Donnerstag, 26.3.
Erst 6 Tage Shutdown, und schon habe ich Angst, vor die Tür zu gehen und die Wirklichkeit zu betreten. Das Leben im luftleeren Raum hinterlässt seine Spuren. Wie geräuschlos eine Großstadt sein kann. Wenn ich innehalte, fliegen mir die Worte zu. Welt gleitet stiller in den Zeiten von Corona. Je mehr die Pandemie an Dynamik gewinnt, desto bewegungsloser werden die Menschen. Gelähmte Tage, leere Emotionen. Ich atme mit dem Herzen, solange ich noch Luft bekomme.
E. hat mir das Video „Der globale Ausnahmezustand“ per WhatsApp geschickt. Ich tendiere dazu, es für Verschwörungstheorie zu halten. Der Autor Gerd Wisnewski spricht von Corona als „Geschäft mit der Angst“ und sieht in der UNO eine Art Weltgesundheitsregierung, die zusammen mit China die Weltherrschaft übernehmen will. Auch eine Dokumentation auf arte spricht davon, dass China bis 2049, dem 100. Geburtstag der Volksrepublik, zur führenden Wirtschafts- und Militärmacht aufsteigen will. Aber deswegen einen tödlichen Virus in die Welt setzen?
Panikmache ist ein effektives Machtinstrument. Wer Angst hat, passt sich an. Durch Corona kehre ich zu meinen Wurzeln in den 70ern zurück. Aber damals war ganz Heidelberg politisch, heute geben die Nerds den Ton an. Und die posten bei einem Chai Latte gerne mal, wie lässig und entspannt doch die Quarantäne sein kann.
Werbung im Fernsehen wirkt auf mich jetzt wie Gehirnwäsche. Schöne junge Menschen fahren in schicken Autos durch idyllische Landschaften – welche künstlichen Welten werden uns da vorgegaukelt! Makaber der Gegensatz zwischen dargestellter Mobilität und staatlich verordnetem Stillstand. Empfindet das niemand so außer mir? Hypersensibilität kann paranoid machen. Hypersensible spüren Schwingungen, die andere nicht wahrnehmen. Kassandra war eine einsame Ruferin in der Wüste, auf die niemand hören wollte. Ich stelle mich tot, um nicht aufzufallen in der Masse. Wer sich exponiert, muss mit Bestrafung rechnen. Ein Verstoß gegen die Notstandsregeln kann in Bayern bis zu 25.000 Euro Bußgeld bedeuten.
Nachtluft macht frei. Die Dunkelheit pustet den Verstand durch. Was am Tag verboten ist, wird nachts denkbar. Konspirative Sitzungen finden nachts statt. Die Revolution wird nachts geplant. Welche Poesie, wenn der Mond ins Getto kracht! Wenn der Sound der Nacht Gebärdensprache ist! Dann tanzen die Sterne am stummen Firmament, das Auge des Orkans dreht Pirouetten. Eine Sternschnuppe gleitet sanft zu Boden. Am Tag sind alle Gedanken grau. Wenn die Sonne aufgeht, entleert sich die Seele. Ich gehe schlafen.
Aus Eva Strasser: Splitter aus der Quarantäne. Ein Corona-Tagebuch. Sonderausgabe literaturkritik.de. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2020