Leserbriefe zur Rezension

Makroevolution und Humanisation

Wissenschaftstheoretische Bemerkungen zur Debatte um "Naturalismus" und "Intelligent Design"

Von Josef Bordat


Herbert Huber, Wasserburg am Inn schrieb uns am 14.02.2009
Thema: Josef Bordat: Makroevolution und Humanisation

Josef Bordat plädiert dafür Evolution („Wissen des Biologen“) und Schöpfung („Glaube des Theologen“) nicht unvereinbar getrennt zu sehen. Er kritisiert dazu (zurecht) einen Naturalismus, der sich allein an „das empiristische Signifikanzkriterium“ hält. Dieser Methodenmonopolismus verkürzt die Wissenschaft. Bordat stellt auch zur Debatte, ob dieses empiristische Signifikanzkriterium nicht eine "zirkuläre, selbstwidersprüchliche Definition von Relevanz" darstellt.
Abgesehen davon, dass zu diskutieren wäre, ob jemand das anvisierte Signifikanzkriterium  noch so in Reinkultur vertritt (ich meine: nein), verfällt der Autor in eine der gängigen Naturalismuskritikfallen. Zudem kritisiert er Aussagen von Naturalisten als „persönliche metaphysische Meinung“, deren Begründetheit er – Owen Gingerich zitierend – bezweifelt.
Ich zeige zunächst zwei weit verbreitete Fehlgänge der Naturalismuskritik und wie der Autor sich in einem davon verirrt. Dann werde ich die Forderung nach Begründung entkräften.
Manche Naturalismuskritiker weisen zuerst nach, dass der lupenreine Naturalismus die Bezugsdomäne zu sehr verkürzt. Das heisst man vertritt die Position, dass sich auch darüber hinaus sinnvolle Aussagen über die Wirklichkeit machen lassen.
Dann weist man
1)entweder nach, dass der Naturalist selbst über seine Domäne hinausgeht (also sich anmaßt sinnvolle Aussagen über die Wirklichkeit außerhalb seiner Domäne zu machen; womit man implizit den Vorwurf widerlegt, der Naturalist lasse nur eine verkürzte Domäne gelten), oder
2)man weist nach, dass die außerhalb liegenden Aussagen ja doch wissenschaftlichen (im Sinne des Signifikanzkriteriums) Charakter haben. Man bemüht sich also, ihnen einen wissenschaftlichen naturalistischen Status zu geben, sotto voce unterstellend, dass der doch seriöser sei als der Status von metaphysischen Aussagen.
Die Kritiker des Naturalismus sind sich dabei nie so richtig klar: Sind  naturwissenschaftlicher Diskurs und metaphysische Meinung zwei völlig getrennte Zugangskorridore oder wirken die Bereiche aufeinander ein? Sie bedienen sich – je nach Lage – beider Standpunkte.
Hier geht es um die erste Falle. Bordat wirft den Evolutionisten – Owen Gingerich zitierend – vor, dass sie mit bestimmten Behauptungen keine wissenschaftlich fundierten Tatsachen äußern, "sie vertreten ihre persönliche metaphysische Meinung", genauer: die Evolutionisten – in Gingerichs Worten – lehnen eine kosmische Teleologie ab, vertrauen auf ein kosmisches Roulette und treten für die Zweckfreiheit des Universums ein.
Den Naturalisten muss man zugestehen, dass sie über den Tellerrand hinausschauen. Der Vorwurf lautete ja, dass sie sich selbst auf den Teller der Wissenschaft verkürzen. Dieser wird mit der metaphysischen Meinung überschritten. Der Naturalist kommt damit seinem Kritiker entgegen. Dem genannten Einwand Gingerichs liegt die Zweiteilung in Wissenschaft und Metaphysik zugrunde; die darf dann wohl auch der Naturalist nutzen. Selbstverständlich kann der Naturalist metaphysische Meinungen haben und äußern. Ohne metaphysische Annahmen kommt er nicht aus.
Auch die folgende Feststellung, "dass es sich tatsächlich um eine Meinung handelt, die außerhalb des naturwissenschaftlichen Diskurses steht" rügt (zumindest lese ich es so) die Überschreitung der Grenze zwischen Wissenschaft und Metaphysik. Wie kann man dem Naturalisten etwas vorwerfen, was andere, beispielsweise Theologen hauptsächlich machen? Das man gerade eingefordert hat? Zudem: jeder Metaphysiker und Theologe äußert und hat auch wissenschaftliche Überzeugungen; daher kann (und muss) auch jeder Naturalist metaphysische Meinungen äußern ohne der Kritik anheim zu fallen.
Wenn der Naturalist seine Domäne überschreitet, äußert er eine „persönliche metaphysische Meinung“. So zitiert der Autor Owen Gingerich. Wer sich hauptsächlich in der Sphäre außerhalb der Wissenschaft bewegt, was äußert der? Ich sehe nicht, dass die hier abwertend erfolgte Einstufung als Meinung, – und Bordat betont, „dass es sich tatsächlich um eine Meinung handelt“ – nur für metaphysische Aussagen des Naturalisten gilt. Wenn diese Einstufung korrekt ist, dann für alle.
Zuletzt ist noch die Begründetheit der metaphysischen Meinung der Naturalisten zu diskutieren. Bordat gesteht zu, dass man darüber streiten kann.
Ohne es näher auszuführen: Existenzbehauptungen eines metaphysischen Schöpfers, oder die Unterstellung eines immanenten Zieles (Teleologie) oder eines Zwecks (gegen die Zweckfreiheit des Universums), bedürfen der Begründung, nicht umgekehrt. Damit sind die in Bordats Essay genannten metaphysischen Meinungen der Naturalisten methodologisch gut begründet: solange keine Begründung für die Entität X vorliegt (am besten innerhalb einer bewährten Theorie) gilt: X gibt es nicht. Postuliert eine Theorie neue Entitäten und hängt davon viel ab, werden kaum Kosten und Mühen gescheut um das Ding aufzuspüren, siehe den Large Hadron Collider in Genf. Die Physiker sind sich also ihrer Bringschuld der Begründung bewusst. Das sollte auch für andere Disziplinen gelten.


Ed Dellian schrieb uns am 14.02.2009
Thema: Josef Bordat: Makroevolution und Humanisation

Lieber Herr Bordat,

hier einige kurze Bemerkungen zu Ihrem interessanten Aufsatz:

1. Ich teile Ihre aristotelisch-leibnizische Auffassung zum "material-phänomenologischen Kausalnetz im 'Reich der Natur' ", das zudem experimentell zugänglich sein soll, nicht. Mit Newton halte ich alle schöpferischen natürlichen Ursachen für nicht-materielle Entitäten - nicht weil ich etwa "Newtonianer" wäre, sondern weil ich denke, dass Newton recht hat. Schon die unvoreingenommene Beobachtung des Fallens schwerer Körper zeigt, dass hier eine nicht-materielle Bewegungsursache vorliegt, deren Wirkung eben die Fallbewegung ist. Die lokale Bewegungs-Ursache steckt in dem Gravitationsfeld, das wir selbst nicht wahrnehmen, sondern nur durch seine Einwirkung auf den Bewegungszustand materieller Körper mittelbar beobachten können. "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Ich halte diesen Satz für ein elementares methodisches Prinzip der Ursachenforschung.
Die aristotelisch-leibnizische Auffassung behauptet die reale Existenz materieller Ursachen, was darauf hinausläuft, der Materie selbst "Aktivität" zuzuschreiben. Demgemäß "erklärt" die materialistische Naturwissenschaft unserer Zeit, die den dogmatischen Materialismus mit dem Terminus "naturalistisch" nur tarnt (Kanitscheider), alles mögliche, indem sie es auf behauptete Materieeigenschaften zurückführt. Die Materie (jetzt: die "Gene") "kann" angeblich dies und das und jenes. Sie "kann" anziehen, sich "selbst" bewegen, sich "selbst" organisieren usw. usf. Mit diesem Ansatz werden im Ergebnis alle "wissenschaftlichen Erklärungen" auf den empirisch-materiellen Bereich reduziert; nicht-materielle Entitäten - und das heißt, wenn Newton recht hat: alle wirklichen schöpferischen Ursachen! - bleiben gänzlich außer Betracht. Die Materie ist eben mit diesem Ansatz an die Stelle Gottes getreten und selbst "allmächtig". Sie finden die Lehre von der Aktivität der Materie u.a. bei Lenin als Fundament des dialektischen Materialismus.

2. Der Tatsache, dass es keine empirisch erkennbaren materiellen Ursachen gibt, sondern wir immer nur Wirkungen beobachten können, hat Leibniz mit dem Satz "causa aequat effectum" Rechnung getragen. Ursachen und Wirkungen ließen sich aber, wenn das richtig wäre, nicht voneinander unterscheiden. Ursachenforschung wäre damit ein sinnloses Unterfangen. Versucht man sie auf dieser Grundlage dennoch, so wird die Argumentation zirkulär. Gerade die " Evolution" wird vielfach sowohl als Ursache, wie auch als Wirkung bezeichnet. Ich nehme an, dass die deduktive Erklärung materieller Effekte aus hypothetischen Materieeigenschaften ein geschlossenes selbstreferentielles logisches System darstellt. Die Folge ist, dass solche Erklärungen notwendigerweise immer zirkulär sind (Gödels Theorem). - Der Leibniz'sche Satz "causa aequat effectum" wie der ebenfalls Leibniz'sche Satz "natura non facit saltus" lässt sich übrigens in Darwins "Origin of Species" nachweisen, wo ansonsten an philosophischen Prinzipien so gut wie gar nichts zu finden ist. Newtonianer hätten die hübschen Geschichten, die Darwin erzählt, "talkative philosophy" genannt, und seine Geschichten selbst wie alle Produkte der hypothetisch-deduktiven Methode als "Märchen" bezeichnet (Roger Cotes).  

3. Der hier kritisierte aristotelisch-leibnizische Ansatz liegt dem heutigen Wissenschaftsverständnis zugrunde. Mit dem willkürlichen Ausschluss aller nicht-materiellen Entitäten als "unwissenschaftlich" errichtet diese materialistische Wissenschaft eine Barriere gegen alle Ansätze, Erklärungen außerhalb der Materie zu suchen. Auf diese Weise wird wirkliche Ursachenforschung als ein vernünftiger Erkenntnisweg, der schließlich zur Gotteserkenntnis führen könnte, schon im Ansatz abgeschnitten, weil eben die materialistische Wissenschaft die Anerkennung der Realität geistiiger kausaler Entitäten, die "außerhalb" des materiellen Systems liegen und dessen Selbstreferenz durchbrechen könnten, dogmatisch verbietet. Tatsächlich wird durch diese strikt immanentistische Verfahrensweise ein zirkuläres, wahrheitsunfähiges Argumentationsschema institutionalisiert.

4. Die realistische Alternative dazu bietet m.E. das platonisch-dualistische Kausalverständnis Newtons, das auch dasjenige von Cusanus und Copernicus, von Bruno und Campanella, von Paracelsus und Kepler und Galilei war. Hier ist die Materie absolut passiv und wird "vom Geist behaucht" (B. Kanitscheider), d.h. diese Lehre beruht auf einem Prinzip der Wechselwirkung nicht-materieller aktiv-schöpferischer Ursachen (Newtons "Kräfte der Natur") mit der passiven Materie, wobei bestimmte Veränderungen der Bewegungzustände (Newton: "mutationes motus") materieller Körper als Wirkungen erzeugt werden. Ich denke, dass dieses platonisch-dualistische Wechselwirkungsprinzip von "Geist" bzw. "Kraft" bzw. "Energie" mit der Materie sich in allen wirklich tragfähigen Prinzipien der authentischen Newton'schen wie auch der modernen Naturwissenschaft nachweisen lässt. Gerade deshalb halte ich den aristotelisch-leibnizischen Ansatz für unrealistisch und tatsächlich widerlegt.

