III.3.4 Kulturjournalismus

Leseprobe

Von Stephan PorombkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Porombka

3.4 Kulturjournalismus

Schnittstellen zur Literaturwissenschaft

Die Literaturwissenschaft ist mit dem Kulturjournalismus gleich doppelt verbunden. Nicht nur gehören kulturjournalistische Texte in den Gegenstandsbereich der Literaturwissenschaft, weil sich hier journalistische mit literarischen Schreibweisen verbinden und den Interpreten zwingen, das komplexe Zusammenspiel von Faktizität und Literarizität anders zu bestimmen, als das bei ›rein‹ literarischen (oder ›rein‹ journalistischen) Texten notwendig ist. Auch umgekehrt gehören literarische Texte, ihre Autoren und ihr Betrieb zu den bevorzugten Gegenständen kulturjournalistischer Arbeit und werden in Rezensionen, Essays, Reportagen, Interviews und Porträts thematisiert. Das Schreiben über Literatur gehört also gleichermaßen in beide Bereiche, wenngleich sich auch die Formen der Beobachtung und der Schreibweisen grundlegend unterscheiden.

Es liegt an dieser Schnittmenge, dass das Schreiben bzw. Produzieren kulturjournalistischer Beiträge für Zeitungen, Zeitschriften, für das Radio oder das Fernsehen zum intensivsten Berufswunsch von Studierenden der Literaturwissenschaft gehören. Vorbilder gibt es genug, haben doch die Karrieren vieler Kulturjournalisten tatsächlich mit der Immatrikulation für Germanistik oder Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft begonnen. Viele haben das Studium allerdings gar nicht erst abgeschlossen, weil sie schon vorher als freie Journalisten, als sogenannte ›feste Freie‹ oder in fester Anstellung gearbeitet haben. Doch gibt es auch einige wenige Kulturjournalisten, die nicht nur ihren Magister gemacht, sondern auch nebenher promoviert (oder neben der Promotion weiter journalistische Texte geschrieben) haben. Dass allerdings Habilitierte noch in den Kulturjournalismus wechseln, kommt so gut wie gar nicht vor. Grundsätzlich gilt im journalistischen Betrieb die Formel, dass der Kontakt mit der Literaturwissenschaft für das Schreiben von Reportagen, Essays und Kritiken durchaus kein Nachteil sein muss (weil es das literatur- und kulturgeschichtliche Wissen ausbaut), dass sich aber ein allzu langer Aufenthalt an der Universität kaum als Vorteil erweisen kann (weil sich die wissenschaftliche Beschäftigung von der journalistischen so grundsätzlich unterscheidet). Was den Literaturwissenschaftlern aus der Perspektive der Redakteure meist fehlt, ist erstens ein profundes Faktenwissen, das weit über das literatur- und kulturwissenschaftliche Lehr- und Lerngebiet hinausgeht; zweitens eine kontinuierliche Praxis, die ein schnelles, mediengerechtes Schreiben routinisiert; drittens die Bereitschaft, Themen schnell zu wechseln, auf komplexe Überlegungen ebenso wie auf komplizierte Formulierungen zu verzichten, um dem Leser oder dem Hörer die Themen ebenso pointiert wie genau zu vermitteln.

Die Literaturwissenschaft tut nicht gerade viel dafür, um diese Bedenken zu zerstreuen. So werden die Studierenden gern vom Journalismus ferngehalten, weil man dem Anspruch gerecht werden will und muss, eine Wissenschaft zu sein und eben keinen Journalismus zu betreiben. Darüber hinaus beschäftigt man sich in den Geistes- und Kulturwissenschaften – einem weit verbreiteten Selbstverständnis nach – mit der Kultur der Gegenwart nur in Ausnahmefällen und dann auch nicht um der Gegenwart willen. [...]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.