zwar zum Teil andere als Texte, und das auch noch in einem anderen Modus. Das Design der Zeitschriften verändert sich zudem und wird gleichfalls als Bedeutung generierendes Element aktiviert.
Solche Überlegungen, die im Band von Beiträgern immer wieder aufgenommen werden, verbieten es fast, sich auf ausgewählte Texte zu beschränken, die unselbständig erschienen sind. Wenn die mediale Plattform nur als integriertes Zusammenwirken der verschiedenen Elemente funktioniert, von der Type über den Text und den Bildern bis hin zur Anordnung auf der Seite oder der jeweiligen Ausgabe, dann können etwa Texte nicht ohne Verlust aus diesem Verbund herausgelöst werden. Das reicht bis in die Anordnung der Werbung, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein noch auf gesonderte Seiten verbannt wurde und damit eine eigenständige Wirkung hatte, die sich von der der redaktionellen Seiten unterscheidet. Das Medium ist also in der Tat die Botschaft. Mehr noch, nur die mediale Präsentation als Ganzes trägt die Botschaft. Wogegen wenig zu sagen ist, außer dass es gelegentlich immer noch notwendig wird, Teile aus diesem Kontext zu lösen.
Und vice versa: Nimmt man diesen Ansatz ernst, müsste eine nichtkontextuelle Verwendung von Einzelbeiträgen unterbleiben, was vor allem in den Literaturwissenschaften, aber auch in der Kunstgeschichte zu Themen- und Zugriffsverboten führen würde, die nicht leicht hinzunehmen sind. Motiv ist in beiden Bereichen das Interesse am Werk einzelner Autoren, für das die mediale Plattform zweitrangig ist. Das aber wird auf diese Weise suspendiert, was freilich überzogen wirkt. So weit wird man nicht gehen wollen.
Dennoch, der Hinweis darauf, dass Texte oder Fotos kontextualisiert, ihre Narrative hinreichend analysiert und das Medium selbst verstärkt in den Blick genommen werden sollten, um angemessen verstanden werden zu können, ist fruchtbar genug. Das wird spätestens dann offensichtlich, wenn die Lektüre von Feuilletons eines Autors in der Sammlung mit der am Ursprungsort verglichen wird. Der Zusammenhang, den der Sammelband eines Autors herstellt, ist so gesehen ahistorisch und unangemessen, zumindest dann, wenn ein historisierender Zugang anvisiert wird. Aber dann spielt nicht nur der Druck eines Beitrags in einer spezifischen Ausgabe einer Zeitschrift eine Rolle, sondern auch das Profil des Mediums, Erscheinungsweise und Zielgruppe, Aufmachung, Platzierung und Serialiät.
Der von Natalia Igl und Julia Menzel herausgegebene Band versammelt Beiträge zum Verhältnis von Text und Bild in den illustrierten Zeitschriften um 1900. Neben einer Reihe von theoretischen Beiträgen, in denen vor allem Modalisierung und Metaisierung als Stichworte aufgegriffen und die narrativen Funktionen der verwandten visuellen Elemente erschlossen werden, werden Beiträge etwa zur „Gartenlaube“, zum „Pan“, zur „Jugend“, zu den Anzeigen in den illustrierten Zeitschriften aber auch zur „New Yorker“-Kolumne Lois Longs und zu den „Illustrated London News“ – ein Beitrag, der den Armutstourismus in London und seine Visualisierung thematisiert – abgedruckt.
Dabei zieht die bildliche Darstellung die weitaus größte Aufmerksamkeit auf sich. Der Fotografie wird zwar ein angemessener Raum eingeräumt. Die Illustration und der Holzstich als ältere Bildverfahren haben jedoch einen noch größeren Stellenwert. Die Begründung der Massenpresse wird unisono im frühen 19. Jahrhundert gesehen, was die Bedeutung der frühen Industrialisierung für die Begründung der Moderne nochmals verstärkt. Das ist soweit auch über diesen Band hinaus Konsens, dennoch wird die Dynamik dieses langen 19. Jahrhunderts immer wieder unterschätzt. Zwei Bemerkungen noch zum Schluss:
Zum einen wäre ein Blick auf die vormodernen visuellen Narrationen als Abgleich sinnvoll. So könnten etwa die Bildprogramme mittelalterlicher Kathedralen oder der erhaltenen Iwein-Fresken in Schmalkalden oder auf Schloss Rodenegg aufschlussreich sein. Zum anderen bemühen die Herausgeberinnen (und auch ein Teil der Beiträger) die überstrapazierte Kategorie des Forschungsdesiderats, um dem Leser mit aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, welchen Wert der Band hat, der hier vorgelegt wird. Das aber sollte der Antragsprosa vorbehalten bleiben.
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