Als Pop erwachsen wurde

Vor einem halben Jahrhundert erschienen gleich reihenweise Alben, die den Pop für immer verändern sollten. „Younger Than Yesterday. 1967 als Schaltjahr des Pop“ gibt einen unterhaltsamen Überblick über die bis heute kreativste Phase des Genres

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1967. Der Zweite Weltkrieg ist 22 Jahre her. Die Jugend zelebriert den „Summer Of Love“ und komponiert sich dazu einen eigenen Soundtrack. In Amerika und Europa drängen unzählige Bands ins Rampenlicht. Acts, die sich unterschiedlicher Stilistiken bedienen, aber denselben Spirit teilen. Und die sich dabei ernst nehmen. War Popmusik bis dahin in erster Linie Unterhaltung, wurde sie in diesem Sommer erwachsen. Pop wird Kunst – und erhebt das Album zum wichtigsten Kanal ihrer Botschaften. Das kreative Klima stachelt Bands zu Höchstleistungen an und ein Überbietungswettbewerb kommt in Gang. The Beatles, Pink Floyd, Jimi Hendrix, Bob Dylan, The Doors, The Velvet Underground & Nico, Grateful Dead, The Byrds, Aretha Franklin, Jefferson Airplane, The Beach Boys: Sie alle veröffentlichten in diesem Jahr bahnbrechende Alben. Younger Than Yesterday. 1967 als Schaltjahr des Pop widmet sich nun diesem Jahr und seiner Musik. Die Herausgeber Gerhard Kaiser, Christoph Jürgensen und Antonius Weixler haben – gemeinsam mit anderen namhaften Autoren wie Frank Ketteler, Niels Penke oder Heinrich Detering – elf dieser Alben jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet.

Das Buch lebt von seiner Heterogenität im Erzählstil und den vielen Hintergrundfakten und Anekdoten der kenntnisreichen Autoren, mit denen sie über die bloße Rezeption der Musik hinaus interessante Informationen zu den historischen, politischen und kulturellen Begleitumständen dieser Pop-Revolution geben. Dabei gewähren die Autoren durchaus auch Einblicke in ihre ganz intimen Hörerfahrungen und Emotionen. Frank Witzel etwa berichtet in seinem Beitrag davon, dass er als vorpubertierender Jugendlicher vom damals neuen Beatles-Album Sgt. Pepper’s Lonely Heartclub Band zunächst schwer enttäuscht gewesen sei. Er hatte das Gefühl, von seinen Idolen verlassen worden zu sein. Eine Ansicht, die sich später stark ändern sollte. Seine folgende Analyse seziert dann detailliert und nachvollziehbar, warum dieses Album für den Pop so wichtig war.

Interessant ist auch zu lesen, wie stark die Veröffentlichung einzelner Alben andere Musiker direkt in ihrer Art zu komponieren und zu spielen beeinflusste. So entstand ein regelrechter Wettstreit zwischen Dylan und den Beatles, zwischen den Beatles und den Beach Boys. Auch Grateful Dead und The Byrds inspirierten sich gegenseitig. Besonders gelungen ist auch das Kapitel über Aretha Franklins Album, das die schwarze Soulmusik endgültig auch für weiße Ohren zugänglich machte – die Popmusik war damit eine kulturelle Wende. Aretha färbte ihren Gospel mit Pop und wurde so zu einer zentralen Inspiration für unzählige weitere Künstler. Ganz nebenbei lieferte ihr „I Never Loved A Man The Way I Love You“ die Blaupause für die bis heute anhaltende Vorstellung von weiblicher Pop-Performance.

Schade ist einzig, dass nicht noch weitere bahnbrechende und einflussreiche Alben aus diesem Jahr – etwa Buffalo Springfields Buffalo Springfield Again, Captain Beefhearts Safe as Milk, Forever Changes von Love oder Disraeli Gears von Cream – in dieser Ausführlichkeit berücksichtigt wurden. Auch sie hätten mit ihren jeweiligen Entstehungsgeschichten und ihrer Wirkung auf die nachfolgende Popgeschichtsschreibung wertvolle Erkenntnisse geliefert. Aber auch so ist Younger Than Yesterday. 1967 als Schaltjahr des Pop ein lehrreiches, mit Anekdoten reich gefülltes und durch und durch unterhaltsames Werk geworden.

Titelbild

Gerhard Kaiser / Christoph Jürgensen / Antonius Weixler (Hg.): Younger Than Yesterday. 1967 als Schaltjahr des Pop.
Mit Beiträgen von Moritz Baßler, Heinrich Detering, Vea Kaiser, Frank Witzel u.a.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2017.
256 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783803136640

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