5. Die wissenschaftliche, also die methodisch-mathematische Darstellung solcher schöpferischer Wechselwirkungsprozesse verlangt die "analoge" Methode, d.h. mathematisch die Wiederaufnahme des platonisch-euklidischen Operierens mit geometrischen Proportionen, wie diese tatsächlich sowohl das methodisch-mathematische Kernstück der Naturphilosophie Newtons, als auch das tragfähige Gerüst der Prinzipien moderner Physik bilden. Die Erneuerung dieser rationalen Erkenntnismethode (für deren Verständnis Cusanus' "docta ignorantia" eine Fundgrube ist) verschafft der Naturphilosophie jene "Weite der Vernunft" (J. Ratzinger), die ihr erst eine wahre Ursachenforschung erlaubt, sie also wirklich wahrheitsfähig macht und einen Erkenntnisweg öffnet, der schließlich zur rationalen Erkenntnis Gottes nicht als Hypothese, sondern als "unausweichliche Tatsache" (Newton) führt (die Lehre von der "analogia entis" gehört hierher).

6. Ihre Auffassung zum Wahrheitsbezug der modernen hypothetisch-deduktiv arbeitenden Naturwissenschaften übersieht m.E., dass diese logische Methode niemals über die Hypothese hinausführt, deren Wahrheit also nicht beweisen kann (Popper). Das hängt natürlich mit der schon erwähnten Zirkularität und mit Gödels Theorem zusammen. Tatsächlich erhebt auch die moderne Evolutionstheorie gar keinen Wahrheitsanspruch, sondern sie begnügt sich mit "plausiblen" Erzählungen ("stories", so auch Scherer), die immer unter  dem Vorbehalt stehen, vielleicht morgen schon durch eine noch "plausiblere" Erzählung abgelöst zu werden. Eine auf die empirische Erfahrung gegründete Naturlehre benötigt, wenn sie nicht zirkulär, sondern wahrheitsfähig und in ihren Aussagen "wirklich wahr" sein soll, einen außerempirischen "Bezugspunkt". Diesen hatte die authentische galilei-newtonische Naturphilosophie damit gefunden, dass sie "theozentrisch" war, d.h. die Wahrheit von Erkenntnisinhalten relativ zum Absoluten (Raum, Zeit, Bewegung, Gott) bestimmte, wozu methodisch nicht die deduktive aristotelische Logik, sondern das synthetische "ana-loge" platonisch-geometrische Denken erforderlich ist. Newtons Naturphilosophie war damit auch eine elementar christliche Naturlehre. Samuel Clarke, Hofprediger in London, verkündete sie 1704 von der Kanzel von St. Paul's als "die einzige mit dem Christentum vereinbare Philosophie", und nannte sie richtig die "Philosophie der Freiheit". Warum das? Wei sie durch ihren Gottesbezug wahr ist (Edith Stein: "Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott"), und weil die Wahrheit frei macht, wie die christliche Lehre weiß.        

7. Zur Frage der "Humanisation" ein Satz von Isaac Newton, der eigentlich alles Nötige sagt: "If Natural Philosophy, by pursuing this method, shall at length be perfected, the bounds of Moral Philosophy will also be enlarged. For so far as we can know by Natural Philosophy what is the First Cause, what power he has over us, and what benefits we receive from him, so far our duty towards him, as well as towards one another, shall appear to us by the light of Nature."

Herzliche Grüße
Ed Dellian.        
P.S. Sie finden das alles ausgearbeitet in meinem Buch "Die Rehabilitierung des Galileo Galilei oder Kritik der Kantischen Vernunft" (Sankt Augustin 2007).


Rudolf A. Jörres und Thomas Waschke schrieb uns am 23.02.2009
Thema: Josef Bordat: Makroevolution und Humanisation

Disclaimer: Die Autoren haben sich entschlossen, die nachfolgenden, zunächst primär für Herrn Bordat gedachten Kommentare als Leserbrief einzureichen, da sie den Eindruck gewonnen haben, dass ihre Antwort von allgemeinem Interesse und vielen Lesern beim Überdenken des Themas hilfreich sein könnte.  

Sehr geehrter Herr Dr. Bordat,

im Folgenden finden Sie einige Anmerkungen zu Ihrem in unseren Augen nicht ganz unproblematischen Aufsatz. Der Einfachheit halber sind die Kommentare nach Absätzen geordnet. Wir haben uns bemüht, so genau wie möglich Ihren Gedankengang nachzuvollziehen, auch wenn dies aufgrund begrifflicher und argumentativer Unschärfen nicht immer einfach war.

ad Absatz 1:
Zwar bieten sich berühmte Personen immer zur Einleitung eines Aufsatzes an, doch kann es fragwürdig werden, wenn durch ausgewählte Zitate Denkwege vorgebahnt oder Argumente ersetzt werden. In einer Abhandlung, die beabsichtigt, wissenschaftstheoretisch die Maximen und Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Forschung oder einer ihrer Teildisziplinen zu untersuchen, sind persönliche religiöse Überzeugungen von Forschern sekundär. Solange jedenfalls, wie nicht der Begriff der Wissenschaft von Anfang an ausgeweitet und somit dem Begriff „Wissenschaftstheorie“ eine andere als die in den Naturwissenschaften übliche Bedeutung verliehen wird.
Eine derartige Erweiterung kann man selbstverständlich versuchen. Wer sich aber etwa heute etwa mit der „Wissenschaftslehre“ von Fichte oder anderen Extensionen, etwa nach Art von Leibniz oder Thomas von Aquin, in die Diskussion einschalten wollte, müsste sehr gut begründen, warum das sinnvoll sein und wohin das führen soll. Ein Rekurs auf religiöse Überzeugungen und ihre mögliche Interferenz mit der Naturwissenschaft ist sicher kein sonderlich gutes Argument, zumal sich bekanntlich die Wissenschaft mühsam von der Bevormundung durch die Religion hat emanzipieren müssen.
Die Verquickung von Theodosius Dobzhansky und Pierre Teilhard de Chardin vermittelt dem Leser insofern einen falschen Eindruck, als hier Autoritäten in Anspruch genommen werden, um unter Ausnutzung der Mehrdeutigkeit von „creation“ indirekt das Gewicht der Wissenschaft für etwas zum Tragen zu bringen, das nicht ihre Sache ist. Insbesondere haben in keinem Fall religiöse Einstellungen Implikationen für die Art und Weise, wie man die Kriterien valider naturwissenschaftlicher Forschung definiert. Daher ist der wissenschaftstheoretische Sinn der Zitate unklar. Er kündigt aber die Richtung Ihrer Überlegungen mit hinreichender Deutlichkeit an, inklusive des Operierens mit unscharfen Begriffen. Man sollte bedenken, dass die Bedeutung von „creation“ im Sinne Dobzhanskys sich nicht mit der heute im Wort „Kreationismus“ dominierenden Bedeutung decken dürfte. Dies gilt ebenso für „Makroevolution“, unter der Dobzhansky seinerzeit primär Artbildung verstand (er war ein Schüler von Philiptschenko, der den Begriff prägte).

ad Absatz 2:
Eine „Phase der Konvergenz“ des „Diskurses zwischen Evolution und Schöpfung“ dürfte es wohl nicht ernsthaft gegeben haben. Nur gab es früher weniger an aggressiv multiplizierter Öffentlichkeit. Die zunehmende publizistische Präsenz des „Diskurses“ in den letzten Jahren, die im Text unter Anderem (durchaus suggestiv) auf „wissenschafts- und bildungspolitische“ Prägungen zurückgeführt wird, dürfte an erster Stelle auf die Aktivitäten und Propaganda von Kreationisten jeglicher Couleur zurückzuführen sein, vor allem auch mit Hilfe des Internet. Seitens praktisch tätiger Forscher besteht der „Diskurs“ primär in der Abwehr von Anmaßungen und Unsinn, um es klar auszudrücken. Dies ist nicht ungewöhnlich; auch andere Disziplinen, etwa Bereiche der Umweltmedizin, leiden unter sehr erheblichen Diskrepanzen zwischen öffentlichem „Diskurs“ und sachwissenschaftlicher Evidenz und Kompetenz.
Spezifische Erklärungsmechanismen der Evolution, wie sie von der sog. New Synthesis gegeben werden, welche die Selektion in den Vordergrund stellt, oder von Evo-Devo-Theorien, oder solchen, die transponierende Elemente für die primären Faktoren halten, und so weiter, decken sich nicht mit „(Neo-)Darwinismus“. Dies ist ein Begriff, der auf mehrere Richtungen bezogen werden kann und von einigen Protagonisten, darunter auch Richard Dawkins, nicht zuletzt verwandt wurde, um sich von der New Synthesis abzusetzen. Der Begriff „(Neo-)Darwinismus“ ist heute im Wesentlichen eine Kampfvokabel und wird auch im Text so eingesetzt. Das heißt allerdings nicht nur, die Sicht auf die Dinge ungebührlich zu vereinfachen, sondern mehr noch: unter der Hand zu versuchen, die Argumentation von Anfang an fehlzuleiten. Dies erfolgt, indem „(Neo-)Darwinismus“ und „Naturalismus“ als „forschungsmethodischer Ansatz“ parallelisiert werden. „Naturalismus“ (wenn das Wort einen Sinn haben soll) ist die methodologische Grundlage aller Naturwissenschaft und unabhängig von spezifischen Theorien wie „Darwinismus“. Vor allem sind die in Konkurrenz zur New Synthesis stehenden Theorien, die alternative oder zusätzliche Evolutionsmechanismen zum Gegenstand haben, ebenfalls naturalistisch, sofern sie den Anspruch haben, wissenschaftlichen Kriterien zu genügen und somit überhaupt jemals akzeptiert werden zu können.
Über eine Kritik am „(Neo-)Darwinismus“ die Hand auf verdeckte Weise in „den Naturalismus“ als solchen zu bekommen, der im Text als „paradigmatisch festgeschrieben“ für ersteren postuliert wird, erscheint als intellektuell fragwürdiges Verfahren. Dies gilt auch schon deshalb, weil man sich den „(Neo-)Darwinismus“ geeignet herbeidefinieren kann, wie es beispielsweise in „Darwinismus“-kritischen Büchern gerne geschieht. Und von einem „forschungsmethodischen Ansatz“ des „Intelligent Design“ kann keine Rede sein, wenn das Wort „Forschung“ noch einen anderen als einen beliebigen Sinn haben soll. Gibt es irgendeinen ausformulierten, einer Kritik standhaltenden methodologischen Ansatz, der mit dem Ansatz der konventionellen Naturwissenschaften vergleichbar ist und nicht auf suggestiven oder geradezu zwangsläufigen Interpretationsvorgaben beruht? Alle vorgeschlagenen „Ansätze“ laufen auf unhaltbare Analogiebildungen und bestenfalls naiv zu nennende Wahrscheinlichkeitsargumente hinaus, in denen unter Ausblendung zentraler Faktoren – wie Selbstorganisationspotential der Materie oder historischer Genese von Strukturen – das Ergebnis bereits vorausgesetzt ist. (Ebenso ist immer wieder verblüffend, in welchem Maße selbst die elementarste, bereits vor 230 Jahren von David Hume in den „Dialogues Concerning Natural Religion“ formulierte Kritik ignoriert wird.) Oder wird hier ein Wollen und Postulieren mit einem „Ansatz“ verwechselt? (siehe Kommentar zu Absatz 3)

ad Absatz 3:
Ein für die Evolutionsforschung sachlich relevanter „Diskurs“ von Wissenschaftlern (bezeichnenderweise ist gleich die Bezeichnung „Darwinisten“ gewählt) über die Rolle von „Intelligent Design“ in der Makroevolution existiert nicht. Der „Diskurs“ mit „Vertretern des Intelligent Design“ spielt sich primär im außer- oder parawissenschaftlichen Bereich ab (siehe Antwort zu Absatz 2). Bezüglich des „Intelligent Design“ lässt sich viel unter dem Label „(onto)-theologisch“ räsonieren, erst recht wenn das attraktive Signum „politically incorrect“ hinzugefügt wird, unter dem ja heutzutage vielfach Vorurteile als mutig ausgesprochene Gedanken einem aufnahmebereiten Publikum offeriert werden. Dies sollte man bei der Bewertung des als Beleg angeführten Buches beachten.
Es gibt – so wird ein praktisch tätiger, erfahrener Wissenschaftler sprechen – einen einfachen Test auf die Sinnhaftigkeit dieses Konzepts, der alle weiteren naturwissenschaftlichen Diskussionen erübrigt. Man versuche nämlich, ganz konkret beispielsweise einen DFG-Forschungsantrag zu einem Thema des „Intelligent Design“ zu formulieren. Die Kapitel zum wissenschaftlichen Hintergrund usw. werden vielleicht kein Problem machen, bei der Fragestellung wird es schon mehr als heikel, bei den Arbeitshypothesen wird man scheitern, allerspätestens aber bei der Beschreibung des methodologischen Ansatzes. Das hält keiner kritischen Analyse stand; die wenigen vorgeschlagenen Versuche, ein Forschungsprogramm zu definieren, setzen bezeichnenderweise an dieser Stelle intellektuell aus und nehmen zu wissenschaftlich gesehen dilettantischen Wahrscheinlichkeitsbehauptungen Zuflucht, die das Ergebnis präjudizieren). Es hilft auch nicht, hier beispielsweise festsitzende Vorurteile der Fachgutachter anführen zu wollen. Man kann nicht auf konsistente Weise gleichzeitig Wissenschaft betreiben und ihren Kriterien nicht genügen wollen.
Will man etwas anderes machen, braucht man es ja nicht „Wissenschaft“ zu nennen. Dies würde viele Probleme lösen. Es verdeutlicht auch, dass es sich bei „Intelligent Design“ primär um weltanschauliche Begleitmusik, einen interpretatorischen Okkupationsversuch handelt. Dieser ist für die reale Forschung in der Hauptsache als externe Störgröße relevant, zumal sie die öffentliche Wahrnehmung weithin zu beherrschen scheint. Zusätzliche „begriffliche Bestimmungen“ des „Intelligent Design“ haben für die Naturwissenschaft keine Bedeutung, da sie vom methodologischen Ansatz her keine teleologischen Faktoren anerkennt bzw. zum Gegenstand hat; dies gilt auch für sog. Ein- oder Vorprogrammierungen, die nicht ihrerseits natürlich erklärbar sind.

