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Gegen die Diktatur des Jetzt

Gründe für ein Gespräch über Mittel und Zweck

Von Gustavo Zagrebelsky / Carl Schmitt


Martin A. Hainz schrieb uns am 08.10.2017
Thema: Gustavo Zagrebelsky / Carl Schmitt: Gegen die Diktatur des Jetzt

Pathos statt Politik


Das Bändchen Gegen die Diktatur des Jetzt von Gustavo Zagrebelsky ist interessant, aber zugleich in weiten Passagen als so etwas wie eine Fußnote zu Beobachtungen Günther Anders’ zu beschreiben, der im Bändchen nicht vorkommt. Und es sind dies die besten Passagen, in anderen werden Ressentiments referiert.

Die Thesen:

1. Politik sei als Herrschaftsform nicht „Oligarchien, Technokratien, Plutokratien usw. [sic!]” meine, was nett, aber schwer zu verteidigen ist, weil man dazu schon blind für die elitäre Konstitution des demos, Wahlkampfkosten und noch vieles sein muß, um zu verfechten, hier bestünde ein blanker Gegensatz.

2. Man müsse sehen, daß heute „Algorithmen im eigentlichen Sinne politische Entscheidungen” „ersetzen”, was man zu den Kostenkalkulationen eines Atomkrieges schon bei Anders eben ausgeführt findet, wobei dieser nicht von im eigentlichen Sinne politische Entscheidungen geredet hätte, was suggeriert, dieses Feld lasse sich leicht abgrenzen und wäre nicht schon Folge politischer Operationen.

3. Die „Dezentralisierung politischer Macht” verwandle diese „in Souveränität der Finanzwirtschaft” als ob dies – wieder – zweierlei sei.

4. Es werden „die Mittel […] zu Zwecken und die Zwecke ihrerseits zu Mitteln”, was wieder früher, bissiger und durchdachter bei Anders steht.

Dies und mehr wird mit Rückgriffen auf das Altertum (etwa die polis) formuliert, mit irritierenden Wendungen wie jener, daß es aber heute „keine […] notwendig gerechte Gemeinschaft mehr” gebe.

Nicht mehr. Früher wäre alles besser gewesen, ach, vor allem vorm Sündenfall. Und da rutscht das Bändchen dann ins befürchtete Fahrwasser einer Politik wider „Nutznießer […] im eigenen Schlamm” und für die wahre (=heroische und naturgemäße, bräunliche) Entscheidung, womit Schmitts Text als Abschluß folgerichtig erscheint, wiewohl eben nur, wenn man folgen will, und zwar etwas, das nicht überzeugt, sondern aus Inkohärenz und Rhetorik einen Jargon der Eigentlichkeit flicht, der dann „von der Lage des Zentralgebietes” aus, wie Schmitt es formuliert – von dem diesem Band eine Rede (sozusagen statt Anders‘ Texten) beigefügt ist, entscheiden kann und fast nicht mehr muß.

„Wer keinen anderen Feind mehr kennt als den Tod und in seinem Feinde nichts erblickt als leere Mechanik, ist dem Tod näher als dem Leben”, so Schmitt, dessen Rede hier das Bändchen wieder ins Bedenkenswerte hebt, mit einem Gedanken, der angesichts Schmitts Haltung überrascht, nämlich jenem, daß es nicht Politik und leere Mechanik gebe, sondern Diskursmöglichkeiten, die dann klügere Antworten allerdings auch als jene Schmitts gestatteten, bei dem leider doch immer der „Kampf” folgt.

Fazit: Der schmale Band beginnt klug, aber verliert sich … was, wenn man also lieber den radikaleren und zugleich darum nicht ganz so pathosbesoffenen Anders, hier ein Phantom im Text, liest?

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