Auf den Spuren Irmgard Keuns

Michael Bienert publiziert neue Briefe der Schriftstellerin aus den Jahren 1935 bis 1948: „Man lebt von einem Tag zum andern“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Interesse am Werk und an der Biografie Irmgard Keuns ist seit Jahren sehr hoch. Im Zentrum der Wiederentdeckung Keuns zu Beginn der 1970er Jahre standen vor allem die beiden frühen Romane Gilgi, eine von uns (1931) und Das kunstseidene Mädchen (1932), zeigten diese beiden Texte doch ungemein sprachgewaltig, umfassend und eben auch urkomisch das Phänomen der „Neuen Frau“, des „Girls“ oder „Flappers“ zu Beginn der 1930er Jahre. Keun war mit diesen beiden Romanen zudem tatsächlich erfolgreich. Die Auflagen lagen wohl bei etwa 30.000 Exemplaren, Keun war also eine viel beachtete Autorin der späten Weimarer Republik. Umso größer und nachhaltiger war ihr Erfolg seit den 1970er Jahren. Seitdem ist sie mit ihren Büchern wohl ohne nennenswerte Unterbrechung mit verschiedenen Ausgaben und in verschiedenen Verlagen präsent, und seitdem gehören ihre Romane zum Standardrepertoire der Forschung zur Literatur im frühen 20. Jahrhundert, eben nicht nur von Frauen.

Allerdings haben ihre Texte immer wieder die von Seiten der gelegentlich arg bieder auftretenden Literaturwissenschaft aufgetürmte Seriositäts-Barriere überwinden müssen, wie insgesamt Texten, die als Unterhaltungsliteratur kategorisiert werden, in der Literaturwissenschaft die Gefahr droht, marginalisiert zu werden. Helmuth Kiesel etwa hat jüngst noch in seiner großen Literaturgeschichte der Weimarer Republik die „ridiküle Ausdrucksweise“ des zweiten Romans Keuns, Das kunstseidene Mädchen, und die „tendenzielle Nymphomanie“ der Protagonistin beklagt – was als Einschätzung ein auffallendes Extrem (und eine irritierende Fehllektüre) ist, aber immerhin gedruckt wird. Erschwerend kommt wohl hinzu, dass Keun mit biografischen Umständen eher leichtfertig umgegangen ist und auch einen eher hedonistischen Lebenswandel gepflegt hat, was sie allemal verdächtig macht. So hat sie ihr Geburtsjahr einfach fünf Jahre nach hinten, auf das Jahr 1910 geschoben, fürs Kunstseidene Mädchen soll sie sich bei Anita Loos‘ Blondinen bevorzugt (deutsche Übersetzung 1927) bedient haben (was bei einem Blick in beide Texte dementiert werden kann, konzeptionell steht Keun eher dem Nachfolgeroman Brünette – heiraten nahe, der 1929 erstmals auf deutsch erschien. Sie wird immer wieder als promisk gekennzeichnet und ihre bereits früh sichtbare Alkoholsucht ist ständiger Grundton aller biografisch orientierten Arbeiten. Aber ernsthaft gesehen tut nichts von dem der Bedeutung ihrer Arbeiten Abbruch. Sie sind bedeutende und für ihre Zeit signifikante Werke, eben nicht nur als Beiträge zur Literatur von Frauen.

Umso begrüßenswerter ist die Publikation der von Michael Bienert betreuten Briefausgabe, die jener in der Stadt erscheint, mit der Keuns größte Romane verbunden sind, in Berlin (bei Quintus), und in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste. Die vorgelegte Sammlung umfasst vor allem den Briefwechsel zwischen Irmgard Keun und dem Schriftsteller Franz Hammer (eigentlich Hammel, 1908-1985), der 1935 begann. Hammer, der in den frühen 1930er Jahren begonnen hatte, sich als Autor zu etablieren, befand sich zu Beginn des Briefwechsel in einer prekären Situation. Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus hatte seine ersten Erfolge suspendiert, erst nach und nach gelang es ihm, sich einigermaßen im Literaturbetrieb NS-Deutschlands zu etablieren, wobei er allerdings stets mit dem Misstrauen der Repräsentanten des Regimes rechnen musste. 1945 schloss sich Hammer dann der KP an, und begann eine Karriere in der DDR. Zu diesem Zeitpunkt war der Kontakt mit Irmgard Keun aber bereits wieder abgerissen.

Keun, die 1935 noch in Deutschland lebte, befand sich im Vergleich zu Hammer in einer zugleich komfortableren und gefährdeteren Lage. Ihre Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer wurde immer wieder hinausgezögert. Keun gelang es zwar trotzdem, eine Reihe von Erzählungen zu publizieren (die jetzt im Übrigen in der Werkausgabe bei Wallstein zugänglich gemacht worden sind). Sie wurde dafür jedoch von der Kammer sogleich mit einem Bußgeld belegt, da eine Tätigkeit als Schriftsteller/in in Deutschland zwischen 1933 und 1945 zwingend mit einer Kammer-Mitgliedschaft verbunden war.

Der Briefwechsel zwischen Hammer und Keun deckt nun gerade jene Jahre ab, in denen Keuns Lage immer schwieriger wurde. Das hatte auch Auswirkungen auf die Briefe selbst. Zwar handeln sie immer wieder auch vom Werk, das Hammer aufgrund der negativen Kritiken in der sozialistischen Presse vor 1933 anfangs nicht einmal gut kannte, aber im wesentlichen kreisen die Briefe um die Möglichkeiten, wie ein/e Autor/in unter den gegebenen Verhältnissen an Publikationsmöglichkeiten kommen und damit seinen/ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Keun hatte in dieser Sache in paar gute Hinweise für Hammer, Hammer wiederum bot sich Keun als möglicher Vermittler an, als Keuns Publikationsmöglichkeiten immer mehr schwanden. Die Texte, aus denen sie später den fulminanten Band Das Mädchen, mit denen die Kinder nicht verkehren durften (1936) zusammenstellte, hatte sie zwar noch angeboten. Ihre Publikation wurde jedoch immer mehr erschwert, so dass Keun 1936 schließlich doch für ein paar Jahre Deutschland verließ und ihre folgenden Romane in den niederländischen Exil-Verlagen Allert de Lange und Querido erscheinen ließ.

Auch die späteren Briefe, deren Adressaten Freundinnen, Bekannte oder ihr Ex-Ehemann Johannes Tralow sind, drehen sich um ihre Lebens- und Schreibbedingungen während der alliierten Bombardements, im zerstörten Köln und in der schwierigen Situation nach Kriegsende. Zwar schien die Ausgangslage für Keun nach Kriegsende nicht schlecht. Immerhin war sie nicht durch irgendeine Nähe zum NS-Regime diskreditiert. Aber schließlich konnte sie doch nicht mehr an die Karriere anknüpfen, die zwölf Jahre zuvor so harsch unterbrochen worden war.

Titelbild

Irmgard Keun: Man lebt von einem Tag zum andern. Briefe 1935–1948.
Quintus-Verlag, Berlin 2021.
160 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783969820001

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