Leserbriefe zur Rezension

Die EU schafft sich ab

Heiner Flassbecks „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ lässt sich als Analyse einer die demokratische Gesellschaft gefährdenden Wirtschaftspolitik lesen

Von Laslo Scholtze


Christian Saß schrieb uns am 29.10.2010
Thema: Laslo Scholtze: Die EU schafft sich ab

Hallo Herr Scholtze,

eine informative Rezension habe Sie da geschrieben. Ich denke, ich werde das Buch von Heiner Flassbeck kaufen und lesen.

Eine Bemerkung veranlasst mich aber zu dieser Äußerung: Im vorletzten Absatz bemerken Sie, dass Sie sich eine tiefer gehende Diskussion im Bezug auf "das Problem der horrenden Staatsschulden..." gewünscht hätten. Da ich das Buch noch nicht gelesen habe, kann ich nicht beurteilen, ob Ihr Einwand berechtigt ist. Dass Sie das "Problem" aber isoliert in den "horrenden Staatsschulden" sehen, lässt die Vermutung zu, es könnte zum Erkenntnisgewinn hilfreich sein, sich mal mit der Funktion von Schulden im Kapitalismus insgesamt zu beschäftigen. Ihr Kollege Harald Schumann nennt es "das schmutzige Geheimnis des Kapitalismus, dass entweder der private oder der staatliche Sektor Schulden machen muss, wenn die Wirtschaft prosperieren soll." Wenn man einmal begriffen hat, dass Wachstum der Wirtschaft zwangsläufig immer einhergeht mit Wachstum von Schulden auf der einen Seite und Wachstum von Vermögen auf der anderen Seite, dann muss man sich nicht mehr lediglich mit dem Problem der Staatsschulden beschäftigen. Schließlich sind Staatsschulden für Otto Normalverbraucher meist sogar günstiger, weil Staaten in der Regel günstigere Zinssätze bekommen, als Unternehmen und erst recht als Privatpersonen. Und ob ich nun Steuern für Zinsen und Tilgung von Staatsschulden bezahlen muss, oder ob ich die in alle Produkte eingepreisten Zinsen und Tilgung von Unternehmensschulden über die Preise bezahlen muss, das ist mir letztlich gleichgültig.
Aber ansonsten: Dank für die gute Buchbesprechung.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Saß


Laslo Scholtze schrieb uns am 31.10.2010 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Laslo Scholtze: Die EU schafft sich ab

Sehr geehrter Herr Saß,
ich freue mich über Ihr Interesse an meinem Artikel und danke Ihnen herzlich für Ihr Lob und auch für den Hinweis zum Thema "Schulden".
Bezogen auf die Mechanismen der Geldschöpfung (durch die Geschäftsbanken, eben als Kredit) ist Ihre Bemerkung sicher nicht falsch. Dennoch macht es für die Allgemeinheit natürlich große Unterschiede, ob Schulden beim Staat oder bei privaten Unternehmen liegen. Den Konsequenzen des Staates, die aus der Zinslast folgen, kann die Allgemeinheit nicht ausweichen: Steuererhöhungen, Kürzungen im Sozial-, Gesundheits-, Kulturbereich, etc. Trägt dagegen ein Unternehmen die Zinslast und versucht sie über höhere Preise auszugleichen, können Sie einfach zu einem anderen Anbieter wechseln. Das Unternehmen erleidet dann Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten, die billiger anbieten können, und katapultiert sich letztlich aus dem Wettbewerb.
(Was ja tragischerweise sogar Unternehmen mit völlig gesundem Geschäftsmodell droht, wenn sie z.B. von der Schuldenlast durch eine kreditfinanzierte Übernahme erdrückt werden -- das klassische "Heuschrecken"-Beispiel.)
Generell können Schulden natürlich von keinem Akteur in einer Volkswirtschaft unbegrenzt (im Verhältnis zu den Einnahmen) ausgedehnt werden, wobei in diesem Punkt der Staat und private Unternehmen in unterschiedlichen Positionen sind und daher anders betrachtet werden müssen. Die Frage des "Staatsbankrotts" ist komplex und wird kontrovers diskutiert (Im Gegensatz zu einem Unternehmen scheidet ein Staat bei Zahlungsunfähigkeit nicht aus dem Markt aus). Heiner Flassbeck vertritt in dieser Hinsicht übrigens den Standpunkt, die Gefahr des "Staatsbankrotts" werde in der Öffentlichkeit und von gewissen Experten übertrieben; so sei etwa Griechenland längst nicht so nah am Bankrott gewesen, wie es meist dargestellt wurde. Er begründet diese Meinung auch, das werden Sie sehen, wenn Sie das Buch lesen. Ich hätte es nur begrüßt, wenn er die Aspekte, die an einer ausufernden Staatsverschuldung gemeinhin als problematisch angesehen werden, eingehender diskutiert hätte.
Ich hoffe, ich konnte damit wenigstens grob auf Ihren Hinweis eingehen.
Noch eine persönliche Bemerkung: M.E. ist über die Grundlagen unseres Finanz- und Wirtschaftssystems viel zu wenig bekannt, wenn man bedenkt, wie zentral dies für den Zustand und die Entwicklung unserer Gesellschaft ist. Das betrifft auch den von Ihnen angesprochenen Punkt, der ja zur grundsätzlichen Frage "Was ist Geld? Und wie funktioniert es?" gehört. Jeder Abiturient soll hierzulande den "Faust" gelesen, mathematische Analysis betrieben und die Impulsweiterleitung von Synapsen verstanden haben (alles wichtige Dinge, keine Frage). Aber kaum einer weiß, was unser Geld eigentlich ist oder wer die Gläubiger des eigenen Landes sind. Und dabei bleibt es häufig auch.
In diesem Sinne: Bleiben Sie dran und lassen Sie andere an Ihrem Wissen teilhaben (was Sie wahrscheinlich eh bereits tun).
Mit besten Grüßen
Laslo Scholtze