Der Dichter der aggressiven Resignation

Wenn gewisse Äußerungen hervorragender Schriftsteller oder Philosophen von Generation zu Generation weitergereicht und immer wieder zitiert werden, so hat das in der Regel seine guten Gründe: Nicht aus Bequemlichkeit beruft man sich auf dieselben Formulierungen, sondern weil es – zumindest in den meisten Fällen – Worte sind, die tatsächlich den Nagel auf den Kopf treffen. Auf einen bestimmten, oft individuellen Sachverhalt abzielend, gehen sie zugleich, ohne daß dies beabsichtigt wäre, weit über ihn hinaus: Sie sind übertragbar.

Als Goethe in Dichtung und Wahrheit die Leser mit der Erklärung verblüffte – denn damals war es eine verblüffende Erklärung –, alle seine so unterschiedlichen Arbeiten seien „nur Bruchstücke einer großen Konfession“[1], da meinte er bloß das eigene Werk. Indes gilt der knappe Befund auch für viele andere, doch keineswegs für alle bedeutenden Autoren. Er triff übrigens eher auf die Lyriker und die Romanciers zu als auf die Dramatiker – und wohl deshalb, weil diese am wenigsten zur direkten Selbstdarstellung neigen: Die Romane und Erzählungen Franz Kafkas oder Hermann Hesses, die Gedichte Georg Heyms oder Georg Trakls lassen sich sehr wohl als „Bruchstücke einer großen Konfession“ begreifen, doch nicht die Dramen Gerhart Hauptmanns oder jene Bertolt Brechts.

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Aus Marcel Reich-Ranicki: Wolfgang Koeppen. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2016 (Sonderausgabe von literaturkritik.de)