III.2.4 Gesellschaften

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2.4 Gesellschaften

Was eine literaturwissenschaftliche Gesellschaft ist, ist nicht klar zu definieren, weil es sich dem Namen zum Trotz eher um eine Funktion als um eine Institution handelt. Unter einer literaturwissenschaftlichen Gesellschaft verstand Matthias Luserke in einer grundlegenden »Problemskizze« solche Sozietäten, »die vorrangig […] einer wissenschaftlichen Arbeitsbeschreibung verpflichtet sind« (Luserke 1993, 308). Die Form dieser Sozietät ist abhängig von den historisch jeweils üblichen Vergesellschaftungsformen der Wissenschaft. Hier sind alle möglichen Modelle denkbar, von der streng strukturierten Akademie über den eingetragenen Verein bis zum informellen Arbeitskreis.

Vorläuferinstitutionen

Der Arbeitskreis ist vermutlich als Urform wissenschaftlicher Sozietäten in der Neuzeit anzusprechen, und zwar in seiner spezifischen Ausformung als gelehrter Zirkel in den Zentren des mitteleuropäischen Humanismus. Solche Zirkel bildeten sich um herausragende Persönlichkeiten des damaligen Wissenschaftsbetriebs, beispielsweise im 15. Jh. um Marsilio Ficino in Florenz oder Anfang des 16. Jh.s um Willibald Pirckheimer in Nürnberg. Der Organisationsgrad solcher Kreise war jedoch gering. In der Frühen Neuzeit war die wissenschaftliche Gesellschaft als res publica litteraria, als ›Gelehrtenrepublik‹, eine virtuelle Gemeinschaft aller am wissenschaftlichen Diskurs Beteiligten.

Seit dem 17. Jh. sind zunehmende Bemühungen zu verzeichnen, der ›Gelehrtenrepublik‹ stärker formalisierte Institutionen zu schaffen. Hierbei ist vor allem an zwei Organisationsformen der Gelehrten zu denken. Die erste sind die literarischen Gesellschaften, von denen die 1617 gegründete Fruchtbringende Gesellschaft die größte und einflussreichste im deutschen Sprachraum war. Der 1644 in Nürnberg gegründete Pegnesische Blumenorden ist die älteste, heute noch existierende literarische Gesellschaft der Welt. Im 18. Jh. waren es dann die vielerorts gegründeten Deutschen Gesellschaften, die diese Tradition fortführten. Dabei handelte es sich um Vereinigungen gelehrter Schriftsteller – Belletristik und Wissenschaft bildeten in dieser Zeit noch eine ungeschiedene Einheit –, deren wesentliches Ziel die Förderung des »Gebrauchs der Volkssprache in wissenschaftlichen und literarischen Texten« war (Mahr 1997, 130). Diese Sozietäten wurzelten in älteren Traditionen wie den humanistischen Gesellschaften und Sodalitäten, geistlichen Orden und Fraternitäten, weltlichen Ritterorden oder Tugendgesellschaften; vor allem aber wirkte hier die 1582 in Florenz gegründete, bis heute der Pflege der italienischen Sprache gewidmete Accademia della Crusca vorbildhaft.

Die Accademia della Crusca war zugleich das Vorbild für die zweite wichtige Organisationsform der Gelehrtenrepublik im und seit dem 17. Jh., nämlich die Akademien der Wissenschaften. Hier handelte und handelt es sich um staatlich betreute Institute zur Förderung unter anderem auch der literaturwissenschaftlichen Forschung, die im Gegensatz zu den literarischen Sozietäten oft sogar übernationale Geltung beanspruchen konnten. Die historisch berühmtesten sind die 1635 gegründete Académie française in Paris, die 1662 gegründete Royal Society in London, die 1700 auf Leibniz’ Initiative hin gegründete Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin oder die 1725 in Sankt Petersburg gegründete Russische Akademie der Wissenschaften. […]

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