Leserbriefe zur Rezension

Der ewige Sohn

Hans Wollschlägers gesammelte Essays zu Arno Schmidt künden von der fragwürdigen Vergötterung eines Übervaters

Von Jan Süselbeck


Gabriele Gordon schrieb uns am 02.12.2008
Thema: Jan Süselbeck: Der ewige Sohn

Sehr geehrter Herr Süselbeck,

geht es Ihnen jetzt besser nach diesem entlastenden Angriff, bei dem ich mich nur frage, wie an dessen Ende das Selbstbild stehen kann, der Gemeinschaft "seriöse[r] Literaturwissenschaftler" anzugehören, "die sich jenen Fragen zuwenden, die in Bezug auf Schmidt noch immer in kaum zufriedenstellender Weise beantwortet sind - unter anderem derjenigen nach der Rolle des Nationalsozialismus in seinen Werken"? Das ist zwar Ihr und ausschließlich Ihr Interesse, während andere, jedenfalls wirklich seriöse Literaturwissenschaftler, ein derart außerliterarisches Kriterium der Text-Beurteilung stutzig machen würde: aber in Wirklichkeit sind Sie nicht einmal an diesem politischen Thema interessiert: hätten Sie Hans Wollschlägers "Insel"-Text *gelesen*, wären Sie fündig geworden...
Ich mache mir Sorgen um Sie: zum Vatermord an Schmidt immer noch nicht so ganz entschlossen, benötigen Sie das Ventil Wollschläger: und mag der Blutdruck nach vollbrachter Tat auch gesunken & das Selbstwertgefühl gestiegen sein, so tut sich doch eine lange Durststrecke auf: mehr als ein Wollschläger-Band pro Jahr wird nicht erscheinen: was machen Sie bloß in der dürren Zwischenzeit?
Mir wird angst und bange. Ebenso freilich geht es mir angesichts zustimmender Reaktionen Gleichgearteter auf der Arno-Schmidt-Mailing-Liste; einer fand Ihren diffamierenden Verriß "erfrischend", und im übrigen hieß es:

"Der Text ist argumentativ und intellektuell auf der Höhe seines
Anspruchs."

Das genau ist allerdings sein Problem.

Das selbstzufriedene Kichern des Schreibenden hört man geradezu, wenn ihm Formulierungen gegen den "sagenumwobenen Geistesmenschen", der er selbst leider nicht ist,
einfallen wie:"angeblich so großer Stilist"; "der selbsternannte Gralshüter des Schmidt'schen Werks" "in einem offensichtlichen Fall von Hörigkeit" gegenüber seinem "Guru", der "überschätzte Essayist", der mit "unterkomplexen Superlativ-Hymnen" lediglich "plumpe Selbstbeweihräucherung" betrieb, Entschuldigung, nicht nur, sondern sich zusätzlich auch noch "mit vernebelnden Lobhudeleien als Lenker einer langen Zeit überaus hagiographischer Schmidt-Rezeption zu profilieren versuchte."
Wobei Wollschläger stets außerhalb jeglicher Schmidt-Rezeption stand, wie seine Angriffe auf die zeitgenössische Literaturkritik und auf die um dreißig Jahre verspätete universitäre Behandlung sowie die Nichterwähnung seiner Schmidt-Arbeiten im Rahmen der üblichen Schmidt-Rezeption belegen.
Hat doch der Ihnen äußerst sympathische aber wohl ungelesene Bruder-Kuhn-Vorgänger zu diesem Text ausgeführt: "Das war willkommener Anlaß für den Preisträger, eine Rede zu halten, die aus einer Aneinanderreihung reaktionärer Sprüche bestand, gespreizt und aufgebläht und mit dem Ziel, die Schmidt-Leser einzuschüchtern." Genau. Mit "der Schmidt-Rezeption" hatte der
Redner so wenig zu tun wie jene mit ihm.

Der Vortrag "Die Insel" ist keine Lobhudelei, sondern die tiefste Analyse des Schmidt'schen Werkes, die ich kenne; daß daneben auch Äußerungen zu Schmidts Rang fallen, ändert an dem Grund-Charakter des Textes nichts.

Schmidt *kann* als gezogener Soldat und Kriegsgefangener nicht gelitten haben, schließlich war er "Täter" (ich warte noch immer auf die Découvrierung seines Mit-tuns und Mit-Laufens, die ja etwas schwieriger zu leisten ist als deren bloße Behauptung) und steht daher auf einer Stufe mit KZ-Aufsehern, die sich beklagen, weil sie sich mal die Finger in der Gaskammertür geklemmt haben.
Wollschlägers Formulierung von der "Literatur-Wissenschaft, die aus ihrer Unfähigkeit, monadische Individuen zu beschreiben, spähtrupphaft in deren Umfelder ausschwärmt und immer mehr der Verschmelzung mit jener Banalsoziologie zustrebt, die den Einzelnen nur noch aus dem viel zu Großen Ganzen erläutern will", (S.144), werten Sie als Paradebeispiel ursprünglich antisemitischer Stereotypen - wie bitte? Auch die zusätzlich beigezogene Germanistik-Kritik des Redners bei seinem "Seitenblick auf die
mitmörderische Zutat jener Repräsentanzen des Öffentlichen [...], die ihm das Mitleben buchstäblich verleidet haben", auf S. 176: "Schon Binsenweisheit wäre vielleicht, das Ghettowesen der Germanistik zu verklagen, Platitüde der Vorschlag, sie an ihren so teuer gedüngten Früchten zu erkennen, als bloß raschelnder Betrieb, als Aleatorik und Zungenspiel" vermag diese Wertung nicht zu stützen: "herumnörgelnde Juden, Rabulisten, Wortverdreher?", wie Sie - und ausschließlich Sie - perfide assoziieren? Wissen Sie, und das in Zeiten von Wikipedia,wirklich nicht, was Aleatorik bedeutet?! Egal, Ihnen kommt es lediglich auf den diffamierenden Schluß-Satz an: "Das sind antiintellektuelle Entgleisungen, die man an sich weniger in einer Arno-Schmidt-Preisrede der 1980er- Jahre vermuten sollte, als vielmehr 40 Jahre früher im ›Stürmer‹ oder im ›Schwarzen Korps‹."

