Anti gegen alles

Die Wiederauflage der Zeitschrift „Zwischen den Kriegen“ zeigt ihre Herausgeber Werner Riegel und Peter Rühmkorf als kulturpolitische Partisanen der Adenauer-Ära

Von Maximilian MengeringhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maximilian Mengeringhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie groß die Sehnsucht nach Orientierung im ideologischen Sumpf der Nachkriegsjahre gewesen ist, lässt sich schon an den Titeln der Kulturzeitschriften bemessen, die nach 1945 wie Pilze aus dem bundesrepublikanischen Boden schossen. Periodika wie Die Wandlung, Der Ruf oder Das Lot machten es sich zur Aufgabe, den vorangegangenen Zivilisationsbruch zu kitten. Es galt zwölf Jahre Diktatur, Weltkrieg und Vernichtung der europäischen Juden aufzuarbeiten. Zugleich wollte man Perspektiven für eine Neuordnung nach dem Verfall aller ethischen Werte aufzeigen und wies der Kultur hierbei eine Schlüsselrolle zu. Welcher immensen Herausforderung sich die Zeitschriften stellten, lässt sich noch heute an den Schlagworten ablesen, um die sich die Debatten der späten 40er und frühen 50er Jahre drehten: Entnazifizierung, Reeducation, Wiederbewaffnung und die vehemente Forderung nach einem Schlussstrich unter die jüngste Vergangenheit, das waren lediglich vier von vielen Streitpunkten, über die Intellektuelle aller Lager beherzt und gerne auch blindlings stritten. Ausgefochten wurden die allermeisten Grabenkämpfe dieser Zeit im Printbereich, der sich entsprechend als moralischer Kompass legitimiert sah.

Als Werner Riegel und Peter Rühmkorf 1952 in Hamburg die erste Nummer ihrer Zeitschrift Zwischen den Kriegen herausgaben, war der Zeitschriftenboom genau genommen schon wieder vorbei. Mehr noch: Aus unterschiedlichen Gründen, die von schnöden Finanzierungsfragen bis hin zu Kompetenzrangeleien mit den Besatzungsmächten reichten, hatten Wandlung, Ruf und Lot ihr Erscheinen bereits eingestellt. Riegel und Rühmkorf machten dann auch unmissverständlich klar, dass es sich mit dem Aufbruchsoptimismus kurz vor Konrad Adenauers triumphaler Wiederwahl wohl gehabt hat. Zielten die in unmittelbarer Nachkriegszeit gegründeten Journale noch auf breit angelegte Volksaufklärung, was sich in teils beträchtlicher Auflagenhöhe widerspiegelte, so zirkulierte Zwischen den Kriegen, hektographiert und privat vertrieben, in zunächst 100, schließlich maximal 150 Exemplaren. Zwar verschrieb man sich im kleinen Kreis durchaus einem pädagogischen Ziel, formulierte dies jedoch ex negativo: „Wir sind gegen die Deutsche Dummheit.“

„Wir“, das waren neben Riegel und Rühmkorf zunächst noch Albert Thomsen und der spätere konkret-Herausgeber Klaus Rainer Röhl. Beider redaktionelle Mitarbeit beschränkte sich allerdings auf die zwei ersten Ausgaben, nach deren Veröffentlichung sie von Riegel und Rühmkorf als jeweiliges Bauernopfer geschasst wurden. Mit der dritten Heftnummer erfolgte dann auch schon so etwas wie ein kleiner Relaunch: Die Kommentierung des politischen Tagesgeschehens trat in den Hintergrund, stattdessen wurde fortan vor allem der literarische Widerstand erprobt und im neuen Untertitel Blätter gegen die Zeit zur Programmatik erhoben. Untermauert wurde der umfassend oppositionelle Anspruch durch die Ausrufung einer eigenen Bewegung. Der Finismus sollte dem Wechselspiel der avantgardistischen Ismen – und mit ihnen dem Fortschrittsglauben der Hochmoderne – ein Ende setzen: „Finismus ist kein Negativismus. Er verneint nicht, er bejaht das Ende.“ Bei aller Untergangsstimmung sollte einem das Lachen nicht vergehen, wenngleich es nicht selten auf halber Strecke im Halse stecken blieb. Riegel und Rühmkorf witzelten lieber gallig als drollig, rissen ihre Zoten, anstatt auf einfach ergatterte Schenkelklopfer zu spekulieren. Vor allem Rühmkorfs Verse sind stets mit einem Schuss Zynismus abgelöscht und strotzen vor sexuellen Anzüglichkeiten – zu einer Zeit, als sich damit noch provozieren ließ. Von der automatisierten ‚na-wenn-der-Lack-ab-ist-dann-haben-sie-wohl-dran-gepiddelt-Gnädigste‘-Ästhetik späterer Jahre ist Rühmkorf hier noch weit entfernt. Seine Zeitschrift scheint für ihn ein Testfeld gewesen zu sein, vielen seiner Gedichte sind die eigenen Vorbilder und eine Unsicherheit dem eigenen Ton gegenüber noch anzumerken. Manche Strophen hingegen hätten das bundesrepublikanische Selbstverständnis mitten in die Magengrube getroffen, hätte es sich der Konfrontation gestellt:

Ich fege alle Hoffnungen von unserem Tisch
Zehn Jahre nach Oradour.
Ich sitze in meinem Sessel aus grünem Plüsch.
Ich besinge die Müllabfuhr.

