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Discourses of Brexit

Von Veronika Koller / Susanne Kopf / Marlene Miglbauer (Hg.)


Martin A. Hainz schrieb uns am 21.12.2019
Thema: Veronika Koller / Susanne Kopf / Marlene Miglbauer (Hg.): Discourses of Brexit

Als es zur Abstimmung über den Brexit kam, erschien das nicht wenigen – auch im United Kingdom – unwirklich. Inzwischen weiß man, dass das, worüber auch nur ernstlich abzustimmen schon unwirklich schien, politische Realität wird. Die Reaktionen hierauf sind unbefriedigend, der Populismus ist immer der der anderen, so scheint es, über Europa und die Europäische Union wird auf einmal so gesprochen, als wären jene, die es sich von Boris Johnson nicht madig machen lassen wollen, glühende Anhänger und sowieso Kenner der EU. Und über die, die dennoch dagegen stimmten, in der EU zu verbleiben, wird in einer Weise geredet, die frei von jedem Erkenntnisgewinn scheint: Man macht die Verächter der EU verächtlich und hält das für hinreichend.

Wer sich, und dafür gäbe es genug Gründe, mit dem Brexit und den Diskursen, die hierzu führten, hingegen eingehend und ertragreich befassen will, dem sei indes der vorliegende Band empfohlen. Die Diskursanalysen zeigen, wie es hier vermehrt den Rekurs auf scheinbare Naturgrößen, die begriffslogisch offensichtlich nichts taugen, gab. Im United Kingdom fühlte und fühlt man sich vor allem wieder britisch, „British navel-gazing“, wie eine irische Stimme kommentierte, wiewohl dies nur ein Teil des UK ist, während man „Europa“ und „EU“ in den Brexit-Diskursen sowieso synonym gebrauchte, für den „enemy from outside“ nämlich sozusagen.

Der Populismus, den der Brexit zeigt, wird zum Symptom einer Bildungskrise, die in Ressentiments Bildungsferner gegen alles, was ein komplexes Konstrukt ist, umschlägt – ähnlich wurde in den USA aus dem „Konstrukt“ der Vereinigten Staaten das pseudo-natürliche „America“, das „great again“ werden sollte. Man wolle es wieder einfach, man wolle wieder Herr im Hause sein, so sagen die Befragten. Sie selbst suchen das Gespräch freilich nicht, sie fragen kaum zurück, in der Kommunikation durch Tweets ist das „conversation-like fragment“ zu beobachten.

Dieses Fragment besagt, was der Wille einer imaginierten Volksnatur sei: Man wolle man selbst sein, sowieso sei „Britain […] full to bursting point“, das Boot sei voll: „I don’t want to lose sovereignity“, so heißt es zuletzt, weshalb der Souverän dann alles, was ihm nicht gleiche – wörtlich „Arabs, Browns, Negros, and Jews“ –, vertreiben will. Die Entschuldigung, die stereotyp vorweg formuliert wird, lautet, man sei ja nicht rassistisch, aber…: „The phrase »I’m not a racist, but …« […] is usually analysed as an argumentative disclaimer followed by a racist statement“, wie es in einem Aufsatz, der sich hier auf frühere Arbeiten beziehen kann, heißt.

Relativ spät mobilisierte man gegen diese Politik etwas, das Politik im affirmativen Sinne ist und also seine Ansprüche an die eigene Praxis stellt. Freilich war der Brexit schon 2012 von hellhörigen Kommentatoren befürchtet worden, etwa vom Guardian, schon damals als mögliche Reaktion auf ein Popularitätsproblem, damals Camerons. Die Frage, welchen Mandats es dazu bedürfte, ist inzwischen ungut beantwortet worden.

Warum Fragen wie diesen nachzugehen ist, ist also ebenso beantwortet. Und dieser Band zum Brexit wird unter anderem darum zu lesen sein, nämlich vor allem auch als Lektion über die eigenen Krisen, denn deutschen und österreichischen Leserinnen und Lesern müssen die zitierten Wendungen und Diskurse, kurzum: die Probleme, bekannt erscheinen. Außerdem weiß man nach der Lektüre, dass mit dem Brexit das Thema EU im erodierenden UK nicht erledigt sein wird: Europa wird weiter als Sündenbock herhalten.

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