Am liebsten beim Friseur
Ingeborg Bachmanns neuer Erzählungsband „Simultan“ (1972)
Von Marcel Reich-Ranicki
Wenn eine große Sängerin, die man einst als Gräfin im „Figaro“ bewundert hat, jetzt die Gräfin Mariza zu mimen versucht, wenn jene, die noch unlängst als Königin der Nacht gefeiert wurde, heute nur als Csardasfürstin oder als Dollarprinzessin reüssieren möchte, dann haben Kritiker es schwer, ihre Verlegenheit zu verbergen.
Erinnern sie an die früheren Leistungen der Künstlerin, die sie immer noch schätzen, dann mutet das taktlos an. Verschweigen sie sie, dann ist es bestimmt ungerecht. Sagen sie die bittere Wahrheit, dann kann man ihnen vorwerfen, sie seien grausam. Beschönigen sie, was ist, dann sind sie Lügner und Feiglinge, denen man sofort die Lizenz zur Ausübung ihres Gewerbes entziehen sollte.
... [Weiterlesen]Erschienen im Verlag LiteraturWisssenschaft.de – https://literaturwissenschaft.de/buch/ueber-ingeborg-bachmann.html