ad Absatz 4 und 5:
Selbstverständlich kann man eine Unterscheidung zwischen Kausalität und Finalität im Gefolge von Gottfried Wilhelm Leibniz vornehmen. Man sollte aber darauf achten, dass man nicht Philosophiegeschichte mit aktuell relevanter bzw. anschlussfähiger Philosophie verwechselt. Leibniz war ein großartiger, vielseitiger Denker, doch die Basisannahmen seiner Metaphysik, paradigmatisch etwa die Monadenlehre, dürften schwerlich kompatibel sein mit den heutigen Sichtweisen. Diese können ja immerhin aufgrund der Arbeit einiger Generationen von Wissenschaftlern, Logikern usw. eine gewisse gedankliche Durcharbeitung und Erfahrungsbestätigung zu ihren Gunsten vorbringen. Der Schluss, dass „die Naturwissenschaften“ durch „Erfahrung und Induktion nicht begründbar sind“, ist ebenso banal wie abenteuerlich. Banal ist er, weil jede Erkenntnis an vorgängige Annahmen gekoppelt ist, die man unbegründbar nennen kann; das lernen Studenten schon im Grundkurs der Theoretischen Philosophie. Dass Leibniz dies im Sinne „logisch-göttlicher Prinzipien“ auffasste, hat seine Grundlage in seiner Metaphysik; diese Prinzipien beziehen sich auf alle Erkenntnis. Die im Aufsatz verfolgte Argumentationsstrategie gehört – wie im Folgenden klar werden wird – in die metaphysisch-scholastische Tradition und steht dem Denken der modernen Wissenschaftstheorie und Wissenschaft fern.
Wer – außer Leibniz – wollte suggerieren, dass die Prinzipien, insofern sie „logisch“ sind, auch etwa „göttlich“ sein müssen? Der Schluss auf „logisch-göttliche Prinzipien“ als „Voraussetzung“ der Naturwissenschaft ist abwegig. Darf es nicht etwas weniger sein, z. B. ganz einfach ein pragmatisches Alltagsverständnis, dem zufolge man bescheidener ist und nicht gleich das Göttliche leuchten sieht? Wer sich im Kreise metaphysischer Obsessionen dreht, läuft Gefahr, den Blick auf die Realität der Forschung zu verlieren. Für die „geordnete empirische Erkenntnis aus Experimenten“ scheinen heutzutage andere Probleme von deutlich größerer Bedeutung als „logisch-göttliche Prinzipien“. So etwa solche konsistent pragmatisch fassbarer Begriffe von Bestätigung oder Erklärung – extrem diffizile Probleme, bei denen „logisch-göttliche Prinzipien“ ausgesprochen wenig hilfreich sein dürften.
Auch geht es den Naturwissenschaften gar nicht um „Erkenntnis“ im leibnizschen absoluten Sinne, sondern um vorläufige Bewährung. Daher ist der oben genannte Schluss auch abenteuerlich, indem mit der Mehrdeutigkeit des Begriffes „begründbar“ jongliert wird. Vermittels der trivialen Behauptung, dass wir mit der Naturwissenschaft zwar „erfahren, wie die Welt ist“, doch nicht „in Erfahrung bringen“ können, „warum [die Welt] so ist, wie sie ist“, wird sie implizit an einem absoluten Begründungsanspruch gemessen, den sie ihrem Selbstverständnis nach gerade nicht hat. Um dann im Folgenden zu konstatieren, dass sie ihm nicht genügt und also ergänzungsbedürftig sei. Oder wenn sie ihm genügen möchte, ihre Grenzen überschreitet. Das läuft auf ein Hase-und-Igel-Spiel den Text hindurch hinaus (siehe die Anmerkungen zu anderen Absätzen). Ein solches Spiel mag die Metaphysik zwar im Himmel gewinnen, aber nicht auf Erden. Ein „Warum“ in der Naturwissenschaft bezieht sich auf konkrete erklärende Mechanismen, nicht auf eine Fundamentalontologie allgemeinster Art.
    
ad Absatz 6:
Unklar ist, was mit den Zitaten von Leibniz bezweckt werden soll und wie sie konkret den weiteren Gedankengang bestimmen. „Das Reich der Natur muss allerdings dem Reich der Gnade dienen; da jedoch im großen Plan Gottes alles miteinander verknüpft ist, ist anzunehmen, dass auch das Reich der Gnade in gewisser Weise dem Reich der Natur angepasst ist, so dass dieses die größtmögliche Ordnung und Schönheit in sich birgt, um die Verbindung beider zu der vollkommensten zu machen, die möglich ist“, derart, „dass die Dinge durch die Wege der Natur selbst zur Gnade führen“. Das ist ohne Zweifel schön formuliert. Allerdings zugleich Metaphysik in Potenz. Oder wollte man die prästabilierte Harmonie, die fensterlose Monade, die beste aller möglichen Welten usw. ernsthaft in eine Diskussion über das werfen, was moderne Wissenschaft und Wissenschaftstheorie ausmachen soll? In der Wissenschaft hat der Vollkommenheitsgedanke, der auch ein Harmoniegedanke ist, im übrigen in Form mathematischer Prinzipien wie der Extremwertbildung physikalischer Wirkintegrale überlebt. Und warum wie Leibniz? Warum nicht beispielsweise Malebranche? Der Okkasionalismus kann doch auch alles ad hoc erklären, und ohne große begriffliche Umwege, da Gott unmittelbar wirkt und adjustiert.

ad Absatz 7:
Die Interpretation, dass der „Naturalismus“ seine „vermeintlichen Stärken“ aus der „Voraussetzungslosigkeit des Ansatzes“ bzw. der „Freiheit von metaphysischen Ideen“ erhalte, und „als Folge“ „der empirischen Überprüfbarkeit der Postulate“, wirft Rätsel auf. Dies umso mehr, als „Naturalismus“ offenbar mit Naturwissenschaft identifiziert wird. Ein Blick in nahezu beliebige, professionelle, moderne, wissenschaftstheoretische Werke kann darüber belehren, dass man sich im Gegenteil der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen sehr wohl bewusst ist. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde darüber philosophiert.
Ferner ist die empirische Überprüfbarkeit von Hypothesen (nicht „Postulaten“, dieser aus vergangenen Formalisierungsversuchen stammende Ausdruck ist viel zu stark) die Grundlage der „Stärke“, nicht die Folge. Mit dieser empirischen Überprüfbarkeit geht nämlich die rational begründbare Revidierbarkeit einher. Niemand wird heute bestreiten, dass zur Wissenschaft wie zu jeder anderen Tätigkeit in der Welt Vorannahmen erforderlich sind. Ihre Stärke beruht darauf, sich von solchen Vorannahmen so weit als möglich unabhängig zu machen, und zwar durch die Kontrollinstanz der Erfahrung. Dabei ist für die Praxis sekundär, dass sich hier epistemologische Zirkel ergeben, denn die Korrekturinstanz Erfahrung zeigt sozusagen erfahrungsgemäß immer wieder neue, nicht antizipierte Facetten, die dann wirklich korrigieren und das Bild, das sich die Wissenschaft macht, verfeinern. Ein Blick in ein beliebiges Lehrbuch einer beliebigen naturwissenschaftlichen Disziplin lehrt, wie weit man auf diese Weise kommen kann. Man vergleiche dies mit der Naturkunde eines Plinius, oder dem Physiologus, oder den Ausführungen von Albertus Magnus, der unter den mittelalterlichen Denkern der Naturkunde noch mit am nächsten stand. Und ein Blick umher auf unsere derzeitige sachlich-technische Umwelt lehrt, was man auf dieser Basis alles herstellen kann. Darin begründet sich der „Optimismus“, nicht in der unterschobenen „Voraussetzungslosigkeit“. Und dieser „Optimismus“ muss keineswegs Triumphalismus sein.
Wer als Wissenschaftler arbeitet, Hypothesen generiert, die dann durch neue Daten unhaltbar werden, andere Hypothesen wieder bis auf Weiteres bestätigt findet, hofft, dass das so bleibt, usw., operiert primär pragmatisch, genauer genommen in der Regel als pragmatischer naiver Realist. Der Beitrag erweckt den Eindruck, der realen Arbeits- und Denkweise der Naturwissenschaften fundamental fremd gegenüber zu stehen. Unterstellte Absolutheitsansprüche mögen sich für eine prätendierte externe Präzeptorenrolle eignen, werden aber möglicherweise von den Adressaten ignoriert oder allenfalls als Belästigung empfunden.

