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Schön ist die Nacht

Von Christian Baron


Jan Stumper schrieb uns am 14.12.2022
Thema: Christian Baron: Schön ist die Nacht

Schön ist die Nacht – Christian Baron
Mit dem Roman „Schön ist die Nacht“ legt Christian Baron eine unschöne Offenbarung eines prekären Milieus vor, die sich keineswegs als entspannende Abendlektüre erweist. Schön also, dass es keine Verpflichtung gibt nur hoffnungsfrohe und erheiternde Literatur zu verfassen.
Der Leser begleitet die beiden Hauptpersonen Willy und Horst bei ihrem Versuch nach Ende des Krieges in der BRD als Arbeiter ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund Fuß zu fassen. Willy ist dabei der stets um Ehrlichkeit bemühte, integre Repräsentant jener Menschen, die sich vom Aufstiegsversprechen im Kapitalismus nicht verabschiedet haben; Horst hingegen ist das genaue Gegenteil. Er glaubt weder an den Kapitalismus noch den Aufstieg und sieht sich daher auch nicht in allzu großem Unrecht, wenn er hier und da mal etwas Geld oder Waren mitgehen lässt.

Der Roman erstreckt die erzählte Zeit über die sechziger bis achtziger Jahre, in denen wir Willy und Horst dabei zusehen müssen, wie ihre von Gegengesetzen durchfurchte Freundschaft und ihre Verhältnisse zu ihren eigenen Familien ein auf- und anschließend stets aber ein ab erfahren. Das Aufstiegsversprechen mag sich weder für den scheinbar naiven Willy noch für den Zyniker Horst verwirklichen. Die Abhängigkeit ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse von anderen, mächtigeren Instanzen – meist ihren jeweiligen Arbeitgebern aber auch von Schicksalsschlägen und mangelnder sozialer Absicherung – manifestiert sie dauerhaft am Rande der Gesellschaft. Mit zunehmender Frustration der Protagonisten steigert sich auch die des Lesers, der sich fragen muss, wer eigentlich etwas falsch gemacht hat, wo doch so offenkundig etwas falsch läuft in den Leben dieser beiden Menschen.
Dass es darauf keine finale Antwort gibt, sich zudem auch kein glückliches Ende einstellen wird, ist die nötige Konsequenz dieser Gesellschafts- und Kapitalismuskritik. Gleichwohl schafft Christian Baron es weitgehend keinen Unmut bezüglich des Lesens des Textes selbst aufkommen zu lassen. Zwar zieht sich der Roman im Mittelteil etwas hin, schließlich gewinnt die Erzählung aber wieder an Fahrt und führt somit auf der Metaebene jedenfalls zum Ende hin zu dem befriedigenden Leseerlebnis, dass sich inhaltlich vorsätzlich nicht einstellen soll und darf.

Barons Erzähltechnik ist übergeordnet offensiv – der Roman ist eine eindeutige Anklage an die damaligen Verhältnisse, die aber heutzutage ebenfalls noch herrschen. Zentrale Motive sind dabei das Verhältnis von prekären wirtschaftlichen Bedingungen, die sich zu prekären sozialen und familiären Problemen ausweiten und jene wiederrum bedingen, sich schließlich gegenseitig immer weiter vertiefen. Offensichtlich ist auch, dass Willy und Horst in einer Gesellschaft und einem System leben, dass ihre Randständigkeit erstens zulässt und zweitens sogar willentlich für einen von anderen bestimmten Pfad nach Kriegsende herbeiführt. Thematisiert wird immer wieder, was es eigentlich bedeutet in einem Land zu leben, dass den Krieg nicht nur verantwortet hat, sondern auch nur an der Oberfläche vom Nationalsozialismus befreit scheint.
Dass der Sozialismus, wenn auch nicht so wie ihn Lenin oder die DDR ausgeführt haben oder ausführen, eine Alternative zum System der BRD darstellen kann, dass wird immer wieder insbesondere in Form von Willys Mutter angedeutet.

So ist „Schön ist die Nacht“ eine vielschichtige Milieubeschreibung, die vom kleinen bis hin ins abstrakte, große den Finger in die Wunden der Nachkriegszeit legt – vom Wirtschaftswunder bleibt nach dieser Dekonstruktion nur ein fader Beigeschmack über.

Gleichwohl: Baron erzählt nicht einseitig. Insbesondere durch Horst wird auch an diversen Stellen das Agieren der Arbeiter selbst und der Linken kritisiert, die es nicht vermögen sich gegen die – nach ihrer Vorstellung - eigentlichen Unterdrücker Arbeitgeber (die – wie an einer Stelle ausgeführt - die wahren Arbeitnehmer sind) und Staat zu vereinigen. Stattdessen driftet Horst in ausländerfeindliche Sphären ab, wobei er die Schuld für schlechte Löhne den Gastarbeitern zuweist.
Clever und symbolträchtig wird immer wieder auf die Nacht als Motiv der Freiheit von den Problemen des (All-)Tages rekurriert. Dabei bleibt es dem Leser überlassen, ob man darin nicht auch eine Ablenkung von der harten Realität sehen kann: Ja, die Nacht ist schön; aber was am Tag passiert, ist relevant – dort gilt es zu handeln, sich gegen Unterdrückung zu vereinigen. Wenn die Sonne aufgeht, dann beginnen die Probleme der Arbeiterklasse – das ist die Botschaft dieses Romans.

Der Autor schreibt dabei betont im Sprachstil eben dieser Arbeiterklasse. Das nötigt über die fast vierhundert Seiten hinweg dem Leser einiges an Geduld ab. Der Lesefluss wird auf Kosten einer vermeintlichen Nähe und Authentizität beeinträchtigt. Der Roman ist erkenntlich auf Systemkritik ausgerichtet, nimmt dafür auch in Kauf, dass die Handlungen und Geschehnisse konstruiert wirken, um schließlich eine gravierendere Note zu setzen. Baron will also weniger beiläufig fesseln, sondern gezielt aufrütteln. Das ist eine legitime Entscheidung – man muss Sie aber nicht gutheißen.

Der Abriss eines gesamten Milieus gerät an einigen Stellen so umfassend, sodass stets die Gefahr besteht, dass der Leser sich nicht mehr ernstgenommen fühlt. Die Konnotation ist längst angekommen, da wird die Handlung in ihrer Symbolik nochmals gesteigert. Langfristig ist dies dann doch etwas enervierend.

Dennoch handelt es sich bei „Schön ist die Nacht“ um eine lesenswerte Systemkritik. Denn ob sich die Schilderungen auf das Jahr 2022 übertragen lassen, ist eine Frage, die sich dem Leser zwingend aufdrängt und dessen Antwort ebenso unangenehm ist wie die Schilderungen aus den sechziger Jahren selbst.

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