Leserbriefe zur Rezension

Rebellischer Impetus?

Peter Kemper porträtiert John Lennon etwas arg basismäßig

Von Friedhelm Rathjen


Peter Kemper schrieb uns am 20.08.2007
Thema: Friedhelm Rathjen: Rebellischer Impetus?

Sehr geehrte Damen und Herren,
bezüglich der Rezension meiner neuen Suhrkamp-Basisbiographie „John Lennon“ durch Friedhelm Rathjen (Nr. 9, September 2007) sehe ich mich veranlasst, einige Richtigstellungen vorzunehmen. Über Stil lässt sich bekanntlich streiten, nicht jedoch über Sachverhalte. Deshalb werde ich mich im Folgenden darauf beschränken, die sachlich falschen Behauptungen, die in dieser Rezension aufgestellt werden, zu korrigieren. Dies scheint mir aus Gründen der Faktengenauigkeit unabdingbar zu sein:

1) Wenn Herr Rathjen schreibt, ich würde die Mär verbreiten, „bei ’Sgt. Pepper’ sei Lennon als ‚spiritus rector’ federführend gewesen“, so ist das schlicht falsch. Ich schreibe vielmehr im Gegenteil : „…unter größter Geheimhaltung gewann das neue Projekt Kontur. Paul McCartney erklärt die konzetionelle Idee: ‚Ich dachte, es wäre doch ganz nett, unsere Identitäten zu verlieren, unterzutauchen in den Figuren einer erfundenen Band.‘“ (S. 43) Wenn ich auf der nächsten Seite formuliere: „Jedem war klar, dass die Beatles mit ihrem ‚spiritus rector’ John Lennon hier den Gipfel ihrer Kreativität erreicht hatten“, so bezieht sich diese Aussage erkennbar darauf, dass damals in der öffentlichen Wahrnehmung Lennon in der Tat als Bandleader wahrgenommen wurde.

2) „A Day In The Life“ wird – entgegen der Behauptung von Herrn Rathjen – von mir keineswegs als alleiniger „Lennon-Song“ interpretiert. Ich schreibe vielmehr: „Am 19. Januar 1967 begannen die Beatles mit der Arbeit an der Lennon/McCartney-Komposition (“A Day In The Life“), zu der beide verschiedene Songteile beisteuerten.“ (S. 95) Dennoch hatte Lennon nachweislich die Idee zu diesem Song und steuerte kompositionstechnisch auch den Löwenanteil zu dem Stück bei. Deshalb ist es durchaus legitim, Lennon als den kreativen Kopf hinter dieser Aufnahme zu würdigen. In der seriösen Beatles-Literatur (vgl. z. B. Ian MacDonald, Mark Lewisohn, Peter Doggett u. a.) ist dies übrigens unstrittig.

3) Herr Rathjen bezweifelt, dass – wie von mir ausgeführt – der Song “Tomorrow Never Knows“ von 1966 eine Antwort auf die Hippie-Maxime “Tomorrow Never Comes“ gewesen sein konnte, da – wie Rathjen schreibt – der Begriff “Hippie“ „in der heute üblichen Bedeutung erst 1967 aufkam.“ Dies ist schlichtweg falsch. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe (vgl. Peter Kemper: „Den Gegner umarmen, Blumen ins Haar – Flower-Power-Pazifisten: die Hippies“ in: J. Meißner, D. Meyer-Kahrweg, H. Sarkowicz (Hg.): Gelebte Utopien – Alternative Lebensentwürfe, Frankfurt/M. 2001, S. 335 – 353), wurde der Begriff “Hippie“ bereits im September 1965 „in der heute üblichen Bedeutung“ in der amerikanischen Presse propagiert. Timothy Leary und Richard Alpert, auf deren Buch sich das Stück ja bezieht, waren Anfang 1966 in die LSD-Experimente in Haight Ashbury involviert und die Beatles waren ihrerseits über die damals aufbrechende Hippie-Bewegung in San Francisco bestens informiert.

4) Recht hat Herr Rathjen, wenn er auf die Verkaufserfolge von George Harrisons Album “All Things Must Pass“ von 1970 hinweist. In der Tat stand diese Platte auf beiden Seiten des Atlantiks auf Platz 1 der Charts und relativiert somit meine Behauptung, Lennon sei mit “Imagine“  „als erstem Solo-Beatles auch der kommerzielle Durchbruch gelungen.“. Gleichwohl ist im Rückblick der ökonomische wie künstlerische Erfolg von “Imagine“ ungleich höher zu bewerten als Harrisons Solo-Album.

