Ingeborg Bachmann oder Die Kehrseite des Schreckens
(1963)
Von Marcel Reich-Ranicki
Kein Zweifel: ihren Ruhm rechtfertigt ein lyrisches Werk, dem man in der deutschen Nachkriegsliteratur nur sehr wenig an die Seite stellen kann. Trotzdem wäre es leichtsinnig, die Tatsache, dass die gesamte Kritik die Verse der Ingeborg Bachmann einmütig gepriesen hat, für selbstverständlich zu halten. Denn in den seltenen Fällen, in denen es poetischen Talenten gelang, Eintracht unter den zeitgenössischen Kennern zu stiften, wurde diese Reaktion, wie die Erfahrung lehrt, nicht allein durch die Größe, sondern stets auch durch gewisse Eigentümlichkeiten der dichterischen Leistung bewirkt. Das eindeutige Echo auf die Bachmann’sche Lyrik muss ebenfalls besondere Gründe haben; sie sollten vor allem in ihrem Werk gesucht werden.
In seinem aus dem Jahr 1958 stammenden Essay über lngeborg Bachmann bemerkt Hans Egon Holthusen zu dem Gedicht Erklär mir, Liebe: „Ein klar und streng gezogener, geradliniger Kontur triumphiert über den krausen Manierismus der Zeit. Was für ein Stilgefühl will sich hier Geltung verschaffen? Klassizistisch wird man es nicht nennen können … Nein, es ist das Klassische selbst, das hier sein ewiges Recht anmeldet …“1 Aufschlussreich sind die Analogien, auf die Holthusen hinweist: Die Sappho und die Minnesänger des 13. Jahrhunderts werden erwähnt, von „einer fast Drosteschen Kraft der Hingabe und der Mitwisserschaft“ ist die Rede, gelegentlich lasse die Bachmann „etwas zeitlos Hölderlinisches wieder aufblühen“, die Hymne An die Sonne beginne „mit einer an Klopstock erinnernden Festlichkeit“:
Geschützter Bereich |
|||
Liebe Leserin / Lieber Leser,die Seite, die Sie angefordert haben, ist unseren Online-Abonnenten vorbehalten. Wir konnten Ihre Zugriffsberechtigung bislang nicht überprüfen. Ich habe meine Zugangsdaten vergessen. Bitte schicken Sie sie mir zu. |