Christel Roßkopf schrieb uns am 03.06.2001
Thema: Arnd Beise: Wer mich nicht liebt, den lehr ich, mich zu hassen
Sehr geehrter Herr Beise, sehr geehrte literaturkritik.de,
in Ihrer Rezension stellen Sie zwei Neuübersetzungen Marlowscher Dramen
vor - die von Dieter Schamp und jene von Wolfgang Schlüter. Abgesehen davon,
daß die Arbeiten von Dieter Schamp keine Neuübersetzungen, sondern lediglich
nach dreißig Jahren neu erschienen sind, finde ich es bedauerlich, daß sie
in dem Zusammenhang nicht auf die hervorragende Neuübersetzung des
"Massakers von Paris" eingehen, die der Berliner Verlag Autorenagentur
anzubieten hat. Denn diese Übersetzung von Melanie Bächer ist meiner Ansicht
nach viel eher geeignet, dem vergessenen Autor Marlowe zum "Durchbruch" zu
verhelfen, als die beiden anderen - und zwar nicht nur in der deutschen
Sprache, sondern auch auf der deutschen Bühne.
Lassen Sie mich die von Ihnen angeführten Versbeispiele aus dem "Massaker"
aufgreifen.
Bei Marlowe steht:
I swear by this cross, we'll not be partial,
but slay as many as we can come near.
Schlüter übersetzt:
Bei diesem Kreuz schwör ich: wir nehmen nicht Partei,
sondern ermorden jeden, dem wir uns nur nähern.
Schamp übersetzt:
Ich schwör bei diesem Kreuz, wir wollen's nicht halb tun,
Sondern so viele töten, wie wir fassen!
Liegt bei Schlüter hier, wie Sie schreiben, ein "offenbares Unverständnis
des Originals" vor, so holpert der Rhythmus bei beiden Varianten doch
gewaltig. Es stimmt aber noch ein Weiteres nicht: Mitten im blutigen
Schlachtgetümmel, und darum geht es in der Szene, würde niemand solch
gedrechselte Sätze formulieren.
Bächer hingegen übersetzt kurz und bündig, mit der der Situation
angemessenen Schärfe:
Ich schwör beim Kreuz, wir bleiben eisern.
Und massakrieren, was nur möglich ist.
Das zweite von Ihnen herausgegriffene Beispiel:
Marlowe:
Now, Guise, begins those deep-engender'd thoughts
To burst abroad those never-dying flames
Which cannot be extinguish'd but by blood.
Schlüter, sich an den Marloweschen Metaphern hochschaukelnd:
Jetzt, Guise, brechen die aus der Tiefe lodernden Gedanken
zu einem unlöschbaren Flächenbrand hervor,
den nur noch Blut austilgen kann.
Schamp, korrekt, aber farblos:
Jetzt, Guise, beginnt dein tief gezeugtes Sinnen,
Jenes nie sterbende Feuer auszubreiten,
Das man mit nichts mehr löschen kann als Blut!
Bächer:
Jetzt, Guise, bricht aus deinem tiefsten Innern
wieder dies unzähmbare Feuer hoch,
das nichts wird löschen können - außer Blut.
Die letzte Variante hat nicht nur von der Bildkraft her die stärkste Wucht,
sondern stimmt sprachlich am ehesten mit der erregten Verfassung der Figur
überein, die hier agiert.
Sicher ließen sich noch mehr und vielleicht bessere Beispiele finden, um die
Qualität der eleganten und theatergerechten Bächer-Übersetzung zu belegen.
Wichtig vor allen Dingen jedoch scheint mir nicht nur die Stimmigkeit
einzelner Versstellen, sondern was für ein Zug ein Text insgesamt hat, ob er
den Leser, Zuhörer oder Zuschauer zu fesseln vermag. Schlüters
selbstverliebte, geschraubte Manierismen bekommt man schnell über, Schamps
philologische Steifheit langweilt von vornherein. An der Bächer-Übersetzung
bleibt man hängen. Sie vermittelt genau das, was Marlowe so ungeheuer
spannend und erschreckend modern macht: die radikale Selbstverständlichkeit,
die völlige Gewissen- und Skrupellosigkeit, mit der die Marloweschen Helden,
allesamt Egomanen, ihren Zielen entgegensteuern.
Man darf gespannt sein, wann das deutschsprachige Theater diesen Dramatiker
entdeckt.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Roßkopf
Antwort von Arnd Beise
Die Rezension bespricht nur die im Buchhandel ohne Weiteres
erhältlichen Marlowe-Übersetzungen. So gut die Übersetzung von
Melanie Bächer sein mag: Sie ist für normale LeserInnen nicht
zugänglich und daher ebenso wenig Gegenstand der Rezension
wie die Fassungen von B K Tragelehn (1971) und Rolf Engelsing
(1982), die den Theatern natürlich ebenfalls zur Verfügung stehen.
A.B.
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