ad Absatz 8:
Zu der „Rekonstruktion“ der „Grundlage der naturalistischen Wissenschaftstheorie“ sei nur soviel bemerkt, dass „Bestätigung“ und „Wahrheit“ miteinander vermengt werden. „Synthetische Aussagen“ (damit sind wohl naturwissenschaftliche Hypothesen gemeint) werden in der Wissenschaft nicht auf „Wahrheit“ oder „Falschheit“ geprüft, sondern darauf, ob die Beobachtungsdaten damit konsistent sind. Damit vermeidet man genau den absoluten Anspruch, den Begriffe wie „Wahrheit“ oder „Falschheit“ implizieren. Dass man umgangssprachlich oft von „wahr“ oder „falsch“ spricht, darf hier nicht missverstanden werden, denn kolloquial haben diese Wörter weite Bedeutungsfelder. Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte der Wissenschaft derart, dass Hypothesen „wahr“ waren, dann aber mit als „wahr“ angenommen Daten als „falsch“ deklariert wurden, diese Daten später als „falsch“ (oder inadäquat interpretiert) identifiziert wurden und nach dem Aufdecken des Irrtums die Hypothese wiederum als „wahr“ galt (oder aber als „falsch“ aufgrund anderer Daten). Und das kann sich vielleicht wieder umkehren.
Ein charakteristisches Beispiel aus der Physik (dort sind solche Beispiele besonders prägnant zu formulieren) ist etwa die Geschichte der „kosmologischen Konstanten“. Einstein hatte in der zentralen Feldgleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie keinen solchen Term vorgesehen, indem er ihn implizit auf Null gesetzt hatte. Als er versuchte, ein einfaches kosmologisches Modell zu konstruieren, stellte er fest, dass dieses instabil war, weil das Universum unter seiner eigenen Schwerkraft zusammenstürzte (ein Problem, das schon Newton umgetrieben hatte). Um dies zu beheben, führte Einstein einen additiven Term in die Gleichung ein, eben die kosmologische Konstante, die in Form einer zusätzlichen abstoßenden statt anziehenden Schwerkraft wirkte. Auf diese Weise konnte er die Kräfte ausbalancieren und zu einem statischen Universum kommen. Er stellte ferner fest, dass die kosmologische Konstante zu keiner anderen Physik im Widerspruch stand und vor allem kompatibel mit der Struktur der Feldgleichungen war. Dies alles erfolgte vor dem Hintergrund der Erwartung, das Universum müsse statisch sein. Jedoch entwickelten andere Theoretiker wie de Sitter, Friedmann und Lemaître auch Lösungen der Relativitätstheorie, die ein expandierendes Universum vorsahen. In den 1920er Jahren fand Hubble, dem mit dem 100-Inch-Hooker-Reflektor ein hinreichend großes Instrument zur Verfügung stand, Evidenz dafür, dass das Universum sich ausdehnte. Diese Evidenz bestand darin, dass Nachbargalaxien sich im Mittel mit einer Geschwindigkeit entfernen, die ihrer Entfernung proportional ist. Damit war die Forderung nach einem statischen Universum aufgrund der Beobachtungsdaten obsolet (unter der Voraussetzung, dass die beobachtete Rotverschiebung der Spektrallinien auf die Geschwindigkeit zurückzuführen war). Als Einstein davon erfuhr, sowie von den alternativen, ein expandierendes Universum beschreibenden Lösungen seiner Gleichungen, verwarf er selbst die kosmologische Konstante, ja bezeichnete ihre Einführung als die größte Dummheit seines Lebens. In der Folge wurde es ruhiger um die kosmologische Konstante, auch wenn sie immer wieder reaktiviert wurde, um Erklärungsdefizite zu beheben. Dies galt bis in die 1990er Jahre, um so mehr, als man ein ein Universum für wahrscheinlich hielt, das sich mit der Zeit immer weniger stark ausdehnte, bis hin zum Stillstand oder zur möglichen Bewegungsumkehr mit nachfolgendem Kollaps. Durch die Möglichkeit, sehr weit entfernte Galaxien zu beobachten, fand man nun Evidenz für eine zunehmend beschleunigte Ausdehnung des Universums, und zu deren Erklärung schien eine zusätzliche abstoßende Kraft, eben die kosmologische Konstante wieder unausweichlich. Dies umso mehr, als die kosmologische Konstante eine mathematisch gesehen natürliche und zugleich die einzige Erweiterung war, die man der Feldgleichung hinzufügen konnte, ohne die Symmetrie der Theorie zu stören. Dies zeigt auch die außerordentliche Vorhersagekraft mathematisierter Theorien; ein Term, der der mathematischen Vollständigkeit halber eingeführt wurde bzw. werden konnte, entpuppte sich als empirisch sinnvoll und nicht per Willkür abzuschneiden. Dies ist analog der Voraussage der Antimaterie durch Dirac um 1930 aus einer Gleichung, die per Symmetrie neben den als gewöhnliche Materie interpretierbaren Lösungen auch zunächst auch ganz unphysikalisch erscheinende Lösungen hatte. Die Wiedereinführung der kosmologischen Konstanten aufgrund der kosmologischen Beobachtungen schuf zugleich eine Verbindung zur Quantenmechanik, der zufolge es kein „echtes“ Vakuum mit Energie Null geben kann, sondern das Vakuum aufgrund des Heisenbergschen Unschärfeprinzips notwendigerweise sozusagen „kocht“ vor virtuellen Teilchen, d. h. solchen, die auf per definitionem unbeobachtbare Weise entstehen und wieder vergehen. Dies führt im Effekt aufgrund der Wechselwirkung der Teilchen dazu, dass eine positive Energiedichte, d. h. ein netto energiehaltiges Vakuum entsteht, das zugleich einen Druck ausübt, und eben das könnte die auseinandertreibende Kraft der kosmologischen Konstanten sein. Die Vakuumfluktuationen kann man übrigens indirekt u. a. mittels des sog. Casimir-Effekts in Form einer messbaren Residualkraft unter bestimmten Bedingungen detektieren. Das alles ist also durchaus experimentell in gewissem Maße anschlussfähig und nicht einfach Gegenstand eines „verstehend-hermeneutischen“ Ansatzes, wie viel an Spekulation die Kosmologie auch immer enthalten mag. Aus der neuartigen Situation ergaben sich dann wiederum andere Rätsel, die in den numerischen Werten der beteiligten Faktoren zu suchen sind, aber das ist aktuelle Forschung.
Dieses Beispiel ist angeführt, um zu verdeutlichen, wie reale, anspruchsvolle Forschung konzeptionell abläuft und dass in einem vorgeblich monomanischen System Erkenntnisse möglich sind, die gerade aus ihrer Revidierbarkeit einerseits und unvorhersehbaren Kombinationsfähigkeit andererseits ihre intellektuelle Kraft beziehen; auch hält die methodisch erforschbare Natur zu viele Überraschungen bereit, als dass sich ihre Erkenntnis auf ein zirkuläres Spiel reduzieren ließe. Ähnliches gilt für die Evolutionsbiologie, nur dass hier noch viel mehr Details im Gesamtbild zusammenkommen und daher die Situation unübersichtlicher ist. Das Bild von Forschung als zirkulärer, schematischer, in sich selbst gefangener Prozedur usw. statt eines kreativen Prozesses hat mit der realen Forschung, ihrem Fortgang, ihren Möglichkeiten, ihren Problemen, vor allem aber ihrem Erkenntniswert und ihrer Faszination nichts zu tun.
  
ad Absatz 9:
Naturwissenschaftliche Aussagen sind nicht „zumeist synthetisch“, sondern immer, von der problematischen Unterscheidung von „synthetisch“ und „analytisch“ ganz abgesehen, wie sie bekanntlich Willard van Orman Quine schon vor vielen Jahren thematisiert hat, im Widerspruch zu seinem akademischen Lehrer Rudolf Carnap. Nicht-synthetische, analytische Aussagen findet man nach gängiger Auffassung in der Mathematik, die nicht als Naturwissenschaft gilt, unabhängig von ihren Anwendungen. Die Interpretation des „empiristischen Signifikanzkriteriums“ als „Abgrenzungskriterium gegenüber nichtempirischer Realerkenntnis“ trifft den Punkt in gewissem Sinne, allerdings nicht in wirklich aussagekräftiger Weise, denn eine hypostasierte „Realerkenntnis“, die „nichtempirisch“ ist, kann sich ja wohl definitionsgemäß nicht auf eine empirisch basierte „Signifikanz“ berufen; auch das ist in dem Zusammenhang der gewählten Begriffe ein Wort, das mit irreführenden Konnotationen versehen ist. Als Fachausdruck zur Bewertung theoretischer Terme geht der Begriff auf längst für obsolet erachtete Ansätze von Rudolf Carnap aus den 1930er Jahren zurück.
Dass der Satz „Es gibt einen Schöpfer der Welt“ keinen Platz in den Naturwissenschaften hat, weil nicht verifizierbar, ist nur die eine Sache. Er ist eben auch nicht falsifizierbar. Er ist in diesem Rahmen buchstäblich sinnlos. Daran hat sich seit den Ausführungen des (allerdings in sich heterogenen) Wiener Kreises, vor allem dem Buch „Scheinprobleme in der Philosophie“ von Rudolf Carnap nichts geändert. Warum der Bogen zum „naturalistischen Paradigma“ der „(neo-)darwinistischen Evolutionstheorie“ geschlagen wird, innerhalb derer der Satz „eben nicht verifizierbar“ sei, ist ebenso offenkundig wie kryptisch. Offenkundig, weil im nächsten Satz offeriert wird, „Intelligent Design“ versuche, den Schöpfer „mittels seiner Spuren sinnlich wahrnehmbar zu machen“, was „jedoch erhebliche (onto-)theologische Probleme mit sich“ bringe. Die Probleme sind, mit Verlaub gesagt, elementarster methodologischer Natur (dazu siehe die Kommentare zu Absatz 2 und 3). Überdies ist das Erkennen von „Zweckmäßigkeit“ in vorgefundenen Objekten eine Frage der Interpretation und „Zweckmäßigkeit“ als solche nicht „sinnlich wahrnehmbar“. Kryptisch ist der Bogen, weil man ja genauso gut andere Theorien, etwa solche der Kosmologie, in Dienst nehmen könnte, um einen „Schöpfer“ per „nichtempirischer Realerkenntnis“ nachzuweisen. Warum sich auf die („neo-)darwinistische Evolutionstheorie“ fixieren, wenn es auch anders ginge?

ad Absatz 10:
Beginnen wir am Ende: „Von empirischer Signifikanz schließt der Naturalist auf wissenschaftliche Relevanz“. Auch dieser Satz ist ebenso banal wie verquer. Offenbar wird der Begriff „Naturalist“ verwandt, um Naturwissenschaftler zu bezeichnen (im Englischen bezeichnet man so einen Naturfreund im Sinne eines Pflanzensammlers, Tierbeobachters usw.). „Wissenschaftliche Relevanz“ ergibt sich aus der Stellung eines irgendwie gearteten Befundes im Rahmen eines Gesamtsystems von Hypothesen und Beobachtungen. Im Prinzip „relevant“ können nur Ergebnisse sein, die der Methodologie der Naturwissenschaft gehorchen. Das können empiriegestützte Befunde sein, aber auch (nicht-empirische) mathematische Theorien, die sich als fruchtbar zur Interpretation der Daten herausstellen. Der Naturwissenschaftler geht davon aus (nicht „schließt“), dass nur derartige Befunde als relevant gelten können, ganz unabhängig von anderen, möglicherweise heuristisch hilfreichen Überlegungen.
Offenbar steht der Drang zur Verabsolutierung von Erkenntnis einer adäquaten Auffassung naturwissenschaftlichen Arbeitens im Wege, ebenso wie das Bedürfnis, Naturwissenschaftlern irgendwie eine unberechtigte Deduktion von unbewiesenen und ignorierten Voraussetzungen nachzuweisen. Dem liegt vermutlich das Ziel zugrunde, vor dem Hintergrund der Beliebigkeit von Systemen die Sätze der Metaphysik und Theologie als gleichwertig und im nächsten Schritt aufgrund ihres umfassenderen, absoluten Anspruchs als höherwertig aufzuweisen. Dieses beliebte Verfahren kann man „Äquilibrations-Dominanz-Technik“ nennen; es hat gewisse Ähnlichkeit mit Techniken des ontologischen Gottesbeweises.
Die Art von „Einheitswissenschaft“, die Rudolf Carnap seinerzeit propagiert hat, gab und gibt es in der ursprünglich gemeinten physikalistischen Form nicht; zu viele Differenzierungen zwischen den Disziplinen haben sich ergeben. Wohl gibt es einen Kodex gemeinsamer Methoden. Diesen als „Einheitswissenschaft“ zu bezeichnen, hat allenfalls propagandistischen Wert, wenn man auf „Einheitsbrei“ oder „Monotonie“ hinauswill.