Riegel hingegen offenbart sich in seinen Beiträgen zunächst als passionierter Dichtungs-Vermittler. Seine Texte zum Finismus hatten aus der starken Anlehnung an den Expressionismus schon keinen Hehl gemacht, in Themenheften zu Jakob van Hoddis oder Würdigungen von Paul Boldt und Ferdinand Hardekopf versuchte er früh auf eine Lyrik aufmerksam zu machen, die zu Beginn der 1950er Jahre wahrlich nicht hoch im Kurs stand. Auf Betreiben Riegels wurde schließlich auch Kurt Hiller, als Herausgeber der Anthologie Der Kondor von 1912 quasi der Stammvater des literarischen Expressionismus, zum geneigten Leser und auch regelmäßigen Beiträger der Zeitschrift. Stets hatte Riegel aber auch ein Auge auf die Gegenwart. Es ist erstaunlich, wie viel Raum er der Lyrikkritik, zumal ihrer theoretischen Fundierung beimisst. Er durchschaute dabei die Dichterbilder seiner Zeit, denen Feuilleton und Preisjurys allzu gern noch die Stilisierung einer fast schon spezifisch deutschen Seher-Mystik mit Kusshand abnahmen: „Merkwürdigerweise nimmt man in Deutschland den Dichter, der sein eigener Theoretiker ist, nicht ernst als Theoretiker und weniger ernst als Dichter.“

Dass Zwischen den Kriegen trotzdem keine größere Öffentlichkeit beschert gewesen ist, war derweil nicht nur Teil des Charmes, sondern auch im Sinn der Sache. „Kein Verlag, keine Druckerei, kein Kapitalgeber war an der Zeitschrift beteiligt“, schreibt der Herausgeber der nun im Wallstein Verlag erschienenen Wiederauflage, Martin Kölbel, in einem informativen Nachwort, für das man ihm – wie überhaupt zur editorischen Einrichtung und Ausstattung der Ausgabe – ein Kompliment aussprechen darf. Selbst für die Autoren handelte es sich um ein Nullsummenspiel, Honorare für die Texte wurden nicht erstattet. Auf den zweiten Blick ist das kein Wunder, floss doch der Großteil der Textproduktion aus den Federn Riegels, Rühmkorfs und ihrer zig Pseudonyme wie Conrad Kefer, Lothar Leu oder Leo Doletzki. (Letzteren ließ Rühmkorf in Heft 9 übrigens sterben und widmete ihm unter dem Titel Elegie und Provokation einen Nachruf, bei dessen Lektüre kein Auge trocken bleiben konnte.) Riegel und Rühmkorf hatten sich rasch ein fiktives Spiegelkabinett an Pauschalisten geschaffen, sodass Rühmkorf nach Riegels Tod 1956 im Alter von gerade einmal 31 Jahren in einem gemeinsam mit der Witwe Lieselotte verfassten Rundschreiben konstatieren musste: „Die Zeitschrift Zwischen den Kriegen, die fünf ihrer Autoren verloren hat, ist nicht mehr zu halten.“ Damit war nach nicht einmal vier Jahren, aber stolzen 26 Ausgaben Schluss. Für Rühmkorf ging es bekanntlich bis zum Büchnerpreis etc. weiter; Riegels Werk hingegen ist in Zwischen den Kriegen aufgegangen. Fast vergessen, ist die notwendige Würdigung nun auf neuer Textgrundlage wieder uneingeschränkt möglich.

Riegel und Rühmkorf setzten sich mit ihrer Zeitschrift zwischen alle Stühle und fernab der Fleischtöpfe. Schule gemacht haben sie damit eben so wenig wie ihr Finismus. Irgendwie ist die Zeit auch vorbei, das Gejammer über die Marktkonformität des Literaturbetriebs, der sich damals erst konstituierte, ist heute gut eingemeindeter Teil der großen Show. Zudem ist fraglich, wie lange die unentgeltliche Arbeit im stillen Kämmerlein weitergegangen wäre. Der Ehrgeiz Riegels und Rühmkorfs war nicht gering. Ebenso wenig ihre Renitenz, die eine Tugend ist, wenn sie sich gegen die Richtigen positioniert.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Martin Kölbel (Hg.): Zwischen den Kriegen. Blätter gegen die Zeit. Eine Zeitschrift von Werner Riegel und Peter Rühmkorf.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019.
616 Seiten, 50,00 EUR.
ISBN-13: 9783835335356

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