Leserbriefe zur Rezension

Überlegungen zur textorientierten Spannungsanalyse

Anlässlich einer Lektüre von Adalbert Stifters „Der Nachsommer“

Von Lars Korten


Manfred Jobst schrieb uns am 06.05.2010
Thema: Lars Korten: Überlegungen zur textorientierten Spannungsanalyse

Sehr geehrter Herr Korten,

danke für Ihren Beitrag zu Adalbert Stifters ´Nachsommer´.

"Mit ‚Langeweile‘ kann folglich kaum die Beschaffenheit eines Textes bezeichnet werden, sondern nur ein auf die Lektüre bezogenes subjektives Leserempfinden. Wird vice versa ‚Spannung‘ beschrieben als „Wirkungsdisposition von Texten, die mit Techniken verzögerter Wunscherfüllung gemischte Lust- und Unlustgefühle der Ungewißheit hervorrufen“ (Thomas Anz), dann ist zwar die (auch als ‚Antizipation’ verstandene) „Ungewißheit“ ein objektivierbares Merkmal, muss aber gleichzeitig an den jeweiligen Leser rückgekoppelt werden, auf den ein Text so wirkt, anders wirkt oder nicht wirkt. Texte haben also keine objektivierbare „Wirkungsdisposition“, sondern sind bloß auf objektivierbar beschreibungsfähige Weise strukturiert, entfalten aber unterschiedliche Wirkungen auf unterschiedlich empfindende Leser. "

Ein (in den verschollenen Handschriften Lichtenbergs gefundener) Aphorismus fiel mir ein: ´Wenn ein Buch und zwei Köpfe zusammenstoßen, muss es nicht allemal mindestens zwei Meinungen geben.´
Und dass ´die Beschaffenheit eines Textes´ nicht als ´Langeweile´ ´bezeichnet werden kann´, das hat in einer luziden Analyse des Stifter-Romans Wolfgang Matz gezeigt in seinem Buch: ´1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter.´ Frankfurt (Fischer Verl.) 2007.
Ich habe bei Ihren Ansatz - und dem von Thomas Anz, bei aller Wertschätzung! -  ein bisschen das Problem, dass die Textanalyse zu kurz kommt. Ich weiß wohl, dass der Analysierende den Blick auf sich selbst, verbunden mit der Frage, ´warum gerade diese Analyse?´, nicht vergessen sollte!

Mit freundlichem Gruß,
Manfred Jobst