ad Absatz 11:
Wenn behauptet wird, dass „der Signifikanzvorbehalt des Naturalismus einen Filter für Sinn und Unsinn“ bilde, und „infolgedessen“ „die empirisch arbeitenden Naturwissenschaften“ das „Paradigma wissenschaftlicher Tätigkeit überhaupt“ seien, so dass „jede Aussage, mit der auf Entitäten nichtempirischer Realerkenntnis referenziert“ werde, „a priori als unerheblich gekennzeichnet“ werde, so erscheint dies als assoziatives Verwirrspiel mit Banalitäten und Verdrehungen. „Sinn und Unsinn“, „unerheblich“ usw. beziehen sich immer nur auf den Rahmen der Naturwissenschaften, die auf methodologische Korrektheit achten müssen, wenn sie bestehen bleiben wollen.
Die Naturwissenschaften, so wie sie de facto betrieben werden, sind viel bescheidener als im Text suggeriert wird. Hingegen sind programmatische Metaphysiker in der Regel viel unbescheidener; da geht es immer gleich um den Seinsgrund und so weiter, darunter macht man es nicht. Im nächsten Satz wird der Anspruch der Naturwissenschaften auf eine „Diskursregel“ reduziert, die „den Begriff der Wissenschaft derart“ (d. h. wohl nichtmetaphysisch) verkürze. Der Text versteigt sich gar zu der These, hier würde „wissenschaftliche Wahrheit über Aussagen, also sprachanalytisch“ bestimmt, während „bestimmte Positionen methodisch von der Kommunikation“ ausgeschlossen würden. Dies hemme „die Suche nach der Wahrheit“. Die Verwendung des Begriffes „sprachananalytisch“ führt in die Irre, denn Rudolf Carnap etwa meinte damit seinerzeit nur, dass innerhalb der definierten Wissenschaftssprache ein interner Ausdruck in sinnvoller und entscheidbarer Weise an andere Ausdrücke gekoppelt sein sollte, die Beobachtungen entsprechen; von einer im eigentlichen Sinne des Wortes „sprachanalytischen“ Bestimmung von „Wahrheit“ kann keine Rede sein; was zählt, ist nach wie vor die Empirie.
Eine wie auch immer geartete, in aller Regel supranaturalistische Erweiterung der Naturwissenschaften ist nicht akzeptabel, da sie zu ihrer Zerstörung führt. Wissenschaftler suchen nach guten Erklärungen und freuen sich an stringenten, erklärungsmächtigen Theorien; das bezeichnen sie als „Wahrheit“, da sie mit gutem Grund annehmen können, wesentliche Aspekte der Wirklichkeit erfasst zu haben. Dennoch steht auch dies unter Vorbehalt, und die absolute, ewig gültige, ein für allemal festgeschriebene Wahrheit von Metaphysikern und Theologen ist nicht das Ziel.
Leider folgt der Text völlig dem beliebten Spiel mit dem multisemantischen Begriff des „Naturalismus“. Wer auf den Erkenntnissen und Methoden innerhalb der Naturwissenschaft besteht, muss keineswegs nicht-naturwissenschaftliche Aussagen als „unerheblich“ usw. qualifizieren, gleich um was für einen lebensweltlichen Bereich es sich handelt. Oder wollte man einem Violinisten den Rat geben, die sehr deutliche methodische Beschränkung seiner musikalischen Möglichkeiten, die durch den Gebrauch des Bogens, Pizzicato und allenfalls noch Klopfen auf den Korpus gegeben ist, dadurch zu überwinden, dass er etwa eine Säge statt des Bogens verwendet? Schließlich hat eine Säge ja auch ihren unbestreitbaren lebensweltlichen Sinn, der hier auf willkürliche Weise „unzulässig“ von der „Kommunikation“ ausgeschlossen wird – allerdings zur Zerstörung des Instruments führt, so dass in der Folge nicht einmal mehr das ursprünglich begrenzte Methodenspektrum des Violinspiels zur Verfügung steht. Stattdessen mag man die Trümmer verheizen und sich für kurze Zeit an Flammenspiel und Knisterwärme als Elementen erbauen, die einen umfassenderen lebensweltlichen Sinn in die Musik gebracht haben.
Das Zitat von Jürgen Habermas, „naturalistische Weltbilder [genössen] keineswegs prima facie Vorrang vor religiösen Auffassungen“, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Erstens müsste man eruieren, was denn seiner Meinung nach secunda facie der Fall wäre, zweitens meint Habermas in der Regel die gesamte Lebenswelt. Gerade die ist ja sein Hauptthema, um das sich alles andere seiner Ausführungen ordnet, und nach aller Wahrscheinlichkeit meint er nicht die Substitution von Wissenschaft. Drittens pflegt man in den Naturwissenschaften nicht mit Autoritäten, sondern mit Argumenten zu operieren. Es lassen sich leicht auch gegen die Argumentation des Textes verwendbare Zitate etwa in der Aufsatzsammlung „Zwischen Naturalismus und Religion“ finden.
  
ad Absatz 12:
Die Aussagen zur vorgeblichen Zirkularität und Selbstwidersprüchlichkeit der „Definition von Relevanz“ im „Naturalismus“ drehen sich um sich selbst. Wer etwa in der Mathematik definiert, dass nur mathematische Sätze einen Sinn ergeben, operiert nicht zirkulär, auch wenn sich dann bei der Prüfung durch kritische Beobachter ergibt, dass die Mathematik engstirnigerweise nur mathematische Sätze enthält und nicht den Sinn des Lebens thematisiert. Will man hier auch kritisieren, dass nicht-mathematische Sätze nicht die entsprechenden „Filter“ „passieren“? Ferner pflegt man in der Mathematik die Technik impliziter Definitionen, in der sich Begriffe wechselseitig definieren. „Zirkularität“ verbürgt also ebenso wenig wie Tautologien sozusagen von vornherein, dass die Ergebnisse „irrelevant“ sind.
In den Naturwissenschaften geht man per definitionem nach bestimmten methodologischen Kriterien vor, ohne sich über eine absolut gesetzte „Relevanz“ auszulassen; diese Begriffe werden offenbar im Text mittels ihrer fluktuierenden Assoziationen funktionalisiert. Diese Absolutheits-Forderung wird im Ausgang von naiven Interpretationen extern unterschoben, um dann das ebenso beliebte wie öde Spiel zu spielen, dass die Naturwissenschaften auf einer „normativen Aussage“ beruhten, die „mit der naturalistischen Methode“ nicht „beweisbar“ wäre. Um Beweise dieser Art geht es nicht, da die Naturwissenschaften dazu viel zu pragmatisch sind. Vor allem sollte man bedenken, dass reale Wissenschaftstheoretiker sich seit geraumer Zeit stark daran orientieren, wie Naturwissenschaftler wirklich arbeiten und denken, statt ihnen von einem erkenntnistheoretischen Standpunkt aus vorschreiben zu wollen, wie sie zu arbeiten haben. Oder sich gar in logisierenden Entlarvungen oder Aburteilungen zu ergehen. Naturwissenschaft ist primär Forschungspraxis.
Da offenbar im Text notorisch und systematisch mit einem Fehlverständnis der Naturwissenschaft operiert wird, ein weiteres Beispiel. Ein Dirigent „beweist“ sich durch das, was er als Orchesterleiter mit seinem Orchester produziert, auch wenn er weder sein Orchester noch sich selbst mit der Musik als für eine absolute Wahrheit „relevant“ „beweisen“ kann. Seine „normative Aussage“ liegt darin, dass er mit seinem Orchester gute Musik produziert und darauf achtet, dass dies weiter möglich ist, nicht aber darin, dass er etwa einem Straßenbautrupp und seinen Presslufthämmern die Existenzberechtigung bestreitet. Andererseits wird er sich dagegen verwahren, wenn dieser während Probe oder Konzert im Saal aktiv werden möchte.

ad Absatz 13:
Erneut wird ein Verwirrspiel mit Begriffen, unterschobenen Behauptungen usw. vorgeführt. Es wird behauptet, „Makroevolution [sei] nicht empirisch nachgewiesen“, sie sei ja eine „Interpretation der Naturgeschichte“. Will man damit auch die Geologie, Kosmologie u.ä. zu Fall bringen? Die Existenz diverser, doch in elementaren Charakteristika verwandter Organismen ist offenbar ein „empirischer Beweis“ für Makroevolution, sofern man Evolution überhaupt akzeptiert. Abgesehen von der problematischen Verwendung des „Beweisens“, um das es in den Naturwissenschaften nicht geht, auch wenn man im Alltag das Wort kolloquial verwendet. Oder sollten die Mechanismen der Makroevolution gemeint gewesen sein?
Da ist in der Tat vieles unklar. Allerdings darf man hier zu Geduld, Sorgfalt und intellektuellem Mut raten. Sehr viele Detailergebnisse liegen bereits vor, die schrittweise integriert werden müssen. Beispielsweise versucht man, mittels Computermodellierung von Populationen von Genomen die Dynamik von Genomänderungen zu verstehen. Die Populationsgenetik arbeitet schon geraume Zeit an solchen Fragen, doch steht zu erwarten, dass die Computer-Kapazitäten der Zukunft ganz neue Möglichkeiten eröffnen werden. Auch andere Disziplinen wie die Systembiologie versuchen, Ordnungsmuster zu extrahieren, die sich in Organismen herausbilden, ohne dass man einen Designer anzunehmen hätte. Mathematische Methoden zeigen ja immer wieder, dass aus ganz unscheinbaren Annahmen sowie unübersichtlichen Datensätzen weitreichende, komplexe Konsequenzen folgen können. Und Information wird insofern während der Evolution indirekt eingespeist, als Organismen mit einer komplexen Umwelt interagieren.
Dass man angesichts der vielen ungelösten Probleme „vorsichtig“ sein muss, impliziert nichts über Erklärungslücken. Vor allem ist „der Zugang zur Naturgeschichte“ kein „hermeneutisch-verstehender“ (wie möglicherweise zur Bibel). Das ist in Anbetracht der auch experimentell ankoppelbaren Daten so absurd, wie beispielsweise die bestens physikalisch fundierten Theorien der Sternentstehung und –entwicklung als hermeneutisches Verstehen bezeichnen zu wollen. An dieser Stelle wird im Text gezielt für den Leser das falsche Pferd gesattelt.
Auch werden „aus der Naturgeschichte“ keine „eindeutigen Prognosen für naturwissenschaftliche Erklärungen“ gewonnen. Welchen Sinn soll dieser Satz haben? „Eindeutige“ „Prognosen“ für „Erklärungen“? Wenn etwas hypothetisch vorausgesagt wird (nicht prognostiziert), dann sind es hypothesenkonforme Beobachtungen, nicht Erklärungen. Und dazu gehört auch in der Evolutionsbiologie der ungeheure Bestand der bioinformatischen Analysen und genetischen Experimente, zunehmend auch Computerexperimente wie in anderen Disziplinen; die Evolutionsbiologie inklusive Makroevolution ist experimentell ankoppelbar, und in ihr werden Hypothesen getestet wie auch in anderen Disziplinen. Der ins 18. Jahrhundert zurückweisende Begriff „Naturgeschichte“ verdeckt den gewaltigen Bestand von wissenschaftlich-mechanistischer Evidenz. Und „Eindeutige Prognosen für naturwissenschaftliche Erklärungen“, falls die „Erklärungen“ „prognostiziert“ werden sollen, hätte vielleicht Leibniz liefern können, der vermittels seiner Einsicht in den Universalzusammenhang der Welt irgendwann analog dem Laplaceschen Dämon hätte wissen können, was man in Zukunft wissen kann. Seine characteristica universalis, in der man übrigens das Bestreben nach einer Einheitswissenschaft sehen kann, deutet ja in diese Richtung.
Weiter wird im Text ausgeführt: Die „eigenen Ansprüche an wissenschaftliche Relevanz [werden] gelockert, ohne damit eine prinzipielle Methodenvielfalt oder zumindest die Möglichkeit alternativer Ansätze einzugestehen – ein höchst unlauteres Vorgehen“. De facto werden damit wieder Ansprüche unterschoben, um dann festzustellen, dass sie realiter von den Naturwissenschaften gar nicht erhoben werden, also vorgeblich „gelockert“ werden, und in der Folge den Naturwissenschaften Inkonsistenz vorzuwerfen. Sollte dieses Verfahren etwa kein „unlauteres Vorgehen“ sein? Und sollte es nicht zutreffen, dass diese Art des Argumentierens sehr weit vom realen naturwissenschaftlichen Denken und Forschen entfernt ist? Die Apologeten „alternativer Ansätze“ der Methodologie haben ja die Freiheit, sich als wissenschaftlich produktiv zu erweisen. Außer Explikationen der immer selben, historisch altehrwürdigen Behauptungen oder unaufhörlichen Re-Interpretationen dessen, was bezeichnenderweise nicht sie selbst, sondern Naturwissenschaftler fanden (und zwar mit naturwissenschaftlichen Methoden), ist allerdings bislang nichts bekannt geworden.  
Ferner heißt es im Text: „Wenn Evolution das heuristische Grundkonzept ist und Empirismus die Methode, fällt es schwer, Fossilienfunde, die für Evolution sprechen, anders zu interpretieren.“ In der Tat, das fällt schwer. Welche Alternativen der Interpretation wären hier vorzuschlagen? Daran schließt sich das übliche Zirkularitätsargument an, dass sich „Aussagen, die aus dem Beobachtungssatz abgeleitet werden und der Beobachtungssatz selber, einander wechselseitig bedingen“. Dies ist falsch, denn die Beobachtung des Fossils bleibt unabhängig davon bestehen, ob man Evolution annimmt oder nicht. Wohl aber kann man sie mit vielen anderen, beispielsweise stratigraphischen oder systematischen, Befunden zu einem konsistenten Gesamtbild innerhalb eines bestimmten Kontextes zusammenfügen. Diese Form des wechselseitigen Bezuges und einer möglichen Reduktion der Komplexität des Beobachtungsmaterials durch unterliegende, eine Gemeinsamkeit herstellende Mechanismen ist ein Signum aller nichttrivialen Theorien in der Naturwissenschaft.
Nähme man etwa einen Schöpfer ohne weitere Spezifikation an, stünde alles unverbunden nebeneinander, denn das Ergebnis des Diktums des Schöpfers ist von Kontingenz nicht zu unterscheiden. Warum in jedem Einzelfall so und nicht anders? Wollte man dann eine Systematik der Organismen einführen, hätte man einen geordneten Katalog, aber die Frage nach dem Wie bedürfte immer noch eines „Prinzips“; die schiere Willkür in jedem Einzelfall bliebe bestehen. Würde man Voraussagen treffen, indem man extrapoliert, dass zu Organismen dieser und jener Konstruktionsart dann wohl auch noch unbekannte einer anderen Art gehören, und diese dann tatsächlich etwa als Fossilien finden, hätte man die Arbeitsmethode des Schöpfers teilweise durchschaut. Verfolgt man dieses Prinzip weiter, ist der Schöpfer als Annahme überflüssig.
Die Ausführungen des Textes bewegen sich offenbar in ihrem eigenen Käfig und verraten – wie bereits bemerkt – ein fundamentales Unverständnis für die Denk- und Arbeitsweise von Naturwissenschaftlern, inklusive der Charakteristika von Theoriebildung, die in ungezählten Büchern zur Wissenschaftstheorie expliziert sind. Rudolf Carnap etwa hat sein Konzept einer rein phänomenalistisch-empirisch-logischen Konstruktion auf der Basis einer einzigen Relation, etwa in „Der logische Aufbau der Welt“, bald verlassen und explizit Systeme mit theoretischen Termen und Beobachtungstermen eingeführt. Auf dieses Bemühen geht auch der längst für unhaltbar erachtete Ansatz der „Signifikanz“ zurück. Später hat er sich mehr mit der Logik der Bestätigung im Sinne induktiver Wahrscheinlichkeit auseinandergesetzt (u. a. zusammen mit Wolfgang Stegmüller) usw. Viele Wissenschaftstheoretiker haben diese Denkansätze aufgegriffen oder ihre eigenen Alternativen entwickelt. Es kommt nicht von ungefähr, dass im Literaturverzeichnis Carnaps Werke aus den 1930er Jahren stehen, also aus der Anfangszeit der modernen, systematischen Wissenschaftstheorie. Im Übrigen vertrat gerade Rudolf Carnap die letzten 20 Jahre seines Lebens das Prinzip der Methodenliberalität, indem er meinte, es gebe kein einheitliches Begriffssystem, das für alle Wissenschaften Gültigkeit habe. Logisch konsistent und präzise musste die betreffende Wissenschaftssprache aber schon sein. Nur eine Uninformiertheit auch unter denen, die sich für philosophisch gebildet halten, assoziiert seinen Namen primär und zeigefingerhaft mit dem Begriff „Einheitswissenschaft“.  
Rudolf Carnap, eine bemerkenswerte Persönlichkeit, ist übrigens ein Beispiel dafür, dass jemand, der von Ideologen jeder Couleur als „logischer Positivist“ geistig beschränkter Art verschrien wurde, sich im Leben moralisch (mutig und konsequent) verhalten kann, ohne der Metaphysik zu bedürfen. Es waren die unmetaphysischen Mitglieder des Wiener Kreises und ihre Berliner Pendants, die seinerzeit praktisch allesamt emigrierten, wenn sie nicht ums Leben gebracht wurden (ganz unabhängig davon, ob sie zugleich als Juden verfolgt wurden, wie es bei einigen von ihnen, aber keineswegs allen der Fall war). Und es waren viele, ja die meisten der metaphysischen Seinsgrund- und Totalitätssucher, die sich damals gut in die politisch-ideologischen Verhältnisse einfanden und durch Mitmachen ihr Scherflein beitrugen. Dies zum Verhältnis von Wissenschaft und Moral.

