Miteinander reden

Lukas Meschik ermutigt in „Einladung zur Anstrengung“ zur Kommunikation

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diskussionen strengen an, kosten Kraft, erscheinen nervenaufreibend und vermehren nicht immer das gegenseitige Verständnis. Rituell und eingeübt wirken oft parlamentarische Debatten. Insbesondere die rhetorische Schärfe, aber auch Formen der versierten Ironie und besonders eine zynische, sprungbereite Feindseligkeit sorgen für Verstimmung und Verdruss, nicht nur zur Weihnachtszeit und nicht allein in pandemischen Weltzuständen. Verbale Konfrontationen finden statt. Der österreichische Schriftsteller und Musiker Lukas Meschik bringt Verständnis für diskursmüde Menschen in der Gegenwart auf und plädiert leidenschaftlich für ein neues Miteinander des gelingenden kommunikativen Austauschs, um Polarisierungen aufzulösen und neu gemeinsame Wege des Gesprächs zu suchen. Er strebt dabei nicht schlichte Kompromisse an, sondern sucht nach Möglichkeiten und Perspektiven, um wieder anständig miteinander reden zu können, auch in sicher nicht ganz einfachen Zeiten.

Erhellend und sinnhaft ist das Motto, das seinen Darlegungen vorangestellt ist – „Ich weiß es nicht.“ Erweist sich Meschik hier als spätsokratischer Philosoph? Dies erinnert zwar an die bis heute als tiefgründig aufgefasste, von Platon überlieferte Aussage des Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Doch Meschik möchte dankenswerterweise nicht mit Bildungszitaten spielen und diese gekonnt platzieren, er bleibt ganz authentisch und genauso unphilosophisch. Wer sagt: „Ich weiß es nicht.“, der ist ehrlich. Dieses Statement steht gegen jedes Selbstmarketing. Viele Menschen haben, in der Schule und anderswo, gelernt und lernen müssen, Behauptungen aufzustellen und wortmächtig zu vertreten. Sie möchten Bescheid wissen – und treten auf, als wüssten sie ganz genau, worüber sie sprechen. Wer aber zugibt, zu den Ratlosen zu gehören, ist mitnichten töricht, im Gegenteil. Die Bescheid-Wisser wirken anstrengend, in allen Gestalten und Spielarten.

Meschik beschreibt also die Aufgeregtheiten dieser Zeit:

Jeder Abtausch folgt dem eingeübten Muster. Die Aufzählung lautet wie folgt: Empörung, Erniedrigung, Ermüdung, Ernüchterung. Diese Wegpunkte haken wir ab wie die verbissen fixierten Meilensteine eines Dauerlaufs. Etwas geschieht, jemand teilt es uns mit. Wir lesen, hören und sehen es in der Timeline, im Feed. Nun gilt es, teilzuhaben am Geschehen. Mitmischen um jeden Preis.

Aber, so Meschik, die kollektive „Empörungsleistung“ habe die Welt weder verschönert noch verbessert oder gar lebenswerter gemacht. Es sei traurig, „wie laut wir einander nichts zu sagen haben“.

Eine Art „Empörungsrausch“ diagnostiziert der Autor und führt Beispiele an, etwa wie einzelne Statements, die in der „großen Pandemie“ gefallen sind, aufgenommen, instrumentalisiert und kommentiert werden. So hatte sich ein bekannter Oberbürgermeister – der von Meschik namentlich nicht genannte Boris Palmer – „in vorsichtigem Konjunktiv“ darüber geäußert, es könne sein, „dass Menschen gerettet würden, die in einem halben Jahr wegen ihres Alters oder schwerer Vorerkrankungen ohnehin gestorben wären“. Meschik kritisiert die Aussage nicht, aber den konfrontativen Stil der Resonanzen. Das mag zwar verständlich sein, aber zum Diskurs – besonders in den Medien oder im öffentlichen Raum – gehört dazu, dass die konfrontativen Aussagen des Tübinger Oberbürgermeisters, die Meschik hier aufgreift, vehementen Widerspruch auslösen können. Das wird selbst die meisten derjenigen Zeitgenossen nicht verwundern, die diese Meinung billigen oder sogar gutheißen.

