24.5.2017 – Taba

Eine feine kleine Starenstimme ist zu hören. Dieser ziehende Ton von unten nach oben und wieder zurück, nur viel leiser, zarter, wie zögernd. Wo ist er, der Star?
Er sitzt seinem Häuschen gegenüber auf der alten Leitung und schaukelt in dem weichen warmen Südwind, der uns heute verwöhnt. Er ist noch nicht ganz ausgewachsen, seine hintere Hälfte ist grau. Noch einmal pfeift er, dann fliegt er los, ziemlich tief über dem Acker.
Wir machen uns auf den Weg den Berg hinauf, wo der Ginster blüht. Der hat sich inzwischen zusammen mit dem Bergahorn den Hang genommen, den der Tornado vor vier Jahren plattgemacht hat. Bis dahin war es ein dichter deutscher Tannenwald gewesen. Jetzt ist der Ginster da. Als wäre hier Kreta.

Soviel Ginster habe ich dort Ostern 1983 erlebt, als ich zu Fuß die Berge hinauf und hinunter von Dorf zu Dorf gelaufen bin. Von einem kleinen Hafen wollte ich nach oben, um dort weiterzulaufen, ich sollte den Steinen mit dem Farbklecks folgen, hat man mir gesagt, damit ich nicht ins Tal der toten Ziegen gerate. Das sei gefährlich. Habe ich so gemacht, bis ganz unerwartet ein Mann auf mich zukam, dem ich ausweichen wollte. Dabei habe ich die Farbkleckse verloren und nicht wiedergefunden. Nach längerem Suchen habe ich die Hoffnung auf ein Dorf für mich hier oben aufgegeben und wollte wieder ans Meer hinunter. War ziemlich steil, ich habe meinen Rucksack mit dem Ärmel eines Sweatshirts festgebunden und vor mir hinuntergelassen und bin auf dem Hintern und allen Vieren hinterher, vorbei an Ziegen und Ziegenschädeln mit Hörnern und ohne Hörner. Unten angekommen werde ich wiedererkannt: Wo kommst du denn her? … Es ist das Dorf, wo ich morgens aufgebrochen bin und mein Weg war das Tal der toten Ziegen.
Zwei Köpfe habe ich mitgenommen und auch bei meinem Umzug nicht zurückgelassen. Sie liegen noch immer ganz oben im Regal.
Ein paar Tage später wollte ich durch die Samaria Schlucht hinauf. Es war schon Mittag vorbei, da ging keiner mehr los, man musste die Herberge oben vor dem Abend erreichen. Trotzdem wollte ich noch hinauf, ich würde überall schlafen können. Auf halber Strecke kam mir ein Esel entgegen, über seinen Rücken hing eine Last nach beiden Seiten herunter. Es war ein Mensch, ein Mann, ein Deutscher, den ein Stein erschlagen hatte. Ich musste zur Seite gehen, damit sie an mir vorbeilaufen konnten. Frau und Kinder würden auch noch kommen.
Ich habe es dann noch bis ganz oben geschafft.
In der griechischen Osternacht war ich dann auf dem Schiff zurück nach Piräus. Mitten in der Auferstehung. Das Schiff hatte seine festlich geschmückte Kirche dabei und überall dufteten die blühenden Zitronenzweige. Am Morgen dann Athen, die Ankommenden verliefen sich schnell, aber dann sah ich ein vertrocknetes hutzeliges Männlein noch ganz allein dastehen neben einem alten Koffer und einem zusammengeschnürten Bündel, aus dem die Beine eines Schafes herausstanden. Ich konnte nicht weg, blieb auf einer Bank sitzen, bis – endlich ! – ein flotter mittelalter Mann angerannt kam und den Alten in die Arme nahm.

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