5) Wenn Herr Rathjen schreibt, es sei meine Neigung, „Lennons Songtexte bedenken- und bedingungslos als autobiographische Selbstaussagen zu interpretieren und entsprechend halsbrecherische Schlüsse zu ziehen“, so ist dies falsch. Ich versuche allenfalls den biographischen – und von Lennon selbst in zahlreichen Interviews beglaubigten – Inspirationsquellen der Lennon-Songs nachzuspüren. Es gibt in der Tat  mehrere Lennon-Songs, die ohne Kenntnis der zahlreichen Identitätskrisen Lennons (z. B. “I’m A Loser“, “Help“, “God“) nicht zu verstehen sind.

6) Wenn Herr Rathjen schreibt, in meinem Buch werde der Beatles-Song “’Revolution’ plötzlich ein revolutionsverherrlichendes Stück“, so irrt er. Ich schreibe nur, dass das „rockige ’Revolution 1’ (sic!) auf die Mai-Unruhen in Paris anspiele“ (S. 50) und behaupte an keiner Stelle, das Lied verherrliche die Revolution. Am Tag der Aufnahme dieses Stücks löste de Gaulle übrigens unter dem Druck der Studentenrevolte die französische Nationalversammlung auf.

7) Wenn Herr Rathjen meine Behauptung kritisiert, Lennon habe in zahllosen Liedern seine Mutter „romantisiert“ und als Gegenbeispiele die von mir in diesem Zusammenhang zitierten Songs “Julia“, “Mother“, “I’m Loosing You“ und „“My Mummy’s Dead“ nennt, so verkennt Rathjen offenkundig, dass in diesen Songs trotz aller ambivalenten Gefühle Lennons seine Mutter gegenüber – Wut, Enttäuschung, Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe – in allen Fällen die Mutter als Fixpunkt seiner inneren Zerrissenheit überhöht und idealisiert wird.
Der von Herrn Rathjen inkriminierte „Widerspruch“, ich hätte den Titel „I’m Loosing You“ auf Lennons Mutter und später zugleich auf Yoko Ono bezogen, löst sich in Wohlgefallen auf, wenn man weiß, dass Lennon in seinen letzten Lebensjahren Yoko Ono „Mother“ genannt hat.

8) Wenn Herr Rathjen mir polemisch unterstellt, ich würde „grotesk daneben greifen“, wenn ich behaupte, „das Stück ’John Sinclair’ sein ein bluesiger ’Steel Guitar Stomp’, da doch eine ’Steel Guitar’ in die Schublade Country & Western gehöre und „deswegen wenig Bluesiges zu bieten hat“, so greift er hier leider daneben. Als eine “Steel Guitar“ wird in der Musik-Literatur eine Gitarre bezeichnet, die einen Metallkorpus und einen sog. Resonator als „Verstärker“ besitzt, bzw. ein Instrument, das mit einem „Steel Bar“ im Stil einer Slide-Gitarre gespielt wird. Weil sich diese Gitarren aufgrund ihrer großen Lautstärke besonders für das Slide-Spiel eigneten, wurden sie bereits in den dreißiger Jahren von Bluesmusikern wie Tampa Red, Charly Patton, Blind Lemon Jefferson oder Lonnie Johnson benutzt. Ohne die Steel Guitar hätte sich das Slide-Spiel im Blues nie im gekannten Ausmaß entwickeln können (vgl. dazu Bill Wyman: Blues – Geschichte, Stile, Musiker, Songs & Aufnahmen, Frankfurt 2006, S. 146 ff. oder: Lorene Ruymar: The Hawaiian Steel Guitar, Seattle 1996, darin vor allem das Kapitel “Slide and Bottleneck Guitar“, S. 51 f. oder Bob Brozman: The History and Artistry of National Resonator Instruments, Fullerton 1993).
Herr Rathjen verwechselt schlicht die „Pedal Steel Guitar“, die in der Tat gern in der Country & Western-Szene genutzt wird, mit der klassischen Steel Guitar (National, Dobro u. a.) als dem Slide-Instrument par excellence  im Blues.  

9) Herr Rathjen inkriminiert die „von Kemper aber nicht nennenswert thematisierten ’Get Back“-Sessions vom Januar 1969’“. Hierzu ist festzuhalten, dass ich die hier angesprochenen “Get Back“-Sessions ab S. 53 ff. – sogar mit einer eigener Zwischenüberschrift am Rand – auf fünf Seiten thematisiere.

Ob vor dem Hintergrund des bisher Gesagten das Resümee von Herrn Rathjen „Als Faktenquelle ist das Büchlein zu unzuverlässig“ Bestand hat, möge der geneigte Leser selbst entscheiden.

                                                                                     Frankfurt, 20. August 2007
                                                                                                  Peter Kemper