Leserbriefe zur Rezension

Lesen lernen

Mortimer J. Adlers und Charles van Dorens Beantwortung der Frage: „Wie man ein Buch liest“

Von Monika Grosche


Ingeborg Gollwitzer schrieb uns am 23.02.2010
Thema: Monika Grosche: Lesen lernen

Tja, bei allem Respekt vor diesem Buch - ich kannte bereits die amerikanische Originalausgabe - gibt es eine nicht zu vernachlässigende Komplikation:
Selbst der eifrigste, bemühteste und fleißigste (erwachsene) Leser schafft maximal jährlich etwa 300 Bücher!
1.) Wie lange muss mal also wohl das Empfehlenswerte gelesen haben, bis man sich neueren Büchern widmen kann?
2.) Sehr oft fangen "die Lesenden" erst relativ spät mit dem Lesen überhaupt an; es fehlt ihnen die nicht zu vernachlässigende Lesetechnik, zu der man es erst einmal bringen muss.
3.) Als das Buch 1940 in den USA erschien, gab es noch kein Fernsehen, das heute nicht wenig der für das Lesen benötigten Zeit verbraucht.
Aber für den - und das ist in meinen Augen das Hauptproblem eines solchen Buches -  also für den bereits mit den Büchermengen Kämpfenden kann vieles aus dem Buch nützlich sein. Aber fast jeder in diesem Personenkreis hat längst eine individuelle Lese-Strategie entwickelt. Ich vermute mal, dass hier auch der Hauptleserkreis des Buches zu finden ist: Diese werden es (quer)lesen - und zufrieden sein: Ihre Überlegungen finden sie bestätigt.

Das aber viel größere Problem, das uns heute bewegen müsste, ist ein ganz anderes: Es betrifft die Nicht- und Wenigleser. Ich rede dabei nicht einmal von der erschreckend großen Zahl der Analphabeten. Selbst an einem diesbezüglichen Buch arbeitend weiß ich, dass man tatsächlich einen viel größeren Personenkreis hinzurechnen muss zu denen, die nicht lesen und schreiben können. Hinzukommt, dass wir jetzt die 5. oder 6. Genenration von Kindern haben, deren Eltern nicht oder nur wenig lesen; Haushalte nahezu oder tatsächlich ohne Bücher. Und als Hauptproblem wird sich - über kurz oder lang - herausstellen, ob und wie sich die Hirnentwicklung kommender Generationen wohl auf dieses Phänomen einrichten wird.

Es gäbe natürlich ganz praktikable Wege, das zu untersuchen - aber ich fürchte mal, es wird noch unendlich lange dauern, bis 'man' die Notwendigkeit dafür einsieht; vorher wird es aber schwierig sein, dass das Geld dafür bereitgestellt wird.  In einer Zeit, in der selbst Abiturienten mit einer grauenvoll minimalen Literaturkenntnis ins Leben entlassen werden; wie viele davon haben 'Literatur' in den zurückliegenden Schuljahren nur als fotokopierte Textstellen kennengelernt!  Dass das schon lange 'so' geht, weiß ich aus der Schulzeit meiner eigenen Kinder - und die liegt fast fünfzig Jahre zurück.

Man darf gar nicht genauer darüber nachdenken - aber gerade deswegen sollte man es tun.

Ingeborg Gollwitzer