Die Autopoiesis der Germanistik

Das Fach und seine Studierenden – Ein Tagungsbericht

Von Rabea ConradRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rabea Conrad

Projekt

Ermuntert und angestoßen von Kay Wolfinger und ermöglich durch die Fördermittel von Lehre@LMU, wurde die Idee zur Tagung aus der Fachschaft Germanistik an der LMU heraus entwickelt: Es bestand ein gemeinsames Interesse an einer demokratischeren Debatte durch Teilhabe an einer Diskussion, die vor allem auch über die Studierenden und ihre Qualität sowie ihre Perspektiven und Rolle für die Gesellschaft geführt wurde – und bisher ohne sie.

Unsere Tagung wollte einen Beitrag zu der in den Feuilletons und Fachzeitschriften schwelenden und immer wieder einmal akut werdenden Debatte um die Relevanz und das Wesen der Germanistik liefern. Diese Auseinandersetzung wurde bereits von einer breiten Diskussion innerhalb und außerhalb des Wissenschaftsbetriebes getragen, und so war unser Ziel weniger, ganz neue analytische Aspekte zu diskutieren, als vielmehr, die Perspektive noch einmal zu erweitern und den Schwerpunkt der Diskussion zu verlagern: Nicht mehr methodische Detailfragen oder allgemeine Überlegungen zu der Verwertbarkeit und Effizienz einer Disziplin sollten im Mittelpunkt stehen, vielmehr wurden diese Diskurse zum Ausgangspunkt, um einmal die studentische Sicht zugrunde zu legen. Zwischen Forschung und Lehre, zwischen Schule und Berufswelt, zwischen systeminternen Dozierenden und dem von außen kommenden Blick der Öffentlichkeit situiert, können wir Studierende eine neue vermittelnde Position einnehmen – so die Idee.

Gerade weil es so müßig ist, immer nach einer Identität und einer Einheit des Faches fragen zu müssen – und das muss man als WissenschaftlerIn, denn erst die wissenschaftstheoretische und  -geschichtliche Reflexion legt die Möglichkeitsbedingungen der eigenen Forschung offen –, worauf es noch dazu niemals eine endgültige Antwort geben kann, lohnte es sich aus unserer Sicht, einmal die Studierenden in das immer leere Zentrum des Faches einzusetzen, von dem her es sich organisiert und festigt. Unsere These war, dass sich ausgehend von dieser Setzung das Feld der Diskussion neu ordnen und fruchtbare Erkenntnisse hervorbringen würde.

Tagungsbericht

Der Blick ins Zentrum legt immer auch eine mehr oder weniger verdeckte prekäre Lage offen. Auch unsere Tagung hat gezeigt, dass es eine einfache und stichfeste Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Germanistik nicht geben kann. Das liegt zum einen daran, dass eine konkrete Vision innerhalb dieses Rahmens schlechthin nicht möglich ist, da dafür prophetische, nicht wissenschaftliche Fähigkeiten gefragt wären. Zum anderen – und bei einem nicht naiven Verständnis unserer Fragestellung – bleiben die verschiedenen Veränderungsprozesse für die Germanistik eine ständige Herausforderung, die Krisenrhetorik produziert. Die zunehmende Ausdifferenzierung des Faches, die gesellschaftliche Veränderung des Status der (noch immer?) als Hauptgegenstand verstandenen Literatur, die schwierige Vermittlung zwischen eigener Wissenschaftlichkeit mit einem bis zu einem gewissen Grade idealistisch-ethischem Anspruch und den Forderungen nach Öffentlichkeit, Stellungnahme zu aktuellen Themen, guter Lehrerausbildung und unmittelbar evidenter Relevanz sowie nicht zuletzt das weiter in der Wahrnehmung vieler BeobachterInnen relativ kontaktlose Nebeneinander der Fachteile – dies alles bleibt bestehen und somit zu bearbeiten.

Während die eigentliche Krise vor allem von außen diagnostiziert wurde (Martin Doerry hat auf der anfänglichen Podiumsdiskussion die Kritik seines Spiegel-Artikels[1] reformuliert und der Vortrag des Lehrers Dr. Euringer sprach von einer Berufspraxis, die weit entfernt ist von der ihr zugrunde liegenden akademischen Ausbildung), waren die Vorträge von Seiten der Dozierenden durchgängig von Optimismus geprägt: Sowohl die gesellschaftliche Irrelevanz (Prof. Susanne Reichlin) als auch die angebliche Perspektiv- und Leidenschaftslosigkeit (Prof. Oliver Jahraus) wurden zurückgewiesen, auch die TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion zum Fachganzen (Prof. Beate Kellner, Prof. Susanne Lüdemann, Prof. Oliver Schallert) konnten kein Zerfallen des Faches in seine Teile ausmachen und sprachen sich für mehr Dialog aus, um zugleich auch die Vorteile der Ausdifferenzierung hervorzuheben. Auch institutionell und hochschulpolitisch gab es ein überzeugendes Plädoyer (Dr. Marcel Schellong) für ein Fach, dessen „Krisen“ man anpacken kann.