ad Absatz 14:
Hier zeigt sich die ganze Abwegigkeit der Argumentation des Textes, der sich bezeichnenderweise weder auf ausgewiesene Wissenschaftstheoretiker noch auf maßgebliche Evolutionsbiologen beruft. Sie läuft darauf hinaus, effektiv die Bildung kohärenter Theorien durch Wissenschaftler zu diskreditieren, indem beispielsweise „missing links“ als „logisch erschlossene Schreibtischarten“ deklariert werden, vermutlich zu dem Zweck, dass der vorgebliche reine Konstruktstatus dieser links (ungeachtet ihres empirischen Bezugs, ja Aufweises) als nicht gut begründet oder Willkür gilt und Raum für supranaturales Eingreifen freigibt. Naturwissenschaft besteht in der Konstruktion möglichst kohärenter Gedankengebäude, die in möglichst enger Weise an Erfahrung gekoppelt sind. Diese Gedankengebäude enthalten immer begriffliche Konstrukte, um die Verbindung zwischen Beobachtungen im Sinne einer Erklärung (statt Auflistung) leisten zu können. Ferner sind das Gedankengebäude und das Ensemble von Erfahrungssätzen nicht äquivalent.
In dieser Nichtäquivalenz äußert sich im Übrigen die Kreativität von Wissenschaftlern, und genau da fließen auch Ideen aus anderen Wissenschaften, dem Alltagsleben, der Gesellschaft ein, ohne dass deshalb die Theorie inadäquat sein müsste. Das argumentative Vorgehen im Text lässt den Scholastiker und korrespondierend dazu Ultra-Empiriker vermuten. Theorien werden demzufolge anhand nicht-empirischer Vorgaben logisch-begrifflich-metaphysisch konstituiert, während die Erfahrung allein als unmittelbare Sinnlichkeit akzeptabel ist, um dann den Theorien durch geeignete Interpretation ad libitum dienstbar gemacht zu werden. Das ist die Position der mittelalterlichen Wissenschaft. Deren Schicksal angesichts der modernen Naturwissenschaft ist aber bekannt und nicht rückgängig zu machen.
Die moderne Wissenschaft bezieht bekanntlich ihre Erklärungsmacht sogar ganz wesentlich aus internen Konstrukten, die den inneren Zusammenhang vermitteln. Sie werden in enger Verbindung zur Erfahrung derart entwickelt, dass formal möglichst sparsame (parsimonious) und zugleich umfassende Erklärungen möglich werden. Dazu gehört auch das, was hier polemisch als „Schreibtischart“ bezeichnet wird, von der Problematik des Artbegriffs im Verständnis der Evolution ganz abgesehen. Indem man derartige Konstrukte (denen ja im Fall der „Schreibtischart“ sogar real auffindbare Objekte entsprechen) attackiert, kann man die gesamte moderne Wissenschaft zu Fall bringen.
Dies sei der Klarheit halber an der modernen Physik aufgezeigt, die man so auf das Niveau der aristotelisch-scholastischen Physik zurückbringt. Quarks als Konstituenten von Hadronen (Teilchen, die der starken Wechselwirkung unterliegen, d. h. Baryonen und Mesonen) beispielsweise können nur indirekt erschlossen werden. Sie können aufgrund des sog. Confinement niemals frei beobachtet werden. Dies geht auf die mit der Distanz ansteigende statt abnehmende potentielle Energie der starken Wechselwirkung (als Residuum der Farbkraft) zurück, im Gegensatz zu Konstituenten, die nur der elektromagnetischen oder schwachen Wechselwirkung unterliegen. Von der Sinnlichkeit bei etliche Kilometer großen Beschleunigern, haushohen Detektoren und Datenextraktion durch Supercomputer einmal ganz abgesehen. Damit ist aber die Elementarteilchenphysik, an der Tausende hochkarätiger Wissenschaftler arbeiten, als haltlos entlarvt, denn das Standardmodell der Elementarteilchenphysik, für dessen Entwicklung und Bestätigung etliche Nobelpreise vergeben wurden, enthält die gemäß der Theorie selbst nicht direkt beobachtbaren und dennoch als real angenommenen Quarks auf buchstäblich elementare Weise. Mögliche Erweiterungen, etwa die Superstringtheorie, in der sowohl Bosonen als auch Fermionen (und also auch Quarks) auf supersymmetrische Weise aus Modellen abzuleiten sind, die im Extremfall nur einen einzigen freien Parameter (etwa die string tension) enthalten, sind noch viel abstrakter als das Standardmodell. Auch haben Strings so winzige Abmessungen, dass die Energien, die zu ihrer „direkten“ Detektion erforderlich wären, um sehr viele Größenordnungen höher sind als alles, was man sinnvollerweise als in Zukunft technisch realisierbar betrachten kann. Es wäre sicher interessant, hier metaphysisch-wissenschaftstheoretisch begründete, an die experimentelle Praxis qualitativ und quantitativ koppelbare Alternativen zu erfahren, die auf sog. Schreibtischkonstrukte verzichten können.
Keineswegs verhält es sich so, dass diese Art der Kritik auf die Evolution oder die Makroevolution oder gar die Entstehung des Menschen (Humanisation) beschränkt werden kann. Abgesehen davon, dass der Gebrauch des Wortes „Humanisation“ in der Wissenschaft alleine die natürlichen Vorgänge der Evolution beschreibt (so wie man in der Zellbiologie von „humanen Zellen“ spricht), die Konnotationen des Ethischen aber ausgeschlossen werden. An dem obigen Beispiel manifestiert sich, dass Evolutionskritikern aller Art häufig der grundlagenwissenschaftliche und logisch-mathematische Horizont abgeht, der ihnen verdeutlichen könnte, dass sich ihre spezifische, oft „wissenschaftstheoretisch“ gewandete Kritik an der Evolutionstheorie bzw. „Humanisation“ ihrem Ansatz nach gegen die gesamte neuzeitliche Naturwissenschaft wendet. Kein Wunder, wenn oft Verbindungen etwa zu Esoterik und Parapsychologie bestehen, von der Religion als motivierendem Faktor ganz abgesehen. In dieser Hinsicht wenigstens ist der Text konsequent, wenn die moderne Naturwissenschaft per Identifikation mit einem jeweils ad hoc interpretierten „Naturalismus“ grundsätzlich attackiert wird und so auch „die Naturgeschichte“ auf die „verstehende Hermeneutik“ zurückgebracht werden soll, die man u. a. auch Gute-Nacht-Geschichten angedeihen lassen kann.

Die Fortsetzung dieses Diskussionsbeitrages folgt in einem separaten Leserbrief.


