I.9.9 Wirtschaft
Leseprobe
Von Andreas Böhn
9.9 Wirtschaft
Die Beziehung zwischen Literatur und Wirtschaft kann unter drei ganz unterschiedlichen Aspekten betrachtet werden. Zum Ersten unterliegen Produktion, Distribution und Rezeption von Literatur ökonomischen Bedingungen. Literatur ist Teil ökonomischer Zusammenhänge und wird von diesen bzw. ihren Veränderungen betroffen. Zum Zweiten kann Literatur im Rahmen ihres Bezugs auf Welt sich auch auf Ökonomisches richten, sei es, dass sie die wirtschaftlichen Hintergründe menschlichen Lebens etwa in die Charakterisierung handelnder Figuren einfließen lässt, sei es, dass sie spezifische ökonomische Gegebenheiten oder Vorgänge zum vorrangigen Thema macht. Zum Dritten ist nicht nur auf dieser inhaltlichen Ebene, sondern auch auf der formal-gestalterischen eine Rückwirkung ökonomischer Bedingungen auf Literatur festzustellen, wenngleich diese wesentlich schwieriger nachzuweisen und methodisch zu erfassen ist als die ersten beiden Aspekte. Unter allen drei Aspekten erscheint Wirtschaft als »extratextueller Kontext« von Literatur, also »als Beziehung eines Textes zu nichttextuellen Gegebenheiten«. Wenn sich Literatur allerdings auf Texte aus der Wirtschaft oder über Wirtschaft bezieht, so kann dadurch auch ein intertextueller Kontext gegeben sein. Die extrakontextuelle Beziehung kann sowohl als mehr oder we- niger direkte oder vermittelte Bedingtheit von Literatur durch ökonomische Verhältnisse verstanden werden wie auch als explizite oder implizite Bezugnahme von Literatur auf wirtschaftliche Gegebenheiten. Unter dem übergreifenden Aspekt des Tausches lassen sich jedoch auch Entwicklungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (u. a. der Literatur) seit dem 18. Jh. parallelisieren und auf ein gemeinsames Modell beziehen (vgl. Wegmann 2002, 269; Mein/Schößler 2005). Wenn Jochen Hörisch (1996) die Rolle des Geldes als ›ontosemiologisches Leitmedium‹ und Josef Vogl (2002) den ›homo oeconomicus‹ als modernen Menschen schlechthin bestimmen, so sehen sie ebenfalls im Ökonomischen im engeren Sinne Modelle für allgemeine Charakteristika moderner Gesellschaften, die auch für Literatur relevant sind und von dieser beobachtet und reflektiert werden. [...]
Leseprobe aus dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.