I.7.3 Druckmedien

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Von Werner FaulstichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Faulstich

7.3 Druckmedien

Es gibt keine Literatur ohne Medien. Gerade bei einem konservativen, traditionellen Literaturbegriff mutet es deshalb kurios an, dass die Druckmedien und die von ihnen gesetzten ästhetischen, medialen und ökonomisch-gesellschaftlichen Bedingungen für Literatur kaum im Fokus klassischer Literaturwissenschaft stehen und bislang zu wenig erforscht sind. Dass sich die Disziplin zum Beispiel noch immer von der Theaterwissenschaft abgrenzt, d. h. das Schauspiel um seine Aufführung beschneidet, das Theaterstück zurückstutzt zum (gelesenen) Drama, ist dabei nicht einmal das provokativste Moment.

Man kann im Hinblick auf Literatur vielleicht drei verschiedene Perspektiven auf die Druckmedien unterscheiden: • jene bislang noch kaum sichtbaren Eigenheiten grundsätzlich aller in Druckmedien transportierten Literatur; • die Unterschiede in Abhängigkeit von den verschiedenen Einzelmedien der Literaturvermittlung, wobei man hier auf die Literaturgeschichte Bezug nehmen und dabei mindestens sechs Literaturmedien je spezieller Relevanz auseinanderhalten muss: Blatt, Buch, Kalender, Heft, Zeitung und Zeitschrift; • die Bedeutung, die der Literaturbetrieb mit seinen diversen Medienverbünden den meisten literarischen Werken und literarischer Kommunikation jeglicher Art einschreibt.

Zuvor aber sei Johannes Gutenberg (um 1400– 1468) in Erinnerung gebracht, auf den historisch die Druckmedien in Europa zurückgehen. Dabei war Gutenberg keineswegs der ›Erfinder des Buchdrucks‹, als der er in der Regel bezeichnet wird. Seine Leistung bestand vielmehr darin, verschiedene Techniken, Umstände und Vorbilder, die bereits existierten, erstmals funktional zusammenzuführen: Erstens benutzte er das Papier, das in Europa seit dem 14. Jh. zunehmend das Pergament ersetzte. Es war kostengünstiger, biegsamer, doppelseitig bedruckbar und vor allem sehr viel billiger. Bereits 1389 war vor Nürnberg die erste Papiermühle eingerichtet worden. Zweitens bediente er sich für den Druck der ›Lettern‹, d. h. fester Körper von Schriftzeichen. Auch der Druck mit Lettern war schon lange vorher bekannt. So wurden in China schon im 13. Jh. mit Holzlettern religiöse Werke, Geldscheine und Bücher gedruckt, in Korea bereits 1234 mit metallenen Lettern. Drittens benutzte Gutenberg für die Herstellung der Lettern eine Gießvorrichtung, wie sie damals für das Einschmelzen von Gold verbreitet war. Viertens bediente er sich einer mechanischen Presse, die in einem wiederum anderen Bereich alltäglich genutzt wurde, nämlich für das Pressen von Weintrauben. Und man sollte noch hinzufügen, dass er fünftens auch den sozialen Kontext bzw. die zentrale Funktion des Drucks gezielt einbezog, als er sich mit dem Geldgeber Johann Fust in Straßburg bzw. Mainz zusammentat. Nur in der frühneuzeitlichen Stadt konnte das Druckgewerbe Fuß fassen. Nur hier fand sich das Kapital, das Drucker wie Auftraggeber bzw. Käufer benötigten, nur hier ließ sich die notwendige Berufsdifferenzierung in Formschneider, Schriftgießer, Papiermacher, Buchbinder, Druckerverleger und die Pergamentmacher für den Einband bis hin zu den ›Buchführern‹, die für den Verkauf auf dem Lande zuständig waren, realisieren, zumal für sie kein Platz war in den städtischen Zünften und Gilden.

Nur hier also konnte sich die ›schwarze Kunst‹ von einer Geheimwissenschaft in ein etabliertes Gewerbe verwandeln. Charakteristisch für den Beginn der Druckmedien in Europa ist der Widerspruch, dass es Gutenberg zunächst gar nicht um die technische Vervielfältigung von Druckwerken ging, sondern primär darum, die traditionellen Handschriften möglichst perfekt zu imitieren (›Faksimilierung‹), während bei der Produktion für den Markt von Anfang an der kommerzielle Aspekt im Mittelpunkt stand. Der Warencharakter der Druckmedien hat den Profitgedanken auf die Kommunikation übertragen. Daran lässt sich erkennen, dass nicht der Buchdruck Ursache der gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit war, wie häufig behauptet, sondern dass umgekehrt die sich wandelnde Gesellschaft der Frühen Neuzeit neue Be- dürfnisse entwickelte, denen die alten Pri märmedien (Prediger, Lehrer, Erzählerin, Bänkelsänger usw.) nicht mehr entsprechen konnten – eine Leerstelle, welche die neuen Druckmedien zu füllen imstande waren. [...]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.