Der Autor äußert sich im Allgemeinen dazu: „Jemand sagt etwas, das uns gegen den Strich geht. Jemand tut etwas, das uns nicht passt. Wir sind empört, empört und nochmals empört. Wir gefallen uns darin.“ Der „Einsatz des öffentlichen Prangers“ als eines „sozialen Regulariums“ sei das Kennzeichen einer „rückständigen Gesellschaft“. Stimmt das? Vielleicht durchweht die Talkshows und Interviews, die Lukas Meschik hier kommentiert, mehr als ein Hauch von Zirkusluft – und möglicherweise werden die aufwühlenden, erregenden Gedanken, die immer wieder geäußert werden, zugespitzt oder auch absichtlich missverstanden. Doch eine Gesellschaft, die auf Humanität achtet und – wie in der ersten Welle der Covid-19-Pandemie – die Bilder aus den Kliniken von Bergamo und anderswo erschüttert wahrnimmt, scheint weder rückständig noch fortschrittlich zu sein, sondern auf das ausgerichtet, was das Grundgesetz festschreibt: Dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Man muss sich, das stimmt, weder künstlich echauffieren noch verbal aufrüsten, ebenso wenig aber kann stoische Gelassenheit im Umgang mit öffentlichen Statements verordnet werden. Dennoch scheint die „abwägende Zurückhaltung“, die Meschik empfiehlt, bedenkens- wie beherzigenswert zu sein, um neue Spielräume für Verständigung zu öffnen. Gleichwohl darf kritisiert werden, was kritikwürdig ist. Auch die Überlegung, sich ein „gesundes Misstrauen“ gegen die „eigene Hochgeschwindigkeitsmeinung“ zu bewahren, klingt vernünftig, ebenso der Hinweis, auf den Tonfall „wehleidiger Rechthaberei“ und „flapsige Belehrung“ zu verzichten. Schulmeisterliche Kommandos hört niemand gern. Wer auf das eigene Leben illusionslos zurückschaut, mag vielleicht bei sich selbst erkennen, dass die Lautstärke einer Anweisung selten dazu motiviert hat, das vielleicht sogar mangelhafte Verhalten, das man selbst an den Tag legte, zu überdenken und zu verändern:

Wer angegriffen wird, macht zu. Was es braucht, ist der ehrliche Vorschlag ohne mitschwingenden Vorwurf und frei von Ironie. Was ich aussprechen möchte, ist die Einladung zur Anstrengung. Und wie jede Einladung ist auch diese mit geduldiger Freundlichkeit ausgesprochen, die nichts verlangt. In erster Linie richtet sie an mich selbst.

Dazu gehört für Lukas Meschik auch der Empörungsverzicht, nicht aber die kategorische Nachsicht, einfach beliebig alles an- und hinzunehmen. Dies wäre nur eine Form der Indifferenz. Nicht jeder muss eine Meinung haben, nicht zu allem und nicht zu allem Möglichen. Nicht jeder muss umfassend informiert sein. Der Satz „Ich weiß es nicht.“, auf den Meschik hindeutet, drückt auch eine selten gewordene Haltung intellektueller Bescheidenheit aus. Uns darf bewusst sein, dass wir wirklich vieles nicht wissen, vieles nicht wissen können und auch vieles gar nicht wissen müssen. Wir dürfen das auch freimütig zugestehen.

Der Autor ermuntert zu „Gelassenheit im Beharrungsvermögen“:

Ich lade dazu ein, miteinander zu sprechen, auch über unleugbare Konflikte hart und klar zu streiten. Die glatten Oberflächen der Hetzer gehören wortstark und wirkmächtig durchschaut. Ich lade dazu ein, unser fragiles Gefüge namens Zivilisation nicht durch Spaltung zu zersetzen, sondern durch gewissenhaft abwägende, also umso zaghaftere Annäherung zu festigen und aktiv mitzugestalten. Sprache als Kitt.

Lukas Meschik legt eine Reihe von anregenden Gedanken vor, die sorgsam erwogen werden dürfen. Wer auf eine sorgsame Sprache im Diskurs achtet, achtet zugleich auch den Mitmenschen, der sich äußert oder über den etwas geäußert wird. Kommunikativ einander, privat wie öffentlich, mit Freundlichkeit, Sympathie, Sensibilität und Güte zu begegnen, ist gewiss jede Anstrengung wert.

 

Titelbild

Lukas Meschik: Einladung zur Anstrengung. Wie wir miteinander sprechen.
Limbus Verlag, Innsbruck 2021.
64 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783990392157

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