Die beiden Autoren Thomas Meinecke und Tristan Marquardt, deren Selbstverständnis in einem theoretisch interessierten bzw. von der Wissenschaft inspirierten Schriftstellertum besteht, stellten in der abendlichen Lesung ihr Schreiben in eine den Studierenden analoge Position zwischen den Fronten Öffentlichkeit und Fachdebatte, aus der heraus sie kritisch und utopisch-produktiv zugleich sprechen können. Spannend war dann, davon ausgehend, zu sehen, dass auch die studentischen Beiträge einen starken Glauben an das eigene Fach und gleichzeitig ein hohes Maß an Kritik und Reflexion auf Krisenerfahrungen verbinden konnten. Oliver Sommer kritisierte kanonisierte Theorien in der Lehre und auch Simon Schkade und Georg Huber hinterfragten die gängige Lehrpraxis mit Blick auf Schule und Universität, um jeweils im gleichen Atemzug unter Beweis zu stellen, wozu sie ihr Studium befähigt hatte. Auch Anne K. Bucka und Marvin Luh rückten das analytische und hinterfragende Denken ihres Studiums in den Mittelpunkt, um daraus eine Kritik an der Kritik zu entwickeln, die die Ansprüche und Denkmuster unserer Gesellschaft entlarvt. Die „Relevanz“ aus sich selbst heraus zu erzeugen, indem die eigene germanistische Bildung als vielfältiges Instrument verstanden wird, beispielsweise den populistischen Vereindeutigungstendenzen etwas entgegenzusetzen und Fiktion und Narration der neuen Medien in den Blick zu bekommen, war dann auch der Ansatz Ricarda Julia Vodemaiers. Nicht zuletzt konnten auch die Vorträge der beiden aus dem Ausland angereisten GermanistInnen – Maxime Boeuf aus Frankreich und Tamar Gutfeld aus Israel –, die das Fach in ihrem universitären Alltag in einer besonders prekären Lage erleben, die Chancen interkultureller Verständigung qua Germanistik überzeugend darstellen.

Ergebnisse und Ausblick

Im Rückblick zeigte sich, dass genau diese studentisch-vermittelnde Stimme zwischen kritischer Auseinandersetzung und Optimismus, aber auch idealistischem Aufbegehren, Leidenschaft und pragmatischer Zukunftsorientiertheit eine implizite Antwort auf die Frage nach der Germanistik geben konnte: Was die Disziplin zusammenhält, ist die Lehre, was seine Teile bindet, ist das Grundlagenstudium, was sie nach außen wirken lässt und sie für die Gesellschaft relevant macht, sind ihre an ihren Methoden und Theorien geschulten Studierenden.

Immer wieder wurde im Laufe der Tagung darauf abgehoben, dass man von einer Krise der Germanistik schon deshalb nicht sprechen könne, da doch gerade diese Veranstaltung, auf der man sich befand, durch eine Auseinandersetzung mit sich selbst und durch das studentische Engagement eine Zukunft des Faches performativ erzeuge. Obwohl uns diese Aussage natürlich schmeichelte und sie vielleicht einen wahren Kern besitzt, bleibt ihr Enthusiasmus etwas einseitig. Der wahre Kern liegt darin, erkannt zu haben, dass sich das Fach durch seine Studierenden erneuert und sich immer wieder selbst hervorbringt. Diese Autopoiesis der Germanistik erschöpft sich jedoch nicht in der punktuellen Förderung einzelner Begabter, um sie als Wissenschaftsnachwuchs heranzuziehen. Ziel muss ein kontinuierlicher, breiter Austausch zwischen den Dozierenden und der ganzen Bandbreite an Studierenden sein. Diesen Anspruch möchten wir im Anschluss und als Fazit unserer Tagung in ein Plädoyer übersetzen, die angestoßene Diskussion auch über die Tagung hinaus zu führen, neue Formate des Austauschs zu schaffen und den Grundgedanken der universitären Lehre ernst zu nehmen: gegenseitige Inspiration und Lernen voneinander. Davon nährt sich eine Disziplin und so kann sie sich in die Zukunft fortsetzen.

[1] Martin Doerry: „Schiller war Komponist“, in: Der Spiegel (6/2017), S. 104-109. Dieser Artikel war auch Stichwortgeber und Abstoßungspunkt unserer Tagungsidee. Online ist er unter anderem Titel hier allgemein zugänglich: http://www.spiegel.de/spiegel/germanistik-studium-wo-die-chancen-fuer-germanistik-studenten-liegen-a-1133069.html.