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Aus Montaignes Koffer

Im Gespräch mit Peter Engelmann

Von Hélène Cixous


Martin A. Hainz schrieb uns am 02.11.2017
Thema: Derridas Katze ... never belongs

Hélène Cixous erzählt in Aus Montaignes Koffer gesprächsweise – das Gegenüber ist Peter Engelmann, in dessen Verlag der Band erscheint – sich: ihren Werdegang, ihr Denken, ihre Einflüsse von anderen und auf andere.

Alles beginnt mit dem Feminismus, den als Anliegen zu entdecken und zu entwickeln sich rasch als Frage der Institutionen erwies. Dabei erweist sich dieses emanzipatorische Anliegen als eines unter ähnlichen, die Frage etwa, wie eine rasche Ausbildung (inklusive das „Doctorat de troisième Cycle") Bildung heute ersetzte, ist hier ebenso präsent wie jene, wo man was studieren könne:

„Die Universitäten sind zweckorientiert. Wahrheit steht meiner Ansicht nach auf keinen Fall auf ihrem Programm. Sie sind in ein Produktionssystem eingegliedert."

Institution ist alsbald etwas, das durch Freundschaft sich entwickeln kann, aufgebrochen, umgestaltet, der „Lehrstuhl (Cixous') diente den Études féminines, und was den Rest betraf, so waren wir Bettler", angewiesen auf Derridas generöse Übernahme der „Verantwortung für die Philosophie" und auf „Mithilfe" der „Psychoanalytiker in Paris 8". Das ist das Produktive des damaligen Netzwerkens, das mit den Schülerinnen Judith Butler und Avita Ronell in Gegenwart und Zukunft reicht.

Das Netzwerk ermöglicht und ermutigt hier. Derrida habe Cixous ermutigt, ihm sei das, „was sie sage[n], [...] selbstverständlich", so er zu dem „Widerstand", auf den sie als Promovierende mit einer Dissertation – in vier Kolonnen geschrieben ein Verstoß gegen das System der Sorbonne – stößt. Die so entstehende Schule ist auch eine des Fragens, der „Phantasie sind keine Grenzen gesetzt", mag das auch, wenn alles „trans-irgendwas" sei, so Cixous, neben einer Chance ein Risiko, etwa: das der Unschärfe, bedeuten.

Diese Unschärfe prägt die Freundschaft Cixous' und Derridas, nicht immer ohne ihr Unbehagen, wenn er appropriierte, was sie erdacht hatte:

„»Pass auf, das habe ich gerade geschrieben. Gerade habe ich das niedergeschrieben, ich warne dich.« »Macht nichts.«"

Wenn es etwa um Derridas Katze geht, gehe es um jene Cixous', „meine Katze" – wiewohl da Derrida vor Jahren das letzte Wort gehabt hätte, „a pussy-cat never belongs" (J.D.: The Animal that Therefore I Am, trans. David Wills, ed. Marie-Louise Mallet. New York 2008).

Dennoch: Freundschaft und Denken, Freundschaft im Denken. Es geht dabei gegen andere Unschärfen, etwa jene, die den sich globalisierenden Kapitalismus als Summe von Abhängigkeiten in sich entstellen und vor allem dem Diskurs entziehen, wobei Kapitalismus, Islamismus und russischer Imperialismus immer einen Feudalismus meinen, „im erschreckenden Spiegel der globalisierten Welt". Gegen diesen müßten die Medien arbeiten, gegen das Unscharfe, statt „gleichgültig" zu bleiben. So aber setze sich dieser ungestört noch in den „Mikrostaaten" des Alltags fort: bis zum unfähigen Schuldirektor, der „in einer kleinen Diktatur" „die Funktionsstörung von oben" ist.

Dagegen stünde die Zuspitzung, die sich als krank denunzieren ließe und es vielleicht auch ist:

„Ich glaube, Literatur ist immer ein bisschen wahnsinnig. Wenn sie den Wahnsinn nicht streift, ist Literatur nicht Literatur."

„Die Alltagssprache, die war schrecklich."

Philosophie ist folglich „Philosophie, die sich poetisieren lässt", womöglich ... wie Cixous jedenfalls zu Derrida vermerkt, der sich dementsprechend zitieren mußte: „Nicht aus Narzissmus." Eher ist es der Gestus, ein „Wort [...] entdeckt" zu haben, eine Option, beides in einem, im „Passwort" – wobei man ans Schibboleth bei Derrida denken wird müssen. Manches sei „meschugge" und nur dies, gerade wegen der nationalsozialistischen Deutschlehrerin, die Cixous dieses Wort verbieten wollte.

Montaigne ist dafür das Beispiel. „Wenn du Montaigne liest", so setzt Cixous an, bricht ab, setzt anders fort: „(D)ie Literatur heutzutage ist unglaublich verarmt", sie verfüge nicht über diese „außergewöhnliche(n) semantische(n) Ressourcen", bis in die „Syntax" sei Montaigne „von immerwährender Modernität", ganz Sprache: „Die Mächtigkeiten der Sprache sind [...] unbeschränkt [...], da ist die absolute Bibliothek."

Von hier aus geht es noch weiter, bis hin zu Merkel, die als Repräsentantin des Volks mit dessen Souveränität sagen durfte, was aus Angst vorm Front national in Frankreich – zu Unrecht – keiner sagen zu dürfen vermeint: „Meiner Ansicht nach ist, was Merkel da getan hat, völlig unerhört und verblüffend."

Alles in allem ein mutiger wie ermutigender, diffiziler, spannender und facettenreicher Band. Cixous ist lesenswert, immer und auch hier.

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