Rudolf A. Jörres und Thomas Waschke schrieb uns am 23.02.2009
Thema: Josef Bordat: Makroevolution und Humanisation

Fortsetzung des Diskussionsbeitrages

ad Absatz 15:
Die „Theoriebeladenheit der Fakten“ verführt offenbar zur Reiteration des Vorwurfs des „Selbstwiderspruchs“. „Der Naturalismus“, sofern damit die Naturwissenschaft gemeint ist, entgeht diesem Zirkel durch die Möglichkeit der Korrektur von Begriffen, ja sogar von Daten, wenn diese sich als inkorrekt interpretiert herausstellen. Die Naturwissenschaft ist daher nicht – wie wohl gewünscht – „Opfer des methodischen Monopolismus, den [sie] selbst proklamiert.“ Gemessen an einem Absolutheits- und Totalitätsanspruch von Erkenntnis, wie ihn die Leibniz-Zitate verraten, wäre sie in der Tat „Opfer“. Was hier moniert wird, ist Ausdruck einer Selbstbeschränkung, in der gerade die Stärke liegt. Effektiv wird im Text ein unberechtigter Totalitätsanspruch unterschoben, um dann den Supranaturalismus, der die Berechtigung verschaffen könnte, als Retter in der Not anzubieten. Es dürfte aber ziemlich klar sein, wohin die so gebotene Hand führt.
Zum Vergleich: Worin besteht denn die Korrekturmöglichkeit einer „wissenschaftlichen Metaphysik“? Oder bedarf sie keiner Korrekturen, da sie ohnedies ein für allemal wahr ist? Wie kommt es aber dann, dass so viele konkurrierende Systeme existiert haben und existieren? Wenn die alle gleich wahr sind, muss man angesichts der massiven Widersprüche zwischen ihnen fragen, welchen Sinn dann ihre Thesen noch haben können. Und beispielsweise der strikte Materialismus als Weltanschauung, der im Text als Metaphysik identifiziert wird, darf dann doch auch mitreden. Oder etwa nicht, weil er als „schlechte“ Metaphysik eingestuft würde, wenngleich nicht von seinen Anhängern? Wenn einige der Metaphysik-Systeme Priorität beanspruchen, oder gar ein einziges, muss man fragen, wie sich dieser Anspruch begründet. Erst recht dann, wenn die Inhalte dieser „wissenschaftlichen Metaphysik“ für die Lebenspraxis, für die Organisation des Zusammenlebens usw. verbindlich sein sollen. Bleiben dann nicht (kindliche) Indoktrination oder Gewalt in ihren verschiedenen Ausprägungen als primäre Auswege? Spricht dies nicht dafür, dass die „wissenschaftliche Metaphysik“ in ein System noch größeren Zwangs führen kann, als es die striktesten Dawkins-Anhänger herstellen könnten? Außer in einer von vornherein, beispielsweise durch Religion, homogenisierten Gesellschaft. In der wäre aber für Freiheit und Gedankenfreiheit schwerlich noch Platz. Denn wie könnte der, welcher die absolute Wahrheit kennt, zum tiefsten Seinsgrund nachhaltigen Kontakt hat, eine klare Antwort auf die Ursprungsfrage weiß usw., einfach nachgeben gegenüber anderen, die das seiner Meinung nach nicht wissen und unvernünftig oder verstockt sind?

ad Absatz 16:
Der „naturwissenschaftliche Deutungsraum“, dessen „Weiterung“ im Sinne der Ablehnung von Finalität in der Natur beklagt wird, lässt „letztlich jedes Gottesbild nicht nur unnötig, sondern auch unsinnig [erscheinen]“. Als Kronzeuge muss Richard Dawkins einstehen, der nach Aussage von Owen Gingerich „ungehemmt für den Atheismus [wirbt]“ und dabei „sein Ansehen als wissenschaftlicher Wortführer“ nutzt. Dass hier seitens Dawkins oder seiner Interpreten immer wieder Grenzen überschritten werden, ist völlig klar, und es gibt genügend Naturwissenschaftler, die ihm und seinen Interpreten nicht in ihren radikalen Schlüssen folgen. Andererseits stimmt das „ungehemmt“ nicht, denn es gibt eine breit organisierte Publicity gegen Dawkins (eine andere Form der Hemmung ist ja wohl nicht gemeint).
Der entscheidende Punkt ist aber, dass dies nicht die Naturwissenschaft als solche trifft und erst recht nicht eine supranaturalistische Erweiterung begründet. Oder sollen Fehlgriffe von Kirchenführern begründen, dass in Zukunft die Religion naturwissenschaftlich-empirisch kontrolliert wird? Übrigens kann man es auch so sehen, dass Owen Gingerich sein Ansehen als Wissenschaftler zu nutzen versucht, um einer Religions-Ideologie ein pseudowissenschaftliches Fundament zu verschaffen.
ad Absatz 17:
Das Konzept des naturalistischen Fehlschlusses wurde von George Edward Moore um 1900 entwickelt. Die im Text reichhaltig zitierten Ausführungen von Eberhard Schockenhoff gehen am Problem vorbei, um das es hier geht. Sie fokussieren auf einen ad hoc herbeikonstruierten, radikalisierten, exklusiven Begriff von ontologischem Naturalismus, den so möglicherweise nicht einmal Richard Dawkins vertritt. Die Ablehnung des naturalistischen Fehlschlusses beinhaltet nicht mehr als die Weigerung, vom „Sein“ auf das „Sollen“ zu schließen. Hierbei ist das „Sein“ empirisch gefasst und umfasst auch die Wissenschaft. Anders als der Text behauptet, muss selbst ein ontologischer Naturalismus offenbar den Begriff des „Sinns“ nicht notwendigerweise ablehnen. Ausführungen wie die zu „Seiendem“ als „Träger von Bedeutungen“, „bloßen Entitäten ohne objektiven Sinngehalt“ usw. sind irreführend, schiere semantische Zweckkonstrukte. Man entgeht dem naturalistischen Fehlschluss auch nicht durch den Trick, das Sollen gleich vorab in eine erweiterte Definition des Seins hineinzunehmen und somit den Schluss gerechtfertigt, ja trivialerweise logisch wahr erscheinen zu lassen.
Andererseits kann man sehr wohl „humane Güter und moralische Werte als Bestandteile unserer Welt“ auffassen und „somit als etwas Reales“, ohne allerdings ihre Art der Realität mit der empirischen auf eine Stufe zu stellen; und dieses Unterscheiden wiederum impliziert keine Wertung. „Aussagen über erstrebenswerte Güter und Ziele“ „erfordern“ auch kein „metaphysisches Verständnis der Welt“, jedenfalls keines, das in irgendeiner Weise mit dem Gebiet der Naturwissenschaften zusammenhängen müsste. Und wer entscheidet über die korrekte metaphysische Erweiterung, wenn andere Personen, beispielsweise tätige Naturwissenschaftler, die vielleicht darüber hinaus philosophisch gebildet sind, den Sinn dieser Erweiterung nicht erkennen können und sie im Gegenteil für zerstörerisch halten?

ad Absatz 18:
Nach gängiger Auffassung gibt sich die Naturwissenschaft nicht als Sinnstifterin des Lebens. Naturwissenschaftler sind nicht nur methodologische Naturalisten. Sie sind in der Forschungspraxis in der Regel auch sozusagen pragmatische ontologische Naturalisten, da sie sich ja nicht jede Minute während ihrer Tätigkeit sagen können, dass die Wirklichkeit geheimnisvoll ist und sie nur über eine bestimmte, wenngleich offenbar ganz gute Methode verfügen. Man muss als Wissenschafter sozusagen forschungspsychologisch im Hintergrund annehmen, dass das, was man unternimmt, auch tatsächlich die Realität einigermaßen erfasst. In ähnlicher Weise sind übrigens wissenschaftlich tätige Mathematiker oft pragmatische Platoniker, ohne deshalb im Alltagsleben notwendigerweise der Seinslehre Platons anzuhängen. Der Text lässt auch hier keine Nähe zur realen wissenschaftlichen Tätigkeit erkennen, statt dessen den Blick aus einer wissenschaftsfernen Absolutheits- und Dogmenperspektive.
„Die Ursprungsfrage, die Frage, ob unsere Welt Zufall oder Sinn durchwaltet, ob es einen Schöpfer gibt, diese Frage gehört zweifelsohne in den Bereich der ‚praktischen Lebensorientierung’“. Sehr richtig; allerdings besteht nicht einmal dort ein Zwang, sie für beantwortbar zu halten. Sie gehört aber sicher nicht in den Bereich der Naturwissenschaft, und daher sollte auch diese nicht metaphysisch durch alternative Erklärungen erweitert werden. Der Nachsatz: „in dem sich der Naturalismus zu Unrecht als alternativlos darstellt“ ist eine Unterschiebung. Welcher Naturalismus, der jeweils ad hoc definierte, weltanschauliche, möglichst ausgreifende? Oder „die Naturwissenschaft“ in gängiger Auffassung und Praxis? Das wäre glatt falsch. Es ist billig und überflüssig, gegen „den Naturalismus“ als Weltanschauung mit Totalitätsanspruch zu argumentieren, und es ist eine Irreführung, damit die Naturwissenschaften zu meinen. Im Text wird unaufhörlich und beinahe systematisch mit der Mehrdeutigkeit von Worten operiert, ein Vexierspiel der Begriffe, die stets so hin- und hergeschoben werden, wie es gerade passt. Wissenschaft und Wissenschaftstheorie, so viel sei bemerkt, leben aber gerade von Präzision.

ad Absatz 19 und 20:
Die Ausführungen von Owen Gingerich, auf die sich der Text stützt, stellen selber „Ideologie“ dar, und zwar aus Religionsperspektive in die Wissenschaft hineingetragen. Die Naturwissenschaften räsonieren nämlich nicht über das „Schaffen“ oder das „Geschaffene“. Die „Dichotomie von Schaffen und Entwickeln“ ist irrelevant, sie gehört in den Formenkreis der aristotelischen Philosophie, ihrer mittelalterlichen Explizierer oder Umformer, oder der romantischen Naturphilosophie. Natura naturata, natura naturans etc. Dass „das Geschaffene [..] so geschaffen sein [könne], dass es sich erst durch seine Entwicklung zum eigentlichen Zweck entfaltet“ – nun, das kann man glauben, aber die Essenz der modernen Naturwissenschaft ist gerade das Absehen von Teleologie. Kann alles sein oder auch nicht, ist aber nicht entscheidbar innerhalb der Wissenschaft. Und steht ihrem Forschungsansatz grundsätzlich im Weg; selbst wenn man einen „Zweck“ finden könnte, würde man fragen, woher denn der „Zweck“ kommt, und nicht bei der im Rahmen des methodischen Anspruchs eher schlichten, terminierenden Antwort „Gott“ stehen bleiben. Wenn es bei Owen Gingerich heißt „Evolution als eine materialistische Philosophie ist Ideologie, und sie als solche darzustellen erhebt sie in den Rang einer Zielursache“, dann scheint da einiges durcheinanderzugehen.
Evolution wird ganz und gar „materialistisch“ von der Naturwissenschaft beschrieben, sonst wäre sie keine Naturwissenschaft; diesem Bemühen liegen die Annahme und der methodologische Ansatz zugrunde, eine zur Erklärung mechanistisch hinreichende – und in diesem Sinne vollständige – Beschreibung allein mithilfe natürlicher Faktoren leisten zu können. Ist das aber schon eine „materialistische Philosophie“ (wieder eine der Kampfvokabeln)? Das Argument der Zielursache ist abwegig, denn ein wie auch immer aufgefasster Materialismus kann komplett ohne derartige Ursachen auskommen. Hier wird offenbar aus dem eigenen Denken, das sich von aristotelisch verbrämter Teleologie nicht zu lösen weiß, auf andere Erklärungsansätze geschlossen. Entweder Telos (gar von außen aufgeprägt) oder reiner Zufall, diese Dichotomie muss man keineswegs akzeptieren, nicht nur aus philosophischen Gründen, sondern auch aufgrund lebensweltlicher Erfahrung, die oft genug bei sorgfältigem, kritischem Hinsehen eine derartige Entgegensetzung als unzureichend erweist. Wenn es ferner heißt, „Evolutionisten (!), die die kosmische Teleologie ablehnen, auf ein kosmisches Roulette vertrauen und für die Zweckfreiheit des Universums eintreten, äußern keine wissenschaftlich fundierten Tatsachen; sie vertreten ihre persönliche metaphysische Meinung“, dann fragt man sich, was auf ein solches Konglomerat unklaren, unsauberen Denkens zu antworten ist. Hier werden irreführende Alternativen aufgespannt usw., die dann zum gewünschten Ergebnis führen.
Naturwissenschaft beinhaltet gerade die Ablehnung von Teleologie inklusive „kosmischer Teleologie“, das sollte auch Owen Gingerich wissen. Ein Wissenschaftler, der Teleologie aus dem wissenschaftlichen Diskurs zurückweist, verhält sich somit völlig korrekt. Deshalb muss man aber noch nicht auf „ein kosmisches Roulette vertrauen“, denn man könnte ja auf der Basis der Physik usw. der Meinung sein, dass inhärente Faktoren der Materie ein hohes Organisationspotential nach sich ziehen, derart, dass der Zufall stärker direktional ist als ein reiner Zufall wäre usw. Ganz abgesehen von anderen Möglichkeiten wie einem Multiversum mit außerordentlich vielen oder gar unendlich vielen Realisationen, in denen jedes beliebig unwahrscheinliche Ereignis beliebig oft auftritt. Das alles hat wiederum nichts damit zu tun, ob man „für die Zweckfreiheit des Universums“ als positive Behauptung eintritt. Diese Frage stellt sich in der Wissenschaft nicht. In summa: Die im Text zitierte Assoziationskette ist eine systematische Irreführung des Lesers mit dem offenkundigen Zweck, die Teleologie als unausweichlich darzustellen.
Der Vorwurf, es handle sich um eine „Meinung [..], die außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses steht“ fällt daher in vollem Umfang auf Owen Gingerich zurück, dies um so mehr, als von seiner Seite offenbar nicht einmal die elementaren Regeln dieses Diskurses eingehalten werden, als da sind intellektuelle Sorgfalt, Streben nach begrifflicher Präzision, Berücksichtigung semantischer Unterschiede, Vollständigkeit der Disjunktionen usw. Leider bemüht sich der Text in mehr als zuträglichem Maße, solchen Beispielen zu folgen.

