Leserbriefe zur Rezension

Totale Tinte

Ohne Anlass wird Ernst Jünger vom Deutschen Literaturarchiv Marbach als einer der „wichtigsten Schriftsteller der Moderne“ vorgestellt – und Helmuth Kiesel beglückt uns mit seiner Erst-Edition der „Tagebücher 1914-1918“

Von Jan Süselbeck


Guido Kohlbecher schrieb uns am 25.12.2010
Thema: Jan Süselbeck: Totale Tinte

Prof. Kiesel hat in einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger vom 13.11.10  E. Jünger verteidigt, wogegen Folgendes einzuwenden ist:

1.Er habe etwa "nie Eliminierung von politischen Gegnern unterstützt" ? Nun, in Das Wäldchen 125 (1930, 5.A., S. 185) lesen wir:  "... jeder anders Fühlende muß mit dem Brandmal des Ketzers behaftet und ausgerottet werden."

2. Und wie verträgt sich das Epigramm Nr. 90 (Blätter und Steine, 1934, S. 225: "Die Abschaffung der Folter gehört zu den Kennzeichen sinkender Lebenskraft." ) damit, daß Jünger "Gewalt gegen Schwächere angeekelt" haben soll? Auch die angeblich radikale Selbstdistanzierung Jüngers vom Regime ab 1933 nimmt sich angesichts der weiteren Neuauflagen seiner Kriegsbücher (Willkommene Wehrertüchtigung !) wenig überzeugend aus. Hitler gewährte ihm übrigens gegen Partei-Anfeindungen seine persönliche Protektion, von der Jünger aber wohl erst nach dem Krieg erfuhr.


Veit Feger schrieb uns am 28.12.2010
Thema: Jan Süselbeck: Totale Tinte

Sehr geehrter  Herr Dr. Süselbeck,

dankeschön für Ihre scharfe Kritik an den schwallenden Jünger-Verehrern und an deren zeitgeschichtlicher Einordnung als Vergangenheitsumdeutung und -entsorgung.
Seit ich im Jahr 1965 in der Bibliothek des Frankfurter Philosophischen Seminars eher zufällig auf das "Arbeiter"-Buch Ernst Jüngers gestoßen bin und darin las, war meine Einschätzung dieses seltsamen Schriftstellers entschieden. Ich bin froh, wenn jemand so klar und deutlich und nicht-apologetisch über diesen Schriftsteller urteilt wie Sie.
Veit Feger .


Prof. Dr. Hans Otto Horch schrieb uns am 28.12.2010
Thema: Jan Süselbeck: Totale Tinte

Vielen Dank, lieber Herr Süselbeck, für diesen grandios entlarvenden Verriss eines Autors nebst seiner Adepten, der für mich zu den am meisten überschätzten Schriftstellern des 20. Jhs gehört. Es ist wohl die signatura temporis, dass man unter der Fahne der Postmoderne so ziemlich alles goutiert, wenn es nur "ästhetisch" sich drapiert und keinerlei ethisches Verantwortunsbewusstsein aufweist.

Übrigens hat Gottfried Benn, den man ja des öfteren mit Jünger in einen Topf wirft und der mit ihm zugegeben etwas allzu beistimmende Briefe gewechselt hat, über die "ewige Zusammenstellung mit Jünger" sein Unverständnis geäußert (an Niedermayer, 20.6.1949) und Jüngers Gespreiztheit mit der Georges verglichen: "etwas viel Apparatur ist ja doch wohl um den u. in dem guten E.J. Um Nietzsche und Spengler war weniger." (an Paul Fechter). Benns Widmungsgedicht für Jünger zeigt ebenfalls eine deutliche Distanzierung: "Wir sind von Aussen oft verbunden, / Wir sind von Innen meist getrennt [...]". Bereits am 7.1.1948 schrieb Benn an Oelze mit Blick auf "Strahlungen": "[...] katastrophal! Weichlich, eingebildet, wichtigtuerisch und stillos. Sprachlich unsicher, charakterlich unbedeutend. Manchmal nahe an Erkenntnissen, manchmal vor gewissen Tiefen stehend, aber nirgends Durchbruch, Haltung, Flammen." Mit Heidegger zusammen genannt zu werden erscheint Benn als eine Ehre "im Gegensatz zu dem J[ünger]parallelismus." (an Oelze, 19.10.1949)
Alle Zitate finden sich in der hilfreichen Edition des Briefwechsels Benn / Jünger, hrsg. von Holger Hof (Klett-Cotta 2006).


Ingeborg Gollwitzer schrieb uns am 28.12.2010
Thema: Jan Süselbeck: Totale Tinte

... ich vermute mal, das (PROF:!) Jan Süselbeck in einigen Jahren nicht mehr gern an diesen Beitrag erinnert werden wird. Aber ich beobachte immer wieder mit Interesse, mit welcher Energie sich insbesondere jüngere, sonst eigentlich durchaus intellektuelle Leser sich mit Anti-Jünger-Maximen immer erneut zu übertreffen suchen. (Ganz nebenbei unterstelle ich mal, dass sie wenig bis nichts von EJ tatsächlich gelesen haben.)
Dieser Beitrag ist wahrlich eine ganz außerordentliche Sammlung. Ich müsste ihn erstmal ausdrucken, wenn ich all die Stilblüten darin hier nacheinander zitieren wollte. Als ob sich Jünger auf die Stahlgewitter reduzieren ließe!
Da hat mal wieder einer "absolut NIX kapiert".
Ihm gut zureden wie einem jungen, störrischen Esel? Auch mit denen muss man eben ganz einfach Geduld haben - wie hier, und warten, bis Jan Süselbeck dann eines Tages an den hier fabrizierten Text nicht mehr gern erinnert werden wird.
Merkwürdig sowas aber immer wieder, wenn es um EJ geht, der nie in seinem Leben ein Pamphlet geschrieben hat.
Ingeborg Gollwitzer    www.buchwelt.de


Lutz Hagestedt schrieb uns am 04.02.2011
Thema: Jan Süselbeck: Totale Tinte

Polemiken gegen Jünger begleiten die Autorschaft dieses „Zeugen des Jahrhunderts“ wie ein Roter Faden, und das finde ich (auch) erfreulich. Grundsätzliche Gegnerschaft muss dabei nicht unbedingt von Kennerschaft begleitet sein („Falls Jünger [...] überhaupt so etwas wie Humor kannte“). Andererseits sind über Jünger derart viele, stereotyp wiederholte Urteile im Umlauf, dass hie und da eine Gegenprobe lohnen könnte, und sei es auf Kosten der eigenen Überzeugung. So hat Helmut Lethen kürzlich sein „Kälte“-Postulat in Frage gestellt.
Jünger-Gegner für Jünger-Lektüren gewinnen, davon verspreche ich mir etwas.
Lutz Hagestedt, Rostock