Es ist, als ob Sie keinen der Texte in dem "Insel"-Band gelesen, sondern lediglich nach "Stellen" gesucht haben, um Ihren Argumenten ad hominem wenigstens den Anschein einer Begründung zu verleihen. Mir scheint, Sie haben die Sache mit der großen Vater-Gestalt, "in deren Machtschatten sich gesichert leben ließ"; insbesondere aber den Nachsatz: "- wer seine Leserschaft analytisch aufschlüsselte, fände ein weiteresmal wie bei keinem
seiner Zeitgenossen das entsprechende Ambivalenzbild des Reagierens." (Insel, S.210) nicht verstanden, jedenfalls nicht auf sich bezogen.

Aber Sie können natürlich auf Leser bauen, die ähnlich ambivalent gegenüber Vaterfiguren reagieren, beziehungsweise sich mittlerweile aufs Zertrümmern verlegt haben und derlei Psychoentladungen ebenso "erfrischend" finden wie Sie selbst.
Und leidet wertet auch eine Replik wie diese (ich nehm's als
Kollateralschaden hin, weil inhaltlicher Widerspruch jenseits von mir wie von anderen auch empfundenen Kotzgefühlen vonnöten ist) das bedürftige Ego des Kritikers, dem es auf Effekt ankommt, auch noch auf, und zwar ohne daß er ins Grübeln
geriete...

Der eigentliche Skandal ist der, daß solch ein privatistisches Produkt in einem Forum erscheinen darf, das sich "Literaturkritik" nennt und von einer Universität gesponsort wird: gibt es da wirklich keine Qualitätskontrolle?

Rat- und fast schon mutlos,

Gabriele Gordon



Mit freundlichen Grüßen,

Gabriele Wolff


A. Hartmann schrieb uns am 04.12.2008
Thema: Jan Süselbeck: Der ewige Sohn

Dem Leserbrief meiner Vorgängerin kann ich mich nur voll und ganz anschließen.
Um das Ausmaß Süselbeckschens Verlesens und Mißverstehens zumindest an einem Beispiel zu dokumentieren, erlaube ich mir, zwei Zitate gegenüberzustellen.

Jan Süselbeck:
"Die Wortwahl macht eben auch bei einem vielgerühmten Essayisten, dem man "geschmeidige Formulierungskunst" bescheinigte, die Musik: Wollschläger zieht Kuhns "geistige Gesundheit" in Zweifel, nennt ihn einen "armen Kopf" - und in pseudoironischer Bezugnahme auf eine Bemerkung seines Kritikers nennt er Rezensenten wiederholt "Wanzen und Läuse". So schillernd die betreffende Erörterung Wollschlägers an der Stelle auch klingen mag - selbst als "Witz" möchte man so eine offene Bezugnahme auf die Perhorreszierung kritischer Autoren im Nationalsozialismus einfach nicht mehr lesen."

Hans Wollschläger: Bruder Kuhn, S. 264 f.
(kursiv: Zitat von Dieter Kuhn)

Bei Wollschläger verkommt alles zu egoistischen, kleinkarierten Unmenschlichkeiten. Rezensenten, um ein Beispiel zu geben, die er zitiert, nennt er gleichwohl nicht beim Namen, denn "ein Aufheben (richtig gelesen: Aufhalten) ihres natürlichen Verschwindens aus dem Gedächtnis" sei nicht gerechtfertigt. Wahrscheinlich ist er noch stolz auf die Formulierung, und vergeblich wird man ihn auf das Kammerjägerhafte der Aussage hinweisen.
Ach ja, es ist richtig: Ich bin schwer belehrbar, und vergebens wird man mich hinweisen. Ansonsten war er hier - trotz seines bescheidenen wahrscheinlich - wieder der reinste Augenzeuge -: Ich war ganz furchtbar stolz; ich konnte stundenlang nicht weiterschreiben nach diesem beißenden Einfall. Nur bei der Kammerjagd bleibe ich etwas begriffsstutzig: will er seinerseits andeuten, daß es sich bei Rezensenten um Wanzen und Läuse handle? Das hielte ich doch für ein etwas hartes Urteil, das er, im Gegensatz zu seinen übrigen hochabsichtsvollen Ausführungen, wohl nicht bedacht hat.


Fazit:

Hans Wollschläger, S. 267
Daß Kuhn immer nur einzelne Worte von mir vorzeigt und den Rest aus seiner eigenen trüben Gedankenquelle zieht, ist (natürlich) eine Folge seiner wie immer überflüssigen Selbsterhaltungswünsche -: er könnte gar keinen vollständigen Satz oder gar Absatz von mir zitieren, ohne daß seine Entstellungsabsicht sofort zuschanden würde ...