ad Absatz 21:
Der Schluss „Die Frage nach der Schöpfung bleibt wissenschaftstheoretisch betrachtet berechtigterweise offen“ erscheint als reines Wunschdenken. Welche ernstzunehmende, an die tatsächliche Forschungspraxis konkret ankoppelbare Wissenschaftstheorie handelt von „Schöpfung“? Außer einer nach Belieben erweiterten, etwa nach der Art von Leibniz, oder nach Art der romantischen Naturphilosophen. Die konventionelle Wissenschaftstheorie kann ja die Frage nicht einmal methodologisch konsistent formulieren, ihr also auch keine „Berechtigung“ verschaffen. Die „Berechtigung“ kommt ihr rein lebensweltlich, außerwissenschaftlich zu, oder sie wird per metaphysisch erweiterter Theorie erschlichen. Welche Art von „Grenzen des Evolutionsparadigmas“ ist gemeint? Wissenschaftliche, außerwissenschaftliche, oder das Fluktuieren entlang semantischer Unschärfen? Welcher „Evolutionstheoretiker“ glaubt, „jenseits der Formulierung von Hypothesen als Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung des Lebens letztgültig (!) Auskunft über dessen Entstehung geben zu können“?
Es wird dekretiert: „Wissenschaft [...] darf nicht ins Gewand des Szientismus gekleidet werden, wenn sie weltanschaulich soweit neutral bleiben soll, wie es ihr gebührt.“ Das ist einerseits absolut banal, andererseits dient es offenbar als Einfallspforte des Supranaturalismus. Offen bleibt nämlich, was hier unter Szientismus zu verstehen ist. Die bloße Adhärenz zur naturwissenschaftlichen Methode als solidem, rationalen, empirisch basierten Zugang zur physischen Welt (das verstehen viele bereits unter „Szientismus“ im Gegensatz zu den Parawissenschaften)? Oder wieder eine unter der Hand vorgenommene Erweiterung (sozusagen der Kampfvokabel-Sinn)? Derart, dass man so tut, als nähme man der Wissenschaft das unberechtigt getragene Gewand weg, reißt aber Haut und Gliedmaßen gleich mit ab, um dem Torso die heilende Metaphysik anzubieten? Und offen bleibt, worin weltanschauliche Neutralität besteht, wenn „Naturalismus“ im Allgemeinen, d. h. auch die Basis der Naturwissenschaft, als eine Art von Blindheit, als in sich kreisende Weltanschauung dargestellt wird; so etwas wird ja kaum als weltanschaulich „neutral“ gelten können. Oder sollte Neutralität den Status der Beliebigkeit im „Diskurs“ bedeuten, der eine ebenso beliebige Okkupation und Lenkung erlaubt? Wer entscheidet, was der „Wissenschaft“ an „Neutralität“ „gebührt“, was auch immer mit „gebührt“ gemeint sein mag? Soweit den semantischen Mehrdeutigkeiten entnehmbar, versuchen die Ausführungen des Textes doch gerade, ganz unneutral nachzuweisen, dass sie der metaphysischen Erweiterung bedürfe, um vollständig zu sein und einem unterschobenen Wahrheitsanspruch zu genügen. Leibniz etwa dürfte kaum „weltanschaulich neutral“ sein. In der Ablehnung von Teleologie, Finalität usw. ist die neuzeitliche Naturwissenschaft bereits seit ihrer Geburtswiege „neutral“. Sie bedarf weder der Einhegung ins Diskursgärtchen noch der Belehrung durch ihr fernstehende Metaphysiker. Und soll man annehmen, dass die Kosmologie das nächste Ziel ist, wie die Ausführungen andeuten, dass die sog. „Debatte um die Evolution“ nur „ein exponiertes Beispiel“ sei? Dies allerdings könnte sich als eine intellektuell ungleich größere Herausforderung herausstellen, da die Evolutionsbiologie ja immerhin – doch eher wohl unberechtigterweise – den Anschein der leichten Fasslichkeit besitzt.

Soweit die Abhandlung für uns erschließbar war, dürfen wir aus unserer Sicht zusammenfassen
(1) Der Text benutzt inadäquate Bilder der Naturwissenschaft, insbesondere auch der Evolutionsbiologie, und signalisiert unzureichende Erfahrungen oder Kenntnisse bezüglich der tatsächlichen Tätigkeit von Naturwissenschaftlern. Dies gilt auch für das Gebiet der Wissenschaftstheorie und ihrer Entwicklung in den letzten 50 Jahren.
(2) Publikumswirksame Autoren wie Richard Dawkins und sein Gefolge werden benutzt, um die Naturwissenschaft im Ganzen zu diskreditieren. Dies wird unterstützt durch einen multisemantischen Gebrauch des Wortes „Naturalismus“, durch Unterschiebungen und eine assoziative, unscharfe Argumentation.
(3) Die Naturwissenschaft darf gewissermaßen mit Akzeptanz rechnen, wenn sie ihre Grenzen als in sich kreisende „Diskursregel“ anerkennt. Dies allerdings stellt sie effektiv auf eine Stufe mit anderen in sich kreisenden Ansätzen wie Esoterik usw., ganz abgesehen von der genuinen Überlegenheit einer sich autonom begründenden Metaphysik und Religion.
(4) Alternativ wird der Naturwissenschaft eine in den Seinsgrund des Daß und transzendente Korrespondenzen führende Vervollständigung durch Metaphysik angeboten, welche vermutlich in fest schließende Arme führt. Allerdings werden die konkreten Umrisse dieser Erweiterung und ihre Implikationen für die reale Forschung im Unklaren gelassen.

Vielleicht ist verständlich, dass sich die weitaus meisten Naturwissenschaftler, so auch die in Philosophie und Wissenschaftstheorie beschlagenen, eine klare und eindeutige Antwort gegenüber derartigen Auffassungen erlauben werden.  

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf A. Jörres
Thomas Waschke


Benno Kirsch schrieb uns am 26.02.2009
Thema: Josef Bordat: Makroevolution und Humanisation

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe die Rezension von Josef Bordat zur Kenntnis genommen wie den Umstand, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht: Sie war für mich völlig normal, alltäglich und überraschungsfrei. Ich kenne es von ihm nicht anders, dass er seinen eigenen Standpunkt vertritt und trotzdem fair bleibt, seine Gedanken gut lesbar formuliert und seinem Publikum viele Anregungen mit auf den Weg gibt. Um so bemerkenswerter fand ich die Reaktion des Duos Jörres/Waschke: Sie fühlten sich bemüßigt, ihre Anmerkungen zu der Rezension auf siebzehn Seiten auszubreiten. Siebzehn! Für ihre Bemerkungen zu Bordats Rezension des Bauer-Buchs haben sie gerade einmal fünf Seiten gebraucht. Sie steigern sich also.

Zu fragen, was Jörres/Waschke antreibt und was sie mit ihrer ungewöhnlichen Vorgehensweise bezwecken, scheint mir legitim und notwendig. Es ist schon eigenartig genug, dass sie Rezensionen rezensieren, aber dann kommt im vorliegenden Fall noch die jedes Maß sprengende Länge hinzu. Bereits mein Artikel „Der McCarthy aus Kassel“ in der Wochenzeitung „Freitag“ drängte Jörres dazu, einen fünfseitigen Leserbrief zu schreiben. Dass er darin auf meine Argumentation mit keinem Wort eingeht, sei nur am Rande erwähnt. Diese Reaktionen sind ein Indiz dafür, dass die Infragestellung der Theorie der Makroevolution einen wunden Punkt trifft. Denn auch wenn sich Jörres und Waschke kontrolliert geben, ihre Worte sorgfältig wählen und Polemik zu vermeiden suchen, was ihnen nicht immer gelingt, so merkt man den oberlehrerhaften Texten doch an: Sie kochen vor Wut.

Die Kritik der beiden an Bordats Rezension ist für mich nicht nachvollziehbar. Bei der Lektüre hatte ich zuweilen den Eindruck, dass sie einen anderen Text gelesen haben als ich. Sie unterstellen Bordat, dass er von Wissenschaftstheorie und der Praxis wissenschaftlichen Arbeitens keine Ahnung hätte und dass seine Argumentation abwegig wäre. Es ist ärgerlich, dass man gezwungen ist, auf so dumme Vorwürfe überhaupt einzugehen. Aber man darf sie nicht im Raume stehen lassen, denn sie sind falsch. Lediglich in einem Punkt haben Jörres/Waschke recht: Bordat begründet nicht ausreichend, warum er Leibnitz in seine Rezension einführt; der hat da wirklich nichts verloren. Aber das ist auch schon alles.

Der Rest von dem, was Jörres/Waschke noch so von sich geben, ist nach meiner Meinung keiner weiteren Beachtung wert. Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht alles gelesen habe – so viel Zeit habe ich einfach nicht. Und außerdem habe ich keine Lust, mich länger als nötig dieser abstoßenden, bürokratischen Absatz-für-Absatz-Kritik zu widmen. Was soll dieser Unfug? Was sie sagen, mag in sich schlüssig sein, doch bereits die allen Ausführungen zugrunde liegende Annahme entwertet sie: Jörres/Waschke beschreiben „Wissenschaft“ als ein System, das zu anderen Systemen in keinerlei Beziehung steht. Als brächten die beiden nicht selbst eine Fülle von nicht weiter belegbaren Annahmen in ihre Arbeit ein. Als würden sie ihre Persönlichkeit beim Eintritt in das Labor ablegen wie ihre Mäntel. Als würde sich Forschung im luftleeren Raum abspielen, unbeeinflusst von parteipolitischen, bürokratischen, Standes- und persönlichen Interessen. Das ist eine höchst lächerliche, grundnaive Sicht auf Wissenschaft, Forschung und den Wissenschaftsbetrieb. Und das ist noch mehr: pure Ideologie!

Jörres/Waschke gerieren sich als kleine Götter, die menschliche Gestalt annehmen und sich in die Niederungen der Politik oder Gesellschaft – oder wie immer sie das nennen mögen – herablassen. Sie glauben, auch wenn sie immer wieder ihr Sprüchlein von der Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen Erkenntnis auf den Lippen führen, Wahrheiten gepachtet zu haben. Sie stellen mithin Dogmen auf. Wer wie Bordat an diesen Dogmen auch nur im Entferntesten zu zweifeln wagt, der wird abgestraft. Zunächst „nur“ mit einer Kritik, aber was für einer! Für mich ist das eine Form von Gewalt.

Man kann für Bordat nur hoffen, dass er nicht von Jörres, Waschke und ihresgleichen abhängig ist: Die Vermutung dürfte nicht allzu fern liegen, dass sie, wenn sie es könnten, versuchen würden, seine Karriere zu behindern, weil er diesen – und nicht nur diesen! – „nicht ganz unproblematischen Aufsatz“ – eine Kritik am herrschenden Paradigma der Evolutionstheorie bezüglich der Entstehung des Menschen – geschrieben hat. Wenn es tatsächlich irgendwann zu Störmanövern kommen sollte, würden sie selbstverständlich im Namen der Wissenschaft erfolgen ... Vielleicht bin ich zu pessimistisch, vielleicht wollen Jörres und Waschke ja nur diskutieren. Doch am Beispiel des Mobbings von Wolf-Ekkehart Lönnig kann man sehen, wie schnell und leicht die Grenze zwischen bloß verbaler Kritik und dem Versuch, jemanden mundtot zu machen und seiner Ressourcen zu berauben, überschritten werden kann. Den letzten Satz des Jörres/Waschkeschen Sermons verstehe ich als Drohung, die in diese Richtung zielt.

Ich wünsche Bordat, dass er sich von diesen Umständen nicht beeindrucken lässt. Jörres’ und Waschkes Reaktion auf die in der Sache gut begründeten Ansichten Bordats darf man getrost als ein Zeichen für Unsicherheit werten: Sie ahnen, dass ihnen die Felle davon schwimmen. Deshalb mein Ruf an den Rezensenten: Weiter so